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FACHARTIKEL Unter Psychosen versteht man schwere psychische Störungen, die mit zeitweiligem Realitätsverlust einhergehen. Im Gegensatz zu Neurosen, die in der Regel mit Psychotherapie behandelt werden können, muss die Psychose normalerweise mittels Psychopharmaka beziehungsweise Operationen behandelt werden. NEUROSEN In der Praxis werden wir heute am häufigsten mit Neurosen (Befindlichkeits- und Persönlichkeitsstörungen) konfrontiert. Besonders im dritten Lebensjahrzehnt treten Neurosen verstärkt auf. Die Neurose ist eine psychosoziale Störung, bei der kein Hinweis auf eine organische Störung vorliegt. Sie ist eine krankhafte Störung der Erlebnisverarbeitung, wodurch der Neurotiker einen nicht ausreichend verarbeiteten oder verdrängten Konflikt mit sich herumträgt. Nicht gelöste Konflikte, die meist aber nicht immer, aus der Kindheit stammen, werden zu einem Problem, welches sich in seelischen (emotionalen), psychoso zialen oder körperlichen Krankheitszeichen äußern kann. Obwohl das Verhalten des Betroffenen beeinträchtigt sein kann, bewegt man sich in der Regel in sozial akzeptierten Grenzen, weil die Persönlichkeit des Patienten erhalten bleibt. In nicht wenigen Fällen äußern sich die Krankheitszeichen sogar in sozial akzeptierten Tugenden wie (übertriebener) Arbeitseifer, Ordnungsliebe oder Organisationstalent. Doch sind auch solche neurotischen Krankheitszeichen Folge des dahinterstehenden seelischen Konfliktes, der allerdings in der Regel unbewusst (verdrängt) ist. Nach Freud 1 handelt es sich hierbei um die Verdrängung von Triebwünschen, wobei das auffällige Verhalten ein Symptom dafür ist, dass die Verdrängung nicht vollständig funktioniert. Neurotische Anteile hat jeder Mensch in seiner Persönlichkeitsstruktur, sodass man hier noch nicht unbedingt von Krankheit zu sprechen braucht, da der Betroffene damit umgehen kann. Erst wenn es zu auffälligen oder beunruhigenden Verhaltensweisen kommt zeigt das, dass sich die seelischen Probleme der Kontrolle des Bewusstseins entzogen haben. Man weiß heute, dass eine Neurose fast immer einen Bezug zur Lebensgeschichte des Betroffenen hat. So entstehen irgendwann Konfliktsituationen, die nicht bewältigt werden können und dann ins Unbewusste verdrängt werden. Nun kann es vorkommen, dass in Extremsituationen, sogenannten Auslösesituationen, der Konflikt in Form eines Symptoms aus dem Unbewussten aufsteigt. Hintergrund ist, dass die Person weder das Kind noch der Erwachsene über mentale oder emotionale Bewältigungsstrategien verfügt und somit mit Symptomen reagiert. DIAGNOSE UND MÖGLICHE SYMPTOME VON NEUROSEN DIAGNOSE In der Regel sind Menschen, die an einer Neurose leiden ängstlich, gehemmt und unsicher. Meist fällt ihre konflikthafte und ambivalente Einstellung gegenüber ihren Mitmenschen auf sowie Störungen in der Entwicklung grundsätzlicher Lebensbereiche. In der Anamnese lässt sich normalerweise eine Parallele zu einem Auslöser und dem zeitlichen Auftreten eruieren. Die auslösende Situation aktiviert oder erzeugt einen Konflikt, der allerdings unbewusst (verdrängt) ist und daher nicht in Zusammenhang mit den Symptomen gebracht wird. Auslöser von Neurosen Akute Belastungen (Veränderungen im Leben, Trennung, Krankheit, Wechseljahre, Tod eines Elternteils/Partners, Partnerprobleme) Ungünstige Umwelteinflüsse (Belastungen im Beruf, zu starke Eltern/Partnerbindung, negative Erfahrungen etc.) Vererbte, konstitutionelle Faktoren und daraus resultierende Charaktereigenschaften Ob und wie stark ein Mensch eine Neurose entwickelt hängt davon ab, ob eine Vorschädigung im Sinne nicht verarbeiteter Situationen vorliegt und wie stark diese Belastung ist und welche individuelle Persönlichkeitsstruktur der Mensch hat. Diese ist zum einen genetisch determiniert und weiter eine Folge der eigenen Lebenserfahrung, die bei der Entwicklung von Kompensationsmechanismen und eigenen Problemlösungsstrategien (die allerdings wieder von der Charakterstruktur abhängig sind) hilfreich ist. Weiter sind natürlich die Ausbildung des eigenen Selbstbewusstseins sowie soziale Unterstützungssysteme wie Partner oder die Familie ein wesentlicher Faktor. Dass einmalige traumatische Erlebnisse wie Freud dies postulierte, die Ursache für Neurosen legen können ist zwar möglich, hat sich in der Praxis aber weniger bestätigt. Eher scheinen länger einwirkende Einflüsse, wie dies in der Familie der Fall ist (Großeltern, Eltern, Geschwister, Verwandte), aber auch der Beruf eine zentrale Rolle zu spielen. 1 Sigmund Freud (* 6. Mai 1856 in Freiberg, Mähren, tschechisch Príbor; † 23. September 1939 in London). Sigismund Schlomo Freud, war ein bedeutender österreichischer Arzt, Tiefenpsychologe und Religionskritiker, der als Begründer der Psychoanalyse weltweite Bekanntheit erlangte. 26 6 27
FACHARTIKEL SYMPTOME Neurotische Symptome können sich auch schon bei Kindern und Jugendlichen zeigen. Hierzu zählen in der Zwischenzeit leider allzu bekannte Erscheinungen wie: Enuresis, Enkopresis Anorexie, Bulimie Emesis, Vomitus hystericus Herz-Atembeschwerden (psychisch bedingt) Gehemmtheit, überdurchschnittliches Anlehnungsbedürfnis, Überangepasstheit Phobien Stottern Tics (psychogen) Onychophagie Fortlaufen, Schuleschwänzen Aggressivität Bei Erwachsenen können diese Symptome erhalten bleiben oder sich durch folgende weitere Symptombilder bemerkbar machen: Seelische Störung Angstneurosen Depressionen Zwangshandlungen/-gedanken Emotionale Störung Stimmungsschwankungen, Störung im zwischenmenschlichen/sozialen Bereich Schuldgefühle, Schamgefühle Unsicherheit, gestörter Selbstwert nachlassende Leistungsbereitschaft, innere Anspannung Körperliche Symptome organisch nur schwer begründbare Schmerzzustände Störungen im sexuellen Bereich Schlafstörungen VERARBEITUNGSSTRATEGIEN DER NEU- ROTISCHEN PERSÖNLICHKEIT In der Psychologie geht man davon aus, dass für die Entstehung einer Neurose auf der einen Seite Triebimpulse auf der anderen Seite aber auch Abwehrvorgänge eine Rolle spielen. Diese als Trieb-Abwehr-Konflikt bezeichneten Vorgänge sollen sich gegenseitig neutralisieren. Die Triebimpulse stellen hier das „Durchbrechen“ der verdrängten Konflikte dar, die vom Betroffenen durch seine(n) Abwehrmechanismus neutralisiert werden sollen. Diese Abwehrmechanismen sind es, denen wir in der Praxis begegnen. Identifikation Hier werden Eigenschaften, Charakteristika, Verhaltensmuster oder Ziele anderer Personen übernommen. Isolierung Hier erfolgt eine Trennung von den mit dem Thema verbundenen Emotionen (Gefühlen) sowie eine Abkopplung von anderen Gedankenverbindungen. Projektion Konflikte, Triebe, emotionale Störungen werden auf andere Personen/Gruppen/Themen projiziert und dort bekämpft. Psychosoziale Abwehr Der Betroffene ermutigt andere zu Handlungen, zu denen man selbst nicht bereit ist. Werden diese von anderen ausgeführt entlastet er sich dadurch. Rationalisierung Themen, die man selbst negativ bewertet wie z. B. Scham, Sexualität, Schuld, werden durch Betrachtungen mittels ethischen oder moralischen Wertvorstellungen gelöst. Reaktionsbildung Hier erfolgt eine Verkehrung ins Gegenteil. Beispielsweise werden Personen, die man eigentlich nicht mag, besonders freundlich behandelt. Regression Um Problemen aus dem Weg zu gehen, fällt man in Verhaltensmuster zurück, die beispielsweise in der Kindheit (oder zu früheren Zeiten) funktioniert haben. Sublimierung Triebimpulse werden in sozial, kulturell und moralisch höher bewertete Formen umgewandelt, um sie dadurch doch ausleben zu können. Verdrängung Erfahrungen, die nicht verarbeitet werden konnten, werden ins Unbewusste gedrängt. Verschiebung Konflikte, die man mit einer bestimmten Person hatte und die man dort nicht lösen konnte, werden auf eine andere Person (oder andere Personen) verschoben und dort ausgelebt. Wendung gegen das Ich Triebimpulse wenden sich gegen die eigene Person. Merke. Nicht alle Abwehrmechanismen sind nur negativ zu bewerten, denn sie können auch bei der Lösung der Probleme sowie bei der Weiterentwicklung der Persönlichkeit genutzt werden. 26 27 7
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