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Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten

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negativen Komponente umfasst es auch das Recht, sich nicht zu verheiraten. Mit anderen<br />

Worten, das Recht auf Ehe schliesst für jede Person das Recht ein, selbst zu entscheiden, ob<br />

sie heiraten möchte <strong>und</strong> wenn ja, wen 47 .<br />

Wie die anderen Gr<strong>und</strong>freiheiten gilt auch das Recht auf Ehe nicht absolut. Es kann unter den<br />

Bedingungen eingeschränkt werden, die in Artikel 36 BV festgelegt sind. Einschränkungen<br />

des Rechts auf Ehe sind somit möglich, sofern sie auf einer ausreichenden gesetzlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lage beruhen, durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt <strong>und</strong><br />

verhältnismässig sind <strong>und</strong> den Kerngehalt des Rechts nicht antasten.<br />

3.3.2 <strong>Zwangsheiraten</strong><br />

Wie bei den meisten Gr<strong>und</strong>rechten kommt Artikel 14 BV in erster Linie eine abwehrende<br />

Funktion zu, die sich gegen den Staat richtet. Er verpflichtet den Staat somit, die Freiheit, eine<br />

Ehe einzugehen, <strong>und</strong> die Freiheit, keine Ehe einzugehen, nicht zu beeinträchtigen.<br />

Eine andere Frage ist, ob sich aus Artikel 14 BV für den Staat eine positive Pflicht ableitet,<br />

Beeinträchtigungen seitens <strong>von</strong> Privaten zu verhindern (Schutzpflicht). Die neuere<br />

Rechtsprechung <strong>und</strong> Lehre anerkennen, dass sich aus den Gr<strong>und</strong>rechten im Allgemeinen eine<br />

Schutzpflicht zulasten des Staates gegenüber Gefährdungen der Gr<strong>und</strong>rechte ableitet, die <strong>von</strong><br />

Dritten ausgehen 48 . Dieser Auftrag richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber,<br />

hauptsächlich im Bereich des Zivil- <strong>und</strong> Strafrechts, der in den Gesetzen Bestimmungen<br />

einführen muss, um die Gr<strong>und</strong>rechte zu schützen 49 . Diese positive Funktion der Gr<strong>und</strong>rechte<br />

ist namentlich in Artikel 35 Absatz 3 BV festgelegt.<br />

Wie aus dem Wortlaut <strong>von</strong> Artikel 35 Absatz 3 BV hervorgeht, geben jedoch nicht alle<br />

Gr<strong>und</strong>rechte Anlass zu positiven Verpflichtungen zulasten der Behörden 50 . Aus dem Recht<br />

auf Leben <strong>und</strong> körperliche Unversehrtheit sowie aus dem Recht auf Schutz des Privat- <strong>und</strong><br />

Familienlebens leiten sich anerkanntermassen derartige Schutzpflichten ab 51 . Hingegen hat<br />

die Rechtsprechung das Bestehen einer positiven Pflicht, die sich aus dem Recht auf Ehe<br />

ableitet, bisher nicht anerkannt. Doch selbst wenn vom Bestehen einer derartigen<br />

Schutzpflicht ausgegangen würde, könnte diese keinen absoluten Schutz gegen jegliche<br />

Beeinträchtigung gewährleisten 52 . Zudem bewahrt der Gesetzgeber bei der Wahl der zu<br />

treffenden Massnahmen auf jeden Fall einen breiten Ermessenspielraum, da diese Frage eng<br />

mit der Ermessensausübung der politischen Behörden verb<strong>und</strong>en ist 53 .<br />

Im vorliegenden Fall lässt sich somit aus Artikel 14 BV keine Pflicht für den Gesetzgeber<br />

ableiten, eine weiter gehende Regelung zur Bekämpfung <strong>von</strong> <strong>Zwangsheiraten</strong> als jene zu<br />

erlassen, die im geltenden Recht in Artikel 107 Ziffer 4 ZGB (Möglichkeit, die<br />

Ungültigerklärung einer Ehe zu verlangen, die unter Bedrohung durch eine nahe <strong>und</strong><br />

erhebliche Gefahr für das Leben, die Ges<strong>und</strong>heit oder die Ehre der betroffenen Person oder<br />

einer ihr nahe verb<strong>und</strong>enen Person eingegangen wurde) <strong>und</strong> in Artikel 181 StGB (Nötigung)<br />

vorgesehen ist.<br />

47 JÖRG PAUL MÜLLER, Gr<strong>und</strong>rechte in der Schweiz, Bern, 1999, Seite 102. Auch PASCAL MAHON, Art. 14, in:<br />

Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, 2003, Rn 4.<br />

48 BGE 126 II 300, Erw. 5. Siehe auch JÖRG PAUL MÜLLER in: THÜRER / AUBERT / MÜLLER, 2001, Rn 37;<br />

PASCAL MAHON, a.a.O., Rn 13.<br />

49 PASCAL MAHON, a.a.O., Rn 13.<br />

50 JÖRG PAUL MÜLLER in: THÜRER / AUBERT / MÜLLER, 2001, Rn 38.<br />

51 BGE 126 II 300, Erw. 5a), <strong>und</strong> die zitierten Verweise auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />

für Menschenrechte.<br />

52 BGE 126 II 300, Erw. 5b.<br />

53 Botschaft über eine neue B<strong>und</strong>esverfassung, BBl 1997 I 193.

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