PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
64 Ulrich Busch<br />
Dienstleistungsmetropole zu vollziehen. Die<br />
Wirtschaftsleistung je Einwohner beträgt in<br />
Berlin kaum die Hälfte derjenigen Hamburgs<br />
und nur ein Drittel derjenigen Münchens. Der<br />
Anteil der Beschäftigten liegt in allen Bereichen<br />
außer im öffentlichen Sektor deutlich unter<br />
dem Durchschnitt anderer Großstädte. Hinzu<br />
kommt, daß Berlin relativ gering in überregionale<br />
Wirtschaftskreisläufe eingebunden ist und die<br />
Wirtschaftskontakte mit dem Brandenburger<br />
Umland unterentwickelt sind. Zudem fehlte es<br />
Berlin bislang an einem realistischen visionären<br />
Leitbild für die Zukunft. 20 Da die Finanzkrise<br />
die Handlungsmöglichkeiten Berlins bereits<br />
jetzt stark einschränkt, ist zu befürchten, daß<br />
die anstehende weitere Konsolidierung des<br />
Haushalts die Zukunft der Stadt und der Region<br />
als Wirtschaftsstandort ernsthaft gefährdet<br />
(vgl. DIW 2002), so daß die prekäre Finanzlage<br />
nicht nur fortbestehen, sondern sich sogar noch<br />
weiter verschärfen wird.<br />
Sachsen-Anhalt in der Schuldenfalle<br />
Die krasseste Problemlage unter den neuen<br />
Bundesländern weist Sachsen-Anhalt auf. Hier<br />
kreuzen sich schwierige demographische und<br />
strukturelle Probleme mit schwerwiegenden<br />
wirtschaftlichen Fehlentwicklungen. Das Ergebnis<br />
ist heute eine beinahe ausweglose finanzielle<br />
Situation und eine absehbare Finanzkrise in<br />
der nahen Zukunft.<br />
Die Einwohnerzahl Sachsen-Anhalts verringerte<br />
sich zwischen 1990 und 2004 überproportional,<br />
um 13,2%. Bis 2020 wird ein<br />
weiterer Rückgang von 17,6% erwartet. Von<br />
einst rund drei Millionen Einwohnern hat<br />
das Land dann nur noch zwei Millionen. Aber<br />
selbst auf diesem Niveau ist nicht mit einer<br />
Stabilisierung zu rechnen: Bis 2050 wird die<br />
Bevölkerungszahl auf 1,4 Millionen fallen,<br />
was gegenüber 1990 mehr als eine Halbierung<br />
bedeutet und gegenüber 1950 einen Rückgang<br />
um fast zwei Drittel. Ursache dafür ist neben<br />
der niedrigen Geburtenrate vor allem die<br />
anhaltende Abwanderung junger Menschen,<br />
die in der Region für sich keine hinreichende<br />
Lebensperspektive mehr sehen. Betroffen sind<br />
hiervon alle Landkreise und Städte, auch die<br />
größeren Zentren wie Halle (-48,5%), Magdeburg<br />
21 (-46,4%) und Dessau (-58,4%) 22 . Mit<br />
dem Rückgang der Einwohnerzahl verändert<br />
sich die Altersstruktur der Bevölkerung: Der<br />
Anteil der Jugendlichen sinkt und der Anteil<br />
der Älteren erhöht sich. Konsequenzen dieser<br />
Entwicklung sind der dramatische Rückgang<br />
des Erwerbstätigenpotentials, der Kaufkraft<br />
und der Nachfrage, mit entsprechenden Folgen<br />
für Produktion und Beschäftigung, wodurch<br />
sich die Abwärtsspirale verstärkt.<br />
Einst geprägt durch große Industrieansiedlungen,<br />
vor allem im Maschinenbau, in<br />
der Chemie- und der Lebensmittelindustrie,<br />
wurde das Land nach 1990 einem radikalen<br />
Deindustrialisierungsprozeß und wirtschaftlichen<br />
Umbau unterworfen. Als Ergebnis dieses<br />
Um- und Restrukturierungsprozesses entstand<br />
eine Dependenz- und Transferökonomie, gekennzeichnet<br />
durch eine klein- und kleinstbetriebliche<br />
Unternehmensstruktur mit schmaler<br />
Forschungsbasis und geringer überregionaler<br />
Marktpräsenz. Es fehlt an leistungsstarken<br />
Groß- und Mittelbetrieben, an „industriellen<br />
Kernen“, innovativen Forschungseinrichtungen,<br />
„Leuchttürmen“ und Produktionsclustern.<br />
Trotz Wirtschaftsförderung und externer<br />
Investitionen stagniert die Wirtschaft Sachsen-<br />
Anhalts seit 1995: Das BIP-Wachstum betrug<br />
im Jahresdurchschnitt kaum1%. 2000–2005 lag<br />
das Wachstum insgesamt bei 4,6% und damit<br />
unter den Werten für Sachsen und Thüringen<br />
(Arbeitskreis VGR <strong>2006</strong>). Die Prognosen für<br />
die nächsten Jahre geben wenig Hoffnung<br />
auf eine durchgreifende Besserung der Lage.<br />
Beide Prozesse, der demographische und der<br />
wirtschaftliche, sind für den aktuellen Zustand<br />
und die Perspektiven der öffentlichen Finanzen<br />
von eminenter Bedeutung. So decken die<br />
originären Steuereinnahmen derzeit kaum 40%<br />
der Ausgaben, und selbst bei Berücksichtigung<br />
aller Umverteilungsvorgänge und Zahlungen<br />
des Bundes ist das Land nicht in der Lage, seine<br />
Ausgaben zu finanzieren, so daß regelmäßig<br />
ein Defizit verbleibt. Die Nettokreditaufnahme<br />
resp. Nettoneuverschuldung betrug 2004 1,3<br />
Mrd. €; 2005 1,1 Mrd. €. Kumuliert ergibt sich<br />
aktuell für das Land ein Schuldenstand von 19,4<br />
Mrd. €. Pro Kopf gerechnet sind das 7.684 €,<br />
womit Sachsen-Anhalt die Rangliste aller Flä-