Der Angst vor dem Tod begegnen - tine-schreibt
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Durch die Lage an einer Hauptverkehrsstraße fielen viele Blicke auf die Grabsteine, die<br />
die Passanten explizit dazu aufforderten, innezuhalten und sich des dort ruhenden Verstorbenen,<br />
sowie seiner sorgsam aufgelisteten Taten zu erinnern. Aus der Mode kam diese<br />
Form der Bestattung erst mit <strong>dem</strong> Aufstieg des Christentums und seiner<br />
Jenseitsversprechen (vgl. Prioreschi, 1990, S. 28f, 212).<br />
3.2.4. Späte Renaissance bis Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
- Ca. 1600 bis Mitte 1800 -<br />
Aus der Vorstellung der Weiterführung des gewöhnlichen Lebens im Jenseits entwickelte<br />
sich laut Ariès bald die Idee, dass der <strong>Tod</strong> durch die Lösung der Seele vom Körper das<br />
Ende, die "Erfüllung" (ebd. S. 169) eines jeden Lebens darstellt. Dieser erneute Bedeutungsgewinn<br />
des Sterbeereignisses brachte mit sich, dass sich das Leben erneut in teleologischer<br />
Weise auf dieses ausrichtete und die gesamte Lebensführung - nach<br />
mittelalterlichem Vorbild - als Vorbereitung auf einen 'guten' <strong>Tod</strong> gesehen wurde. <strong>Der</strong><br />
Unterschied von neuem und altem Modell bestand allerdings darin, dass sich die Menschen<br />
der Renaissance und frühen Neuzeit auf den moralischen Aspekt ihrer Religion<br />
konzentrierten, während die mittelalterliche Gesellschaft deren übernatürliche Aspekte<br />
her<strong>vor</strong>hob. Auch lag durch die Betonung der Moral die Verantwortung für das eigene<br />
Leben und Nach-Leben noch einmal in besonderem Maße in den Händen des Individuums<br />
(vgl. ebd.).<br />
Fundamental ist in diesem Zusammenhang die Verlagerung moralischer Konflikte ins<br />
Gewissen des Einzelnen. Analog dazu verschwanden auch die metaphorischen Protagonisten<br />
der ewigen Schlacht zwischen Gut und Böse - Engel, Teufel und Dämonen - zunehmend<br />
aus der Alltags- und Vorstellungswelt. Selbst im kirchlichen Umfeld, in <strong>dem</strong> zur<br />
Verstärkung moralisch guten Verhaltens immer wieder gern auf diese Bildsprache zurückgegriffen<br />
wurde, verlagerte sich der Fokus von den außerhalb der Gesellschaft und<br />
Menschheit stehenden Mächten auf deren Entsprechungen innerhalb der direkten, alltäglichen<br />
menschlichen Erfahrungswelt (vgl. Soeffner, 2008, S. 134).<br />
Die tatsächliche Bedeutung dieser Entwicklung geht über das Überwinden mittelalterlicher<br />
Schreckenstaktiken hinaus: Durch die Verlagerung des moralischen Gefechts und der Verantwortung<br />
ins Innere wurden auch die Orte, die dessen Pole versinnbildlichen, zunehmend<br />
als innere Zustände der menschlichen Seele verstanden. <strong>Der</strong> Himmel wurde zum<br />
reinen Gewissen, während die Hölle im Ertragen eines schlechten Gewissens bestand.<br />
Diese Entwicklung fällt in Teilen mit <strong>dem</strong> Zeitalter der Aufklärung und der beginnenden<br />
Säkularisierung von Gesellschaft und Politik zusammen (vgl. ebd.).<br />
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