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Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

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Zielort brachte. Daran schloss sich<br />

noch ein langer Fußweg an. Wegen<br />

unseres ungepflegten Äußeren rückten<br />

die Fahrgäste von uns ab. Uns<br />

war alles egal, wir empfanden nichts<br />

mehr dabei.<br />

Für meine Oma war es die zweite<br />

Flucht nach Danzig. Sie musste im<br />

ersten Weltkrieg 1918, mit drei kleinen<br />

Kindern, hochschwanger fliehen.<br />

Mein Opa brachte sie noch rechtzeitig<br />

mit den Kindern zum Zug. Bevor<br />

sie nach dem von Deutschland verlorenen<br />

Krieg wieder nach Allenstein<br />

zurückkehrte, hatte sie in Danzig einen<br />

gesunden Sohn zur Welt gebracht.<br />

Nachdem sich in Allenstein<br />

die Lage wieder normalisierte hatte<br />

und die Russen zurückgeschlagen<br />

waren, holte mein Opa seine Familie<br />

von dort zurück.<br />

Endlich standen wir vor der Wohnungstür<br />

meines Onkels und klingelten.<br />

Das Glück war kaum zu fassen,<br />

meine Mutter, mit Klaus-Werner auf<br />

dem Arm, öffnete die Tür. Seit der<br />

Trennung auf dem Eis hatten wir<br />

nichts mehr von den beiden gehört.<br />

Meine Tante mit den Kindern stand<br />

auch gleich um uns herum. Wir konnten<br />

nicht mehr sprechen, wir haben<br />

nur noch geweint. Gott sei Dank waren<br />

wieder alle vereint. Nachdem wir<br />

uns beruhigt hatten, wollten wir wissen,<br />

wo denn der Opa sei?<br />

Opa war als Oberzugführer bei der<br />

Deutschen Reichsbahn in Allenstein<br />

tätig. Er hatte am 21.01.45 Dienst.<br />

Nach Dienstschluss überlegte er<br />

nicht mehr lange, sondern marschierte<br />

gleich zu meiner Tante durch den<br />

Wald zum Stauwerk. Die Wohnung<br />

war leer! Auf dem Tisch lag ein Zettel<br />

mit der Datums- und Zeitangabe,<br />

wann alle auf die Flucht gegangen<br />

waren. Er war vom anstrengenden<br />

Dienst sehr müde und legte sich erst<br />

einmal schlafen. Vom näherkommenden<br />

Kanonendonner wurde er<br />

wach. Er suchte sich aus dem<br />

Schrank seines 1943 verstorbenen<br />

Schwiegersohnes einen Zivilanzug<br />

und Sachen heraus. Warm angekleidet,<br />

nahm er aus der Speisekammer<br />

noch mit, was er fand und trat die<br />

Flucht an.<br />

Mein Opa war ein erfahrener Afrika-<br />

Kämpfer. Er wurde 1881 geboren<br />

und war schon in ganz jungen Jahren<br />

Vollwaise. Aus diesem Grund hatte er<br />

sich bei der Kaiserlichen Schutztruppe,<br />

die unsere Deutschen Kolonien in<br />

Afrika schützten, freiwillig beworben.<br />

Er musste eine einjährige Ausbildung<br />

in Berlin für die Tropen absolvieren.<br />

Danach wurde er in Hamburg eingeschifft.<br />

Er war 20 Jahre alt und kehrte<br />

erst nach 4 Jahren nach Deutschland<br />

zurück.<br />

Seine Flucht nach Danzig verlief wie<br />

unsere. Er hatte unterwegs bis zum<br />

Haff, so gut es ging, Ortschaften und<br />

Hauptstraßen gemieden. Wenn möglich,<br />

lief er durch die Wälder. Mein<br />

Opa hatte einen sehr guten Orientierungssinn,<br />

der mir leider fehlt.<br />

Auf die Frage nach unserem Opa erzählte<br />

meine Mutter, dass die Tante<br />

mit ihren vier Kindern zuerst in Danzig<br />

eintraf. Danach meine Mutter mit<br />

dem Klaus-Werner und 2-3 Tage<br />

später mein Opa. Nur von der Oma,<br />

dem Günter und mir war nichts zu erfahren.<br />

Als wir endlich eintrafen, war<br />

Opa, wie jeden Tag, während unserer<br />

Abwesenheit, noch unterwegs. Er<br />

hatte sämtliche Auffanglager für<br />

Flüchtlinge in Danzig abgesucht. Er<br />

fuhr auch nach Gotenhafen, um zu<br />

gucken, ob Flüchtlingsschiffe einge-<br />

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