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Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten

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6<br />

1. Einleitung<br />

Erzwungene <strong>und</strong> arrangierte <strong>Heiraten</strong> sind in den letzten Jahren auch in unserem Land<br />

vermehrt in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Dies geschah im<br />

Zusammenhang mit verschiedenen Aufsehen erregenden Fällen <strong>von</strong> Zwangsheirat, wie etwa<br />

jenem der in Deutschland aufgewachsenen gebürtigen Türkin Zahide D., die mit ihrem<br />

Fre<strong>und</strong> in die Schweiz geflüchtet war, um einer Zwangsheirat zu entkommen; das Paar wurde<br />

auf Anordnung des Familienrats am 18. Mai 2001 in seiner Wohnung in Niederscherli bei<br />

Bern ermordet. Im Mai 2006 wurden zwei türkische Staatsangehörige aus der Schweiz<br />

ausgewiesen, weil sie ihrer Tochter resp. ihrer Ehefrau, einer 21-jährigen, in der Schweiz<br />

aufgewachsenen Türkin, die sich gegen den Vollzug der angeblich erzwungenen Ehe<br />

auflehnte, Ehrenmord angedroht hatten 1 . Am 29. November 2006 wurde in Bellinzona der 26-<br />

jährige pakistanische Staatsangehörige Ajmal A. zu 18 Jahren Zuchthaus wegen Mordes an<br />

seiner Ehefrau verurteilt, die nach vier Monaten Zwangsehe um die Scheidung nachgesucht<br />

hatte 2 .<br />

Es gilt als gesichert, dass weltweit Millionen <strong>von</strong> Menschen <strong>von</strong> Zwangsheirat betroffen sind.<br />

Genaue Statistiken liegen jedoch nicht vor, da <strong>Zwangsheiraten</strong> in vielen Ländern geächtet<br />

sind <strong>und</strong> mehrheitlich innerhalb geschlossener Gruppierungen <strong>und</strong> Gemeinschaften<br />

stattfinden 3 . Eine Studie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF aus dem Jahr<br />

2005 hat ergeben, dass jedes Jahr Millionen <strong>von</strong> Mädchen bereits vor oder kurz nach ihrer<br />

Pubertät verheiratet werden 4 . Da angesichts des jungen Alters der betroffenen Mädchen nicht<br />

angenommen werden kann, dass deren verantwortliches Einverständnis vorliegt, werden<br />

solche Kindsheiraten erzwungenen <strong>Heiraten</strong> gleichgesetzt 5 .<br />

Bis anhin gibt es keine verlässliche Statistik zu erzwungenen <strong>und</strong> <strong>arrangierten</strong> <strong>Heiraten</strong> in der<br />

Schweiz. Die bisher einzige hierzu verfasste Studie kommt zum Schluss, dass es in unserem<br />

Land ungefähr 17'000 erzwungene Ehen gibt 6 . Ein Drittel der Opfer soll minderjährig<br />

(zwischen 13 <strong>und</strong> 18 Jahre alt) sein 7 .<br />

In seiner Antwort vom 20. September 2006 auf die Motion <strong>von</strong> Stadträtin Rania Bahnan<br />

Büechi „Weniger Zwangsehen in der Stadt Bern“ führte der Gemeinderat der Stadt Bern aus,<br />

die Fremdenpolizei der B<strong>und</strong>eshauptstadt habe im Jahr 2005 in über 80 Fällen<br />

ausländerrechtliche Verfahren wegen Zwangsheirat eingeleitet. Die Dunkelziffer für die<br />

letzten fünf Jahre schätzte der Gemeinderat auf r<strong>und</strong> 450 Fälle, Tendenz steigend 8 .<br />

Es ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass erzwungene <strong>und</strong> arrangierte <strong>Heiraten</strong> in der Schweiz in erster<br />

Linie Einwanderergemeinschaften betreffen, jedoch weder einem bestimmten Kulturkreis<br />

noch einer bestimmten Religion zugeschrieben werden können. Betroffen sind vornehmlich<br />

1 Mit Entscheid vom 29. August 2007 hat das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen die Rechtmässigkeit<br />

der Ausweisung des Vaters bestätigt.<br />

2 Erlebnisberichte <strong>von</strong> betroffenen Personen haben ebenfalls einen erheblichen Beitrag zur öffentlichen<br />

Diskussion geleistet: vgl. etwa SERAP CILELI „Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre“ München, 2002; FATMA<br />

BLÄSER „Hennamond: mein Leben zwischen zwei Welten“, Berlin, 2005; NECLA KELEK „Die fremde Braut“,<br />

Köln, 2005.<br />

3 Vgl. den „Rapport de la Rapporteuse spéciale sur les droits fondamentaux des victimes de la traite des êtres<br />

humains, en particulier les femmes et les enfants“ vom 24. Januar 2007, A/HRC/4/23, § 30.<br />

4 „Early marriage – a harmful traditional practice“, UNICEF, 2005.<br />

5 In der Studie wird erwähnt, dass zwar auch Knaben <strong>von</strong> Kindsheiraten betroffen sein können, jedoch Mädchen<br />

in weitaus grösserer Zahl <strong>und</strong> mit grösserer Intensität betroffen sind (Seite 1).<br />

6 Vgl. den Bericht „La prévalence du mariage forcé en Suisse: Rapport de l’enquête exploratoire“ Fondation<br />

Surgir, Lausanne 2006, Seite 11.<br />

7 Vgl. den Bericht der Fondation Surgir, a.a.O.<br />

8 Vgl. das Protokoll der Stadtratssitzung vom 2. November 2006. Siehe in diesem Zusammenhang auch die<br />

Stellungnahme des B<strong>und</strong>esrates zur Motion WEHRLI (06.3657) vom 21. Februar 2007.

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