Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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die lange Abwesenheit gar keine<br />
Sorgen gemacht. Ich schwärme heute<br />
noch davon, dass ich diese wunderschöne<br />
Stadt in ihrer einzigartigen<br />
Pracht bestaunen konnte. Bei dem<br />
genannten Bombenangriff ist Danzig<br />
dann völlig zerstört worden.<br />
Auf unserer Überfahrt nach Kopenhagen<br />
ha sich viel Schlimmes auf<br />
dem Schiff abgespielt. Wir waren von<br />
Gotenhafen bis Kopenhagen 14 Tage<br />
unterwegs. Man hatte uns in die tiefen<br />
Laderäume verfrachtet und die<br />
Zustände waren furchtbar. Nach der<br />
zweiten oder dritten Nacht wurde<br />
plötzlich die Maschine abgestellt und<br />
das Schiff lag ganz still. Wir waren in<br />
ein Minenfeld geraten. Alle bekamen<br />
Schwimmwesten zugeteilt. Erst nach<br />
mehreren Stunden ging die Fahrt<br />
weiter. Es wurde der Befehl ausgegeben,<br />
dass wir die Westen Tag und<br />
Nacht tragen mussten. Wir wussten<br />
ja warum, denn wir hatten unterwegs<br />
viele untergegangene Schiffe gesehen,<br />
bei denen nur noch der Bug<br />
schräg aus dem Wasser ragte. Zwischendurch<br />
hatten wir sogar im<br />
Wasser treibende Menschen gerettet.<br />
Die Matrosen fuhren mit einem<br />
Boot zu ihnen hin, zogen sie hinein<br />
und brachten sie zum Schiff. Dort<br />
hievte man sie mit Ladenetzen an<br />
Bord, weil sie viel zu schwach waren,<br />
selbst etwas zu tun. Ob alle Geretteten<br />
an Bord überlebt hatten, erfuhren<br />
wir nicht.<br />
Was wir auf der Fahrt an Ängsten<br />
durchgestanden hatten, lieber Winfried,<br />
das brauche ich Dir ja nicht zu<br />
schreiben. Du hast es ja selbst erlebt.<br />
Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie<br />
der Kapitän es schaffte, aus dem Minenfeld<br />
herauszufinden. Das Elend<br />
nahm kein Ende. Wir wurden während<br />
der Fahrt immer wieder von russischen<br />
Tieffliegern angegriffen. Dabei<br />
wurden mehrere junge Soldaten,<br />
die an der Flak saßen und schossen,<br />
tödlich getroffen. Während des Beschusses<br />
waren wir im Laderaum<br />
und hörten auf dem Deck die Geschosse<br />
aufschlagen. Es war ein<br />
furchtbares Geprassel. Sobald Stille<br />
eintrat und nicht mehr geschossen<br />
wurde, wussten wir, dass die Flieger<br />
weg waren. Das Schiff fuhr trotzdem<br />
ununterbrochen weiter. Uns haben<br />
auch immer wieder russische U-<br />
Boote verfolgt.<br />
Dann lag unser Schiff wieder still,<br />
wodurch wir viel Zeit verloren. Der<br />
Kapitän hatte, um Panik zu verhindern,<br />
uns immer über die Sachlage<br />
durch die Mannschaft unterrichten<br />
lassen. Wir hatten große Angst. Es<br />
gab jeweils verschiedene Alarmsignale<br />
für U-Bootsverfolgung und für Fliegerangriffe.<br />
Bei Luftangriffen mussten<br />
wir schnellstens unter Deck flüchten.<br />
Bei U-Bootsalarm mussten wir uns<br />
ganz still verhalten, um durch das<br />
Wasser keine Schallwellen zu verbreiten.<br />
Von den Soldaten, die beim Fliegerbeschuss<br />
ihr Leben ließen und<br />
von Flüchtlingen, die unterwegs starben,<br />
hatten wir auch mehrmals Seebestattungen<br />
miterlebt.<br />
Während einer dieser Bestattungen<br />
hatte ich ein ganz liebes Mädchen<br />
kennengelernt. Sie stand ängstlich<br />
und niedergedrückt an den großen<br />
Schornstein gelehnt. Ich ging zu ihr<br />
und erfuhr, dass sie seit dem Tieffliegerangriff<br />
auf dem Haff ihre Mutter<br />
und ihre vier Geschwister nicht mehr<br />
wieder gesehen hatte. Sie wusste<br />
auch nicht, ob diese überhaupt noch<br />
lebten. Eine pensionierte Lehrerin aus<br />
ihrem Dorf nahm sich ihrer an. Sie<br />
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