PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
2 Berliner Debatte Initial 17 (<strong>2006</strong>) 4<br />
Editorial<br />
Als Milton Friedman Anfang der 1970er Jahre<br />
erklärte: „Wir sind heute alle Keynesianer, keiner<br />
ist mehr ein Keynesianer“, markierte er damit<br />
einen Wendepunkt in der Wirtschaftstheorie.<br />
John Maynard Keynes (1883–1946) war in aller<br />
Munde, seine Analysen und die auf ihn zurückgehende<br />
Terminologie waren Allgemeingut,<br />
seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen<br />
jedoch galten als obsolet. Dies betraf die Finanzpolitik<br />
und die Globalsteuerung ebenso<br />
wie die Geld- und Währungspolitik samt den<br />
dafür geschaffenen Institutionen IWF und<br />
Weltbank sowie das System fester Wechselkurse<br />
von Bretton Woods. War Keynes, der bedeutendste<br />
Theoretiker des Fordismus, damit tot<br />
und ein und für allemal erledigt?<br />
Zunächst schien es so. Die neoklassische<br />
und neoliberale Lehre beherrschte das Feld, im<br />
akademischen Diskurs wie in der Wirtschaftspolitik.<br />
Für Deutschland gilt dies in besonderem<br />
Maße, weit mehr noch als für die angelsächsischen<br />
Länder. Insbesondere für die Zeit nach<br />
1989/90, als sich die neoliberale Angebotspolitik<br />
den Sieg des marktwirtschaftlichen Kapitalismus<br />
über den Staatssozialismus allein auf die<br />
Fahnen heftete. Heute ist die Situation jedoch<br />
eine andere: Wachstumsschwäche, Massenarbeitslosigkeit,<br />
Haushaltskrisen und volkswirtschaftliche<br />
Ungleichgewichte führen zur Kritik<br />
am Neoliberalismus. In der Wirtschaftspolitik<br />
zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, der<br />
zur Wiederentdeckung der gesamtwirtschaftlichen<br />
Vernunft führt und vielleicht bald auch<br />
zu einer neuen Geld-, Finanz- und Lohnpolitik.<br />
Schon heute, sagt Claus Noé, verbreitet sich<br />
die „Einsicht, daß die Politik der permanenten<br />
Lohnzurückhaltung falsch war“. Auch gibt es<br />
inzwischen heftige Debatten über die Geldpolitik,<br />
worin die keynesianische Position, den<br />
Realzins unter die reale Wachstumsrate zu<br />
drücken, um Sachinvestitionen zu fördern, an<br />
Boden gewinnt. Angesichts der Unmöglichkeit,<br />
die anstehenden Probleme mit dem herkömmlichen<br />
Instrumentarium zu lösen, stellt sich die<br />
Frage des Rückgriffs auf Keynes. Keynes war<br />
immer an Lösungen für praktische Probleme<br />
interessiert. Dies unterscheidet ihn von den<br />
ökonometrischen „Glasperlenspielern“ in der<br />
Gegenwart. Kommt es zu einer Renaissance<br />
des Keynesianismus? Wie würde dieser neue<br />
Keynesianismus wirtschaftspolitisch aussehen,<br />
und wie würde er funktionieren? Eine Wiederbelebung<br />
gesamtwirtschaftlichen Denkens und<br />
Handelns ist wünschenswert, reicht aber nicht<br />
aus, um die Wirtschaft aus der Stagnationsfalle<br />
herauszuführen. Aber wie würde eine keynesianische<br />
Geld-, Finanz-, Verteilungs- und<br />
Beschäftigungspolitik heute konkret beschaffen<br />
sein? Und wie steht es mit zentralen Thesen<br />
Keynesschen Denkens in diesem Kontext,<br />
etwa der „Unsicherheit“, der „Euthanasie“ des<br />
Rentiers, der Vermögenspolarisierung, der<br />
Nichtneutralität des Geldes und der aktiven<br />
Beschäftigungspolitik? Einige dieser Themen<br />
finden in diesem Heft ihren Niederschlag. So<br />
geht Michael Heine der Frage nach, inwieweit<br />
sich der Keynessche Unsicherheitsbegriff von<br />
der neoklassischen „Wahrscheinlichkeit“ unterscheidet<br />
und welche Konsequenzen dies mit<br />
sich bringt. Christoph Deutschmann analysiert<br />
die sich verändernden Existenzbedingungen<br />
des Rentiers in der Gegenwart. Arne Heise stellt<br />
neuere keynesianische Ansätze der Geldtheorie<br />
und -politik vor. Ulrich Busch diskutiert die