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Neophyten in Schleswig-Holstein: Problem oder ... - Bordesholm

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Der allgeme<strong>in</strong>e Artenschwund ist unterm<br />

Strich e<strong>in</strong> Mythos, denn Dank des Auftretens<br />

von Archäo- und <strong>Neophyten</strong> <strong>in</strong> der mitteleuropäischen<br />

Vegetation konnte das tatsächliche<br />

Aussterben von Pflanzenarten bei uns<br />

mehr als kompensiert werden. Die entsprechende<br />

Auswertung f<strong>in</strong>det sich im jüngsten<br />

Buch von KOWARIK (2003) zum Thema<br />

„<strong>Neophyten</strong> und Neozoen <strong>in</strong> Mitteleuropa“,<br />

auch wenn er e<strong>in</strong>e differenziertere Bewertung<br />

dieser Tatsache vornimmt, als ich es hier <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em Statement absichtlich tue. Danach ist<br />

<strong>in</strong> Deutschland die Zahl der etablierten, also<br />

dauerhaft verwilderten Archäo- und <strong>Neophyten</strong><br />

13 mal so hoch wie die der ausgestorbenen<br />

ursprünglich e<strong>in</strong>heimischen, also<br />

<strong>in</strong>digenen Pflanzenarten. Von der deutschen<br />

Gesamtflora gehören 23,2 % zu den ursprünglich<br />

nicht heimischen Arten und nur 1,7 % zu<br />

den ausgestorbenen Indigenen. Aber auch<br />

Nicht-Indigene können gefährdet se<strong>in</strong>. Konsequenterweise<br />

führt beispielsweise die Rote<br />

Liste von Hamburg 103 <strong>Neophyten</strong> auf. Das<br />

s<strong>in</strong>d immerh<strong>in</strong> 15 % aller gefährdeten Pflanzenarten<br />

des Stadtstaates. Nun kann man<br />

natürlich argumentieren, dass es der globalen<br />

Biodiversität trotzdem nicht dienlich ist, wenn<br />

überall <strong>in</strong> den jeweils ähnlichen Klimazonen<br />

die gleiche, reichhaltige <strong>Neophyten</strong>-Flora<br />

auftritt. Dies ist aber alle<strong>in</strong> schon deshalb<br />

nicht zu befürchten, weil es e<strong>in</strong> anderes<br />

biologisches Phänomen zu würdigen gilt, dem<br />

bisher <strong>in</strong> Fachkreisen zu wenig Aufmerksamkeit<br />

geschenkt wurde: Bedenkt man, dass es<br />

unter den Archäophyten und <strong>Neophyten</strong> Arten<br />

gibt, von denen ke<strong>in</strong> Ursprungsgebiet bekannt<br />

ist <strong>oder</strong> die erst <strong>in</strong> ihrer neuen mitteleuropäischen<br />

Heimat entstanden s<strong>in</strong>d (sogenannte<br />

Anökophyten), so wird deutlich, dass<br />

<strong>Neophyten</strong> auch e<strong>in</strong> Motor der Entstehung<br />

neuer Arten se<strong>in</strong> können. Als Beispiel seien<br />

die Rotkelchige Nachtkerze (Oenothera<br />

erythrosepala beziehungsweise O. glazioviana,<br />

wie sie jetzt heißt) <strong>oder</strong> auch die Kupfer-<br />

Felsenbirne (Amelanchier lamarckii) genannt,<br />

die als sogenannte neogene Endemiten vermutlich<br />

durch Hybridisierung erst <strong>in</strong> Mitteleuropa<br />

entstanden beziehungsweise deren<br />

überseeische Ursprungspopulationen nicht<br />

mehr vorhanden s<strong>in</strong>d.<br />

Außerdem gibt es mehrere, meist archäophytische<br />

Ackerunkräuter, deren Artentstehung<br />

erst auf diesen Kulturbiotopen stattgefunden<br />

hat. Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas) <strong>oder</strong><br />

Kornrade (Agrosthema githago) s<strong>in</strong>d nirgends<br />

Teil der ursprünglichen, natürlichen Vegetation,<br />

weder <strong>in</strong> Mitteleuropa noch im Mittelmeerraum,<br />

wo ihre Ausgangsarten vermutet werden.<br />

E<strong>in</strong> anderes Beispiel ist der Schöne<br />

Blaustern (Scilla amoena), e<strong>in</strong>e beliebte<br />

Zierpflanze des Barock aus Vorderasien, die<br />

gelegentlich aus Kultur verwilderte und heute<br />

<strong>in</strong> Mitteleuropa als sogenannte St<strong>in</strong>zenpflanze<br />

nur noch selten wildwachsend anzutreffen ist.<br />

Auch <strong>in</strong> Gartenkultur bef<strong>in</strong>det sie sich kaum<br />

noch, da heute meist der auffälliger und früher<br />

blühende Sibirische Blaustern (Scilla siberica)<br />

kultiviert wird. Da Scilla amoena <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong><br />

ihrer türkischen Heimat ausgestorben ist,<br />

muss man diesen <strong>Neophyten</strong>, von dem mir <strong>in</strong><br />

Hamburg ke<strong>in</strong> Standort und <strong>in</strong> <strong>Schleswig</strong>-<br />

Holste<strong>in</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger bekannt ist, genauso<br />

umsorgen, wie beispielsweise den hoch<br />

gefährdeten Elb-Endemiten Schierl<strong>in</strong>gs-<br />

Wasserfenchel (Oenanthe conioides).<br />

Doch noch e<strong>in</strong>mal zurück zu dem Thema<br />

<strong>Neophyten</strong> und Biotopschutz als Teil des<br />

Artenschutzes und nicht als Teil des Landschaftsschutzes.<br />

Diesem Thema gilt ja derzeit<br />

das Haupt<strong>in</strong>teresse der Naturschutzpraxis,<br />

wenn beklagt wird, dass wüchsige und<br />

ausbreitungsstarke <strong>Neophyten</strong> Lebensräume<br />

verändern. Aber es ist me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>e<br />

viel zu statische und damit dogmatische<br />

Sichtweise der D<strong>in</strong>ge. Natürlich kann es <strong>in</strong><br />

wissenschaftlichem <strong>oder</strong> arterhaltendem<br />

Interesse se<strong>in</strong>, bestimmte Biotope zu schützen<br />

und zu pflegen. Man muss sich aber<br />

darüber im klaren se<strong>in</strong>, was die Biotoppflege<br />

ist: Biotoppflege heißt, E<strong>in</strong>griffe vornehmen,<br />

um e<strong>in</strong> bestimmtes Vegetationsbild zu erreichen<br />

beziehungsweise zu erhalten. Das<br />

kommt uns irgendwie bekannt vor und<br />

KÜSTER hat es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Bücher <strong>oder</strong><br />

Vorträge auf den Punkt gebracht: Es ist nichts<br />

anderes als gärtnern und ist e<strong>in</strong>e uralte<br />

Kulturpraxis, die schon sehr früh über<br />

ökonomische Notwendigkeiten h<strong>in</strong>auswuchs<br />

und re<strong>in</strong> ästhetische Motive hatte. Dies steht<br />

zwar bei der Biotoppflege nicht im<br />

Vordergrund, führt aber trotzdem dazu, dass<br />

bestimmte Zielzustände def<strong>in</strong>iert werden. Und<br />

hierbei ist es völlig egal, ob die natürliche<br />

Sukzession mit Hilfe e<strong>in</strong>heimischer <strong>oder</strong><br />

neophytischer Arten ihre eigene, dem<br />

Biotopschutz entgegenstehende Dynamik<br />

besitzt. Birken <strong>oder</strong> Rob<strong>in</strong>ien, Kratzdisteln<br />

<strong>oder</strong> Stauden-Knöterich s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong> ihrer Ausbreitungsdynamik<br />

völlig gleich zu beurteilen. In<br />

der Naturschutzpraxis und gerade bei sogenannten<br />

Ausgleichsmaßnahmen, womit ich <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em Beruf täglich zu tun habe, werden<br />

meistens Zielzustände favorisiert, denen<br />

bestimmte Pflanzengesellschaften der Vegetationskunde<br />

als Leitbild zugrunde liegen. Die<br />

Vegetationskunde ist aber ke<strong>in</strong> Gebetbuch,<br />

sondern e<strong>in</strong>e Wissenschaft, die wie andere<br />

Wissenschaften auch Phänomene beschreibt<br />

und systematisiert und so Gesetzmäßigkeiten<br />

für e<strong>in</strong> besseres Verständnis dieser Phänomene<br />

herausf<strong>in</strong>det. Als Zielvorgabe <strong>oder</strong><br />

Arbeitsanleitung ist sie nicht gedacht. „Gärt-<br />

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