Der Angst vor dem Tod begegnen - tine-schreibt
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seinen Eltern keine Sorgen bereiten wollen. Seine Arbeitskollegen haben mit verstärkter<br />
Rücksichtnahme reagiert. Die einzige ablehnende, distanzierende Reaktion habe seine<br />
Ehefrau an den Tag gelegt; die Beziehung zu ihr sei jedoch auch zu<strong>vor</strong> schon von emotionaler<br />
Distanz geprägt gewesen. Auf Nachfrage erklärte er, dass seine Frau das Thema der<br />
Sterblichkeit generell als aversiv zu erleben scheine.<br />
Als funktional kann das hier beschriebene Coping bezeichnet werden, da es M. ermöglicht,<br />
seine Krebserkrankung, sowie spätere gesundheitliche Vorkommnisse als sinnerfüllte<br />
Chance zu verstehen. 'Mangelnde seelische Balance' ist außer<strong>dem</strong> ein ausreichend vager<br />
Begriff, um sicherzustellen, dass retrospektiv stets der unterstellte Grund für den gesundheitlichen<br />
Zwischenfall gefunden und das Weltbild aufrecht erhalten werden kann.<br />
5.5.4. Fazit<br />
Betrachtet man Krebs als ein Beispiel für eine länger andauernde, lebensbedrohliche<br />
Situation, so fällt auf, dass Patientenaussagen und empirische Untersuchungen ein ambivalentes<br />
Bild zeichnen. Auf der einen Seite steht die hohe subjektive Lebensqualität der<br />
Erkrankten, auf der anderen das objektive körperliche Leid, das ihre Krankheit mit sich<br />
bringt, sowie die von der <strong>Tod</strong>esnähe ausgelöste psychische Belastung, die beide nicht mit<br />
hoher Lebensqualität vereinbar zu sein scheinen. Wie ist dies zu interpretieren?<br />
Wie am Beispiel des interviewten M., sowie den Ergebnissen von Morasso erkennbar, gibt<br />
es einen Anteil Patienten, die ihre Erkrankung aus verschiedenen Gründen nicht als<br />
Bedrohung erleben. Die Mechanismen, die dies herbeiführen, können sowohl funktional<br />
sein - die Krankheit wird als sinnerfüllte Chance für Veränderung gesehen -, als auch dysfunktional<br />
- Verdrängung. Ob auch funktionale Strategien ein Ausweichen <strong>vor</strong> der Beschäftigung<br />
mit der eigenen Sterblichkeit bedeuten können, sei dahingestellt; eine Wertung<br />
funktionaler Bewältigungsstrukturen ist kaum zulässig.<br />
Wie entwicklungsfördernd es sich auswirken kann, die eigene Sterblichkeit zu realisieren<br />
und in dieser Gewissheit zu leben, zeigt sich <strong>vor</strong> allem am Beispiel krebskranker Kinder<br />
und Jugendlicher: Kehren sie nach all den Erfahrungen und Gedanken, die oft im Rahmen<br />
einer Krebstherapie stattfinden, in ihren gewohnten Alltag zurück, bleibt bei vielen von<br />
ihnen auch nach der Akklimatisierung ein Gefühl der Entfremdung von den Altersgenossen<br />
zurück. Die Probleme der anderen Kinder werden nicht mehr verstanden; stattdessen<br />
gelingt es den Überlebenden, Erwachsene zu trösten und ihnen mit ihren Sorgen zu helfen.<br />
Es zeigt sich an krebskranken Kindern auch, dass die Erkrankung nicht selten für das<br />
Umfeld des Kindes eine viel größere Belastung darstellt, als für das Kind selbst. Erweist<br />
sich die Krankheit schließlich als unheilbar, sind es oft die Kinder, die ihre Eltern "an die<br />
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