PDF 2006-4 Autoren pdf.indb - Linksreformismus
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28 Christoph Deutschmann<br />
erhebliche Marktanteile im ausländischen<br />
Finanzgeschäft erobern zu können, was ja vor<br />
allem in den 80er und 90ere Jahren besonders<br />
im Investmentgeschäft auch geschehen ist. Die<br />
USA gehörten daher von Anfang an zu den<br />
stärksten Befürwortern einer Liberalisierung<br />
der Kapitalmärkte“ (ebd.: 129).<br />
(2) Die Liberalisierung der Kapitalmärkte<br />
entzog der bis dahin praktizierten keynesianischen<br />
Konjunktursteuerung den Boden<br />
und hatte die bekannten „disziplinierenden“<br />
Wirkungen auf die nationalstaatliche Geldund<br />
Fiskalpolitik. Regierungen, die eine mit<br />
den Kapitalinteressen nicht konforme Politik<br />
betrieben, waren nun in ganz anderer Weise mit<br />
der „Exit“-Drohung der Vermögenseigentümer<br />
konfrontiert als unter dem Regime von Bretton<br />
Woods. Dank seiner neu gewonnenen Beweglichkeit<br />
auf den internationalen Finanzmärkten<br />
konnte das Kapital sich überall rar machen und<br />
damit die Politik unter Druck setzen – obwohl<br />
es, genau wie Keynes es vorausgesehen hatte,<br />
faktisch längst nicht mehr „knapp“ war. Im Gegenteil<br />
wurde die Überliquidität an den Märkten<br />
und die durch sie bewirkte spekulative Aufblähung<br />
der Vermögens- und Immobilienwerte zu<br />
einem immer drängenderen Problem.<br />
In der Geldpolitik führte diese Konstellation<br />
dazu, daß die Zentralbanken trotz der wachsenden<br />
Arbeitslosigkeit die Zinsen erhöhten<br />
und auf einen rigiden Anti-Inflationskurs<br />
umschwenkten. Der in den 1970er Jahren<br />
drohenden Auszehrung der Finanzvermögen<br />
durch die Inflation wurde damit ein Riegel<br />
vorgeschoben. Die institutionelle Autonomisierung<br />
der Zentralbanken und die gleichzeitige<br />
Entstehung einer internationalen „financial<br />
and banking community“, die Geldpolitik als<br />
gänzlich unpolitisches Metier der Wahrung<br />
der Geldwertstabilität versteht (Weinert 2002),<br />
haben diese Entwicklung gefördert. Wie die<br />
Enquêtekommission des Deutschen Bundestages<br />
(2002), gestützt auf eine Untersuchung von<br />
David Felix, gezeigt hat, stieg das Niveau der<br />
Realzinsen in den G 7-Ländern seit Beginn der<br />
1980er Jahre über das der jährlichen Zuwachsraten<br />
des Bruttosozialprodukts. Finanzanlagen<br />
wurden dadurch gegenüber Investitionen in<br />
Sachwerte begünstigt. Obwohl die nominalen<br />
Zinssätze nach der Rezession von 2001 zum<br />
Teil auf historische Tiefstände gesenkt werden<br />
mußten, dauerte diese Konstellation in Japan<br />
und Europa auch danach weiter an.<br />
In der Fiskalpolitik hatte der Druck der<br />
Vermögensinteressen einen Wettlauf der<br />
Nationalstaaten um die Senkung der Unternehmens-<br />
und Vermögenssteuern sowie<br />
der Spitzensätze der Einkommenssteuer zur<br />
Folge. Im Durchschnitt der OECD-Länder<br />
sanken die durchschnittlichen Steuersätze für<br />
Unternehmen im Zeitraum 2000 bis 2004 von<br />
33,6 auf 29,8 Prozent, der durchschnittliche<br />
Spitzensatz der Einkommenssteuer reduzierte<br />
sich von 47,1 auf 44 Prozent (OECD 2005). In<br />
Deutschland läßt sich schon seit Anfang der<br />
1980er Jahre ein Trend zur Umschichtung der<br />
Steuerlasten von den Kapitalsteuern auf Arbeits-<br />
und Konsumsteuern beobachten: Während<br />
die Gesamtsteuerbelastung im Zeitraum<br />
1981 bis 1997 konstant bei knapp 38 Prozent<br />
des BIP blieb, sanken die durchschnittlichen<br />
effektiven Steuersätze auf Kapital von 47,6 auf<br />
36,4 Prozent, dagegen stiegen die Steuersätze<br />
auf Arbeit und Konsum von insgesamt 43 auf 46<br />
Prozent (Ganssmann 2004: 170); eine Tendenz,<br />
die sich auch in den folgenden Jahren dank der<br />
Abschaffung der Vermögenssteuer und weiterer<br />
Steuerreformen fortgesetzt hat. Die durch die<br />
Steuergeschenke an die Vermögenden, aber<br />
auch durch das geringe Wirtschaftswachstum,<br />
verursachten Einnahmeausfälle führten in<br />
zahlreichen Ländern zu Ausgabenkürzungen<br />
bei den Sozialbudgets, Personalreduktionen<br />
im Öffentlichen Dienst und Kürzungen der<br />
öffentlichen Investitionen. Durch Privatisierungen<br />
öffentlicher Dienstleistungen und<br />
Verkäufe staatlichen Eigentums versuchten<br />
die Regierungen ihre Finanznöte zu lindern.<br />
Allein zwischen 1990 und 1997 stiegen die<br />
Erlöse aus den Verkäufen staatlichen Eigentums<br />
weltweit von rund 33 auf 153 Mrd. US-Dollar<br />
(Huffschmid 2002: 79). Die Regierungen gaben<br />
damit zugleich dem Drängen der Investoren<br />
nach Erschließung neuer Kapitalanlagesphären<br />
nach. Betroffen waren in den 1990er Jahren<br />
vor allem die Bereiche Verkehr, Energie- und<br />
Wasserversorgung, Telekommunikation sowie<br />
Banken und Versicherungen. Weitere Sektoren,<br />
insbesondere das Bildungswesen und<br />
das Gesundheitswesen, sind bereits ins Visier