16.11.2013 Aufrufe

Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ging, hat Tante Anna mit uns einen<br />

kleinen Raum im Wirtschaftsgebäude<br />

zum Basteln benutzen dürfen. Sie<br />

besorgte alte Lebensmittelkartons<br />

und fertigte daraus Spielbretter, Mühle<br />

und Dame und Spielkarten. Dann<br />

holten wir vom Strand die weißen<br />

Herzmuscheln. Sie kochte aus Weidenrinde,<br />

Baumrinden und Gräsern<br />

jeweils einen Sud und färbte damit<br />

die Muscheln ein. So hatten wir für<br />

die Winterzeit Spiele mit verschiedenfarbigen<br />

Spielfiguren. Die Jungens<br />

schnitzten aus Holz noch zusätzlich<br />

Spielfiguren. Aus alten Stoffen fertigte<br />

sie Bälle an und wir spielten damit<br />

Völkerball. Als die Weihnachtszeit<br />

näher rückte, halfen wir ihr beim Basteln<br />

von Weihnachtsschmuck. Alle<br />

Materialien hierfür holten wir aus dem<br />

Wald. Ein paar Tage vor Weihnachten<br />

gingen wir Tannenzweige schneiden,<br />

denn Tante Anna hatte die Erlaubnis,<br />

den Speisesaal damit zu<br />

schmücken. Hinzu kam noch der<br />

selbstgefertigte Weihnachtsschmuck<br />

und der Raum wurde dadurch festlich<br />

verwandelt. Heiligabend besuchte<br />

uns die Heilsarmee und schenkte<br />

den Kindern eine kleine Tüte Kekse<br />

und einen Malblock mit Buntstiften.<br />

Wir waren außer uns vor Freude. Sie<br />

sangen mit uns viele Weihnachtslieder.<br />

Danach mischten sie sich unter<br />

die Anwesenden, um sich, so gut es<br />

ging, mit uns zu unterhalten.<br />

Mitte Januar 1946 wurden alle kleinen<br />

Lager, wir waren 300 Personen,<br />

aufgelöst und wegen der Rentabilität<br />

zu größeren zusammengelegt. Meine<br />

Mutter hatte erreicht, dass wir nach<br />

Karup ins Lager zu unseren Verwandten<br />

kamen. Trotz großer Bemühungen<br />

durften wir die Sophie nicht<br />

mitnehmen. Der Abschiedsschmerz<br />

ging allen sehr ans Herz. Meine Mutter<br />

sprach mit Tante Anna und bat<br />

sie, Sophie in ihre Obhut zu nehmen.<br />

Sie tat es gern. Dort war sie in guten<br />

Händen und wir waren beruhigt.<br />

Wir durften nur einmal im Monat<br />

Klaus-Werners Grab besuchen. Wegen<br />

unserer Verlegung wurde dieses<br />

Mal eine Ausnahme gemacht. Bevor<br />

wir nach Fredericia fuhren, hatte meine<br />

Mutter für uns alle Passierscheine<br />

geholt, um sich am Grab von Klaus-<br />

Werner zu verabschieden. Meine<br />

Mutter besaß ja vom Günter noch die<br />

dänischen Kronen, die er von den<br />

Soldaten geschenkt bekam. Danach<br />

gingen die Mutti, Günter, Sophie und<br />

ich in eine kleine Konditorei. Meine<br />

Mutter trank dort starken Bohnenkaffee<br />

und wir Kinder Kakao. Dazu<br />

suchte sich jeder ein dickes Stück<br />

Torte aus. Das sind die großen<br />

Glücksmomente im Leben! Seit der<br />

Kapitulation waren wir alle sehr mager<br />

geworden. Wir hatten immer<br />

Hunger und wurden nie richtig satt.<br />

Als wir in Karup ankamen und von<br />

weitem das Lager liegen sahen, waren<br />

wir sehr deprimiert. Auf einem<br />

ehemaligen Truppenübungsgelände<br />

standen dunkelbraune Baracken, die<br />

500 Personen beherbergten. Es war<br />

eine öde Landschaft, wie in der Wüste,<br />

ohne Baum und Strauch. Am<br />

Lagertor erwartete uns unsere Familie.<br />

Wir freuten uns, dass wir nun<br />

wieder alle zusammen waren. Neun<br />

Personen wurden in einem großen<br />

Raum mit dreistöckigen Betten untergebracht.<br />

Das war im Vergleich zu<br />

Middelfart ein Unterschied wie Tag<br />

und Nacht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.<br />

Langsam fanden wir<br />

uns in alles hinein. Die Verpflegung<br />

war schlecht. Es fehlte sogar eine<br />

22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!