Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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Das Gold muss weg!<br />
Von Ernst Vogelsang<br />
Nach der so raschen Entwicklung<br />
vom Landstädtchen zur ansehnlichen<br />
Großstadt in Südostpreußen (1893:<br />
20.854 Einwohner) mussten die<br />
Stadtväter Allensteins auch endlich an<br />
die Lösung eines jahrhundertealten<br />
Problems denken, das in fast regelmäßigen<br />
Abständen die Gesundheit<br />
der Bevölkerung bedrohte und nicht<br />
zuletzt 1894 der Provinz eine erneute<br />
Cholera-Epidemie zu bescheren<br />
schien. Eine solche hatte 28 Jahre zuvor<br />
allein in der Stadt 215 Todesopfer<br />
gefordert. Somit stellte sich jetzt als<br />
vordringliche Aufgabe, hygienisch einwandfreies<br />
Trinkwasser für alle Einwohner<br />
zu schaffen und die bisher übliche<br />
Fäkalienbeseitigung zu ändern.<br />
Im Mittelalter gab es nur einen Brunnen<br />
mit gutem Grundwasser im<br />
Schloss, der auch das Trinkwasser<br />
für die Erzpriesterei lieferte. Sehr viel<br />
später legte der Magistrat die sog.<br />
Röhrenteiche und den Oberteich an.<br />
Sie lagen auf erhöhtem Gelände am<br />
östl. Ende der Stadt und speisten<br />
über ein hölzernes Röhrensystem<br />
fünf Sammelbrunnen in der Altstadt<br />
für die Trinkwasserversorgung. Für<br />
eine kleine Einwohnerzahl waren sie<br />
noch ausreichend, nun aber, auch<br />
aus sanitärer Sicht, längst überfällig<br />
für eine Korrektur, zumal die Röhren<br />
bei scharfem Frost einfroren. In den<br />
1850er Jahren grub man fünf neue<br />
Brunnen und legte die alte Versorgung<br />
aus den Röhrenteichen still. Für<br />
das „Brauchwasser“ genügten die<br />
umliegenden Gewässer.<br />
Zugleich jedoch musste das System<br />
der Fäkalienbeseitigung modernisiert<br />
werden, das immer noch nach der<br />
Methode „Herzhäuschen auf dem<br />
Hof“ (genannt „Plumpsklo“) mit Eimern<br />
und der regelmäßigen Abfuhr<br />
von Personen mit Fuhrwerk (zur<br />
Nachtzeit!) oder durch eine Sickergrube<br />
erfolgte, die auch oft das<br />
Grundwasser gefährdete.<br />
Der nicht müßige Volksmund versah<br />
die Namen der Abholer, die diesem<br />
weit riechenden Geschäft nachgingen,<br />
mit dem Attribut „Gold-“. Die<br />
vollen Eimer wurden an vereinbarten<br />
Tagen vor die Haustür gestellt und<br />
von den Entsorgern in mit Blech abgedichteten<br />
Ackerwagen gegen Entgelt<br />
abgefahren. Vergessener Obulus<br />
bedeutete, dass der Hausvater seinen<br />
Eimer samt Inhalt wiederfand. In<br />
späterer Zeit kümmerte sich die<br />
Stadtobrigkeit um das Ganze.<br />
Die Erhebungen und Beratungen für<br />
den Bau dieses komplexen Systems<br />
beschäftigten dann seit 1894 die<br />
Stadtverordneten und Stadtverwaltung.<br />
So tat man den ersten Schritt<br />
1896 mit dem Ankauf eines vor der<br />
Haustür liegenden Wasserreservoirs,<br />
dem Okullsee mit ausreichender Kapazität<br />
und guter Qualität. Zur Errichtung<br />
der Wasserversorgungsanlage<br />
wurde an seinem Ostufer ein Pumpwerk<br />
mit der Enteisungsanlage erbaut.<br />
Tiefbrunnen rund um den See<br />
lieferten das Rohwasser.<br />
Der Bericht über die Informationsreise<br />
der dreiköpfigen städtischen Kommission<br />
mit Bürgermeister Belian an der<br />
Spitze nach England zum Kennenlernen<br />
des hier noch wenig bekannten<br />
Kanalisations-Druckluft-Systems war<br />
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