Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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Bei diesem herrlichen <strong>Sommer</strong>wetter<br />
war sie mit uns fast täglich unterwegs,<br />
entweder im Wald oder am<br />
Strand. Sie konnte gut mit Kindern<br />
umgehen, hatte eine Engelsgeduld,<br />
denn wir waren alle körperlich und<br />
seelisch gezeichnet. Sie kannte viele<br />
Blumen, viele Kräuter und erklärte<br />
uns auch die verschiedenen Vogelarten.<br />
Als die Brombeeren reif waren,<br />
ging sie mit uns zum Ernten, beim<br />
Pilze sammeln erklärte sie uns, welche<br />
essbar und welche nicht genießbar<br />
waren. Der Wald war warm und<br />
feucht. Er hatte das ideale Klima für<br />
Schlangen. Sie lagen in Klumpen auf<br />
Baumstümpfen und rekelten sich in<br />
der Sonne. Beim Pilze suchen huschten<br />
häufig welche weg. Sie erklärte<br />
uns den Unterschied zwischen der<br />
harmlosen Ringelnatter und der giftigen<br />
Kreuzotter. Als wir fragten, was<br />
denn die vielen Hautfetzen in den abgeernteten<br />
Brombeersträuchern bedeuteten,<br />
sagte sie uns, dass jetzt die<br />
Zeit sei, wo sich die Schlangen häuten.<br />
Im Lager machten wir eine kleine<br />
Feuerstelle und bereiteten darauf unsere<br />
Schätze aus dem Wald zum Essen<br />
zu. Sie hatte eine Sondererlaubnis,<br />
mit den Kindern spazieren zu<br />
gehen, musste aber sagen, wohin wir<br />
gingen. Große Freude machte immer<br />
der Strandbesuch. Dort haben wir<br />
viel gespielt und Muscheln gesammelt<br />
und nur mit einer Schnur Seeteufel<br />
(Raubfische) gefangen. Sie waren<br />
so verfressen, dass sie auf alles,<br />
was sich bewegte, anbissen. Es<br />
machte Spaß, aber wir setzten sie<br />
wieder zurück ins Wasser. Aus den<br />
Muscheln fertigte Tante Anna uns<br />
Halsketten an. Wir wären so gern<br />
baden gegangen. Dies war aber wegen<br />
der starken Strömung im Belt<br />
verboten worden. Sehe ich heute Pilze<br />
oder Brombeeren, muss ich an die<br />
liebe Frau denken. Sie war etwas<br />
ganz Besonderes. Ihre pädagogischen<br />
Eigenschaften waren angeboren.<br />
Mehrmals wurde im Lager versucht,<br />
die Kinder zu unterrichten. Dies<br />
klappte wegen Mangel an Papier,<br />
Bleistiften und Lehrmaterialien nie.<br />
Des Öfteren erschien unangemeldet<br />
das Rote Kreuz zum Impfen, gegen<br />
Cholera, Typhus und anderes. Die<br />
Ärzte und Schwestern hatten ganz<br />
große Spritzen mit dicken Nadeln.<br />
Das war sehr schmerzhaft. Als Reaktion<br />
darauf, lagen wir danach häufig<br />
mit Fieber im Bett. Durch den Sturz<br />
auf dem Eis hatte ich zeitweise starke<br />
Rückenschmerzen. Wie es der Zufall<br />
so will, gab es bei uns einen jungen<br />
Mann, der an der Front ein Bein verlor.<br />
Es stellte sich heraus, dass er<br />
von Beruf Physiotherapeut war. Meine<br />
Mutter bat ihn, mir zu helfen, was<br />
er gern tat. Er suchte im Lager einen<br />
Baum aus, wo ein Ast für meine Größe<br />
die richtige Höhe zum Aufhängen<br />
hatte. Er tastete dann die Wirbelsäule<br />
ab und renkte mich ein. Nach einem<br />
Ruck waren meine Wirbel wieder da,<br />
wo sie hingehörten. In den nächsten<br />
Tagen wurde ich noch ein paar Mal<br />
massiert und alles war wieder gut.<br />
Dem <strong>Sommer</strong> folgte ein wunderschöner,<br />
sonniger Herbst. Jede Unterkunft<br />
bekam nun einen kleinen<br />
Heizofen zugeteilt. Die Lagerleitung<br />
wies uns an, für den Winter Holz zu<br />
sammeln, da sie kein Heizmaterial<br />
hätten. Das Sammeln machte uns<br />
großen Spaß. Der Günter war dabei<br />
am fleißigsten. Nach dem Abschluss<br />
des Sammelns lagen vor jeder Hütte<br />
die Holzscheite sauber aufgestapelt.<br />
Als es langsam auf den Winter zu-<br />
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