22.11.2013 Aufrufe

Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten

Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten

Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

22<br />

entsprechenden Antrag der zuständigen Behörde zustimmt. Das erklärte Interesse des Opfers<br />

an einer Verfahrenseinstellung ist zwar notwendige Voraussetzung, aber für den Entscheid<br />

der Behörde nicht allein massgeblich. Die Behörde hat im Einzelfall eine Interessenabwägung<br />

vorzunehmen, insbesondere zwischen dem Strafverfolgungsinteresse <strong>und</strong> dem Interesse des<br />

Opfers. Dabei hat sie sich auch da<strong>von</strong> zu überzeugen, dass das Opfer seine Entscheidung<br />

autonom getroffen hat, namentlich nicht durch Gewalt, Täuschung oder Drohung beeinflusst<br />

wurde <strong>und</strong> dass es über Hilfsangebote <strong>und</strong> Handlungsalternativen informiert ist 66 . Das<br />

Verfahren wird wieder aufgenommen, wenn das Opfer sein Ersuchen bzw. seine Zustimmung<br />

innerhalb <strong>von</strong> sechs Monaten seit der provisorischen Einstellung des Verfahrens widerruft<br />

(vgl. Art. 55a StGB, bis Ende 2006 Art. 66 ter aStGB; in Kraft seit dem 1. April 2004).<br />

Bei <strong>Zwangsheiraten</strong> gilt Artikel 55a StGB jedoch gerade nicht, da die nötigende Handlung<br />

nicht während der Ehe stattfindet, sondern beim Zustandekommen derselben.<br />

3.4.5 Weitere Strafnormen<br />

Im Zusammenhang mit einer erzwungenen Heirat ist neben dem Nötigungstatbestand die<br />

Erfüllung weiterer Straftatbestände denkbar, wie etwa schwere Körperverletzung (Art. 122<br />

StGB), einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB), Tätlichkeiten (Art. 126 StGB), Drohung<br />

(Art. 180 StGB), Freiheitsberaubung <strong>und</strong> Entführung (Art. 183 StGB), Sexuelle Handlungen<br />

mit Kindern (Art. 187 StGB), Sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB), Vergewaltigung (Art. 190<br />

StGB), Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB) sowie Entziehen<br />

<strong>von</strong> Unmündigen (Art. 220 StGB). Mit Ausnahme der einfachen Körperverletzung 67 , der<br />

Tätlichkeiten, der Drohung <strong>und</strong> des Entziehens <strong>von</strong> Unmündigen handelt es sich dabei um<br />

Straftaten, die <strong>von</strong> Amtes wegen verfolgt werden (Offizialdelikte).<br />

Die erwähnten Strafnormen stellen – so schwerwiegend deren Folgen für die Opfer sein<br />

mögen – bloss im Einzelfall mögliche „Begleiterscheinungen“ einer erzwungenen Heirat dar,<br />

die bereits nach geltendem Recht umfassend geregelt sind. Auf sie wird aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

nachfolgend nicht näher eingegangen 68 .<br />

3.4.6 Zwangsheirat als Form des Menschenhandels?<br />

Nach Ansicht vereinzelter Gremien der Vereinten Nationen 69 stellen erzwungene <strong>Heiraten</strong><br />

eine Form des Menschenhandels dar, wie er in Artikel 3 Buchstabe a des Zusatzprotokolls zur<br />

Verhütung, Bekämpfung <strong>und</strong> Bestrafung des Frauen- <strong>und</strong> Kinderhandels zum<br />

Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte<br />

Kriminalität (SR 0.311.542) umschrieben ist.<br />

66 Vgl. dazu die Stellungnahme des B<strong>und</strong>esrates zum Bericht vom 28. Oktober 2002 der Kommission für<br />

Rechtsfragen des Nationalrates zur Parlamentarischen Initiative „Sexuelle Gewalt in der Ehe als Offizialdelikt.<br />

Revision <strong>von</strong> Artikel 189 <strong>und</strong> 190 StGB“, BBl 2003 1941.<br />

67 Qualifizierte Fälle der einfachen Körperverletzung (Art. 123 Abs. 2 StGB) werden ebenfalls <strong>von</strong> Amtes wegen<br />

verfolgt.<br />

68 Als Gr<strong>und</strong>tatbestand der Freiheitsdelikte tritt die Nötigung gegenüber allen spezielleren Tatbeständen zurück,<br />

so gegenüber der sexuellen Nötigung <strong>und</strong> der Vergewaltigung. Wird also vor, während oder nach einer<br />

Zwangsheirat eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung begangen, finden die hohen Strafrahmen <strong>von</strong><br />

Artikel 189 (Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahre oder Geldstrafe) <strong>und</strong> Artikel 190 (Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu<br />

zehn Jahren) StGB Anwendung. Seit dem 1. April 2004 sind diese Straftaten im Übrigen auch im Falle <strong>von</strong><br />

Delikten gegenüber Ehegatten keine Antragsdelikte mehr, sondern werden <strong>von</strong> Amtes wegen verfolgt. Zur<br />

Möglichkeit der Verfahrenseinstellung vgl. Ziffer 3.4.4.<br />

69 Vgl. den „Rapport de la Rapporteuse spéciale sur les droits fondamentaux des victimes de la traite des êtres<br />

humains, en particulier les femmes et les enfants“, a.a.O., mit weiteren Hinweisen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!