PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
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22 Berliner Debatte Initial 17 (<strong>2006</strong>) 4<br />
Christoph Deutschmann<br />
Keynes und die Rentiers<br />
Warum die Überflußgesellschaft bis heute auf sich warten läßt<br />
I.<br />
Üblicherweise wird unter „Keynesianismus“<br />
eine wirtschaftspolitische Doktrin verstanden,<br />
die dem Staat und der staatlichen Geld- und<br />
Finanzpolitik eine zentrale Rolle bei der Gewährleistung<br />
eines hohen Beschäftigungsstandes<br />
zuweist. Jürgen Kromphardt hat es<br />
wie folgt formuliert: „Für mich besteht der<br />
Kern der Keynesianischen Botschaft darin,<br />
daß in einer kapitalistischen Marktwirtschaft<br />
mit dezentralen Investitionsentscheidungen<br />
die Koordinationsleistung der Märkte nicht<br />
ausreicht, um hohe Beschäftigung zu sichern,<br />
sondern daß der Staat in Situationen der Unteroder<br />
Überbeschäftigung die Nachfrage durch<br />
Geld und Fiskalpolitik steuern muß, um die<br />
gesamtwirtschaftliche Nachfrage entweder zu<br />
erhöhen oder zu vermindern“ (Kromphardt<br />
1987: 165). Für die Mehrzahl der Ökonomen gilt<br />
es heute freilich als ausgemacht, daß der Keynesianismus<br />
als beschäftigungspolitische Doktrin<br />
versagt hat und auch hinsichtlich seiner theoretischen<br />
Fundierung überholt ist (Skidelsky<br />
1996). In den beiden ersten Jahrzehnten nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg – die traumatischen<br />
Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise waren<br />
noch relativ frisch in Erinnerung – standen<br />
die Keynesschen Lehren bei den Theoretikern<br />
und Praktikern der Wirtschaftspolitik in den<br />
USA und in Westeuropa noch hoch im Kurs<br />
und hatten großen Einfluß auf die Geld- und<br />
Fiskalpolitik. Aber schon damals wichen die<br />
praktischen Resultate der Politik von der Theorie<br />
ab. Anders als erwartet, kam es in den USA<br />
und Westeuropa nicht zu einem tendenziellen<br />
Ausgleich von staatlichen Haushaltsdefiziten in<br />
der Krise und entsprechenden Überschüssen<br />
in Zeiten der Überbeschäftigung, sondern zu<br />
einer langsamen, aber stetigen Kumulierung<br />
der Defizite. Die Kluft zwischen Theorie und<br />
Praxis verschärfte sich insbesondere seit den<br />
1970er Jahren, als trotz weiter ansteigender<br />
Staatsverschuldung und zunehmender staatlicher<br />
Investitionen sowohl Arbeitslosigkeit<br />
als auch Inflation auf seit dem Zweiten Weltkrieg<br />
nicht gekannte Höhen anstiegen. Die<br />
Folge war bekanntlich das Umschwenken der<br />
Wirtschaftspolitik zur sogenannten „Angebotspolitik“<br />
mit dem Ziel, die Kostenbelastung der<br />
Unternehmen durch Löhne, Sozialabgaben und<br />
Steuern zu senken. Damit gelang es zwar, die<br />
Inflationsraten deutlich zu reduzieren, aber<br />
es wurden keine durchgreifenden Erfolge<br />
beim Abbau der Arbeitslosigkeit erzielt; auf<br />
dem europäischen Kontinent stieg die Arbeitslosigkeit<br />
sogar weiter an. Vor allem aber<br />
gelang es nicht, den Trend der Zunahme der<br />
Staatsverschuldung zu brechen. Schon allein<br />
wegen der stark angestiegenen Belastung der<br />
Staatshaushalte durch Zinsverpflichtungen – in<br />
manchen Ländern bereits ein Fünftel oder ein<br />
Viertel der Steuereinnahmen – scheint sich<br />
eine kreditfinanzierte Ausweitung der Staatsausgaben<br />
als Mittel der Beschäftigungspolitik<br />
von selbst zu verbieten.<br />
Nicht nur in der Praxis, sondern auch in der<br />
Theorie gilt der Keynesianismus als überholt.<br />
Schon seit den 1950er Jahren, als Debreu und<br />
Arrow die Walrassche Lehre wiederentdeckt<br />
und zu einer allgemeinen Theorie des wirtschaftlichen<br />
Gleichgewichts ausgebaut hatten,<br />
gewann die neoklassische Doktrin an Einfluß.<br />
Neoklassisch orientierte <strong>Autoren</strong> (Hicks, Sa-