ZT | Dezember 2013
Ausgabe 21 - 12/13
Ausgabe 21 - 12/13
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„<br />
Marketing ist pulverisiert<br />
„<br />
Es ist schwieriger geworden, so einzigartig und begehrenswert zu sein, dass sich<br />
Kunden auch bewegen. Gute Gedanken und Gefühle, Absichten oder angegebene<br />
Präferenzen in den Marktforschungen führen längst nicht zum Kauf; auch wenn<br />
ein Bild vom Menschen, der handelt, wie er denkt, positiv ist.<br />
Marketing ist inzwischen alles andere als eine homogene Disziplin. Das<br />
Sortiment von Ansätzen wuchert und reicht von Bio-Marketing, Jugendmarketing,<br />
Solution Provider, Value Pricing und Marketing über Customer<br />
Relationship Management und Social Media bis hin zu Eventmarketing.<br />
Wir unterscheiden inzwischen rund 150 relevante Ansätze. Während wir<br />
früher veritable Marketingverantwortliche antrafen, diskutieren inzwischen<br />
die Spezialisten unter sich. So bilden beispielsweise die Anhänger<br />
von Marken, Sponsoring, Events, CRM, Direct Marketing oder E-Marketing<br />
und Social Media jeweils eigene Gemeinschaften. Sie treffen sich zu Fachtagungen<br />
und feiern ihre Disziplin. Seltsamerweise gelingt es jedem Bereich,<br />
jeweils mit Charts zu belegen, dass die Bedeutung ihres Bereiches<br />
wächst und sie weisen auch den direkten Zusammenhang zum Erfolg von<br />
Unternehmen nach. Besucher mehrerer Tagungen sind irritiert, irgendwie<br />
gewinnen sie das Gefühl, sich jeweils in einem anderen Film zu bewegen.<br />
Alles wird offenbar wichtiger und mündet in einen Kampf der Disziplinen<br />
und Spezialisten. Auch innerhalb von Unternehmen brauchen besondere<br />
Marketingabteilungen inzwischen viel Kraft, um sich intern zu behaupten<br />
und laufend zu belegen, wie wichtig sie sind.<br />
Das Phänomen betrifft die Spezialisten in der Praxis und der Forschung<br />
und ist auch geprägt durch die handfesten Interessen der Dienstleister im<br />
Marketing. Während aber Marketingforscher besonders in ihren Lehrbüchern<br />
leicht ganz unterschiedliche Perspektiven addieren, müssen Unternehmen<br />
entscheiden, wofür sie ihren Marketing-Euro ausgeben.<br />
Fragliche Wirkung von Positionen und Images<br />
Verbreitet ist beispielsweise die Sichtweise zur Kraft von Marken, Emotionen,<br />
Bildern, Ästhetik und Positionierungen. Die Grundannahme: Positive<br />
sowie einzigartige Gedanken und Gefühle des Kunden zu Unternehmen<br />
oder Leistungen mobilisieren auch das Unterbewusste des Kunden und<br />
führen schließlich zum Kauf, dem automatischen Griff zum richtigen Produkt<br />
im Regal, zum Bestell-Button im Internet oder zur Wahl des Lieferanten.<br />
Kurz: Die Gedanken, Gefühle und Identifikationen führen zu Kaufhandlungen.<br />
Das mag vor allem für soziale Produkte teilweise stimmen, etwa für Luxus-Angebote<br />
oder sehr modische Produkte. Auch hier werden jedoch<br />
die Kundenhandlungen und der Kundenprozess wichtiger, seit sich selbst<br />
Anbieter von Tiernahrung glamourös inszenieren oder Billiganbieter globale<br />
Celebrities einsetzen.<br />
Es wird schwieriger, so einzigartig und begehrenswert zu sein, dass sich<br />
die Kunden auch bewegen. Gute Gedanken und Gefühle, Absichten oder<br />
angegebene Präferenzen in den Marktforschungen führen längst nicht<br />
zum Kauf; auch wenn das Bild vom Menschen, der handelt wie er denkt,<br />
positiv ist.<br />
Jede Kundenhandlung prägt zudem die Markenstärke und –dynamik<br />
weit mehr als die Gedanken des Kunden. So beruhen starke Marken wie<br />
Google und Amazon auf den Klicks im Internet, nicht auf Werbekampagnen.<br />
Das iPhone stützt sich auf das konkrete Erlebnis der Kundschaft,<br />
Autorenprofil<br />
Prof. Dr. Christian Belz ist Ordinarius für Marketing an der Universität St.<br />
Gallen und leitet dort das Institut für Marketing. Er ist einer der führenden<br />
Marketingwissenschaftler im deutschsprachigen Raum und steht für<br />
eine exzellente Verbindung von Wissenschaft und Praxis. Christian Belz<br />
ist Mitbegründer und Mitherausgeber der «Marketing Review St. Gallen»<br />
und Autor zahlreicher Fachbücher und Fachartikel.<br />
Prof. Dr. Christian belz<br />
www.unisg.ch<br />
wenn sie die Geräte in der Hand hält und bedient, kaum<br />
auf der Schattenwerbung von Apple. Damit wird die Beziehung<br />
von Ursache und Wirkung umgekehrt. Kundenhandlungen<br />
machen die Marke stark, nicht die Markenkampagnen<br />
bewirken Kundenhandlungen. Gleichwohl es hierbei<br />
natürlich auch ein Wechselspiel gibt.<br />
Kundenprozesse als Bezug<br />
Im Gerangel der Märkte mit Informationsflut, zahllosen Angeboten<br />
und vielen parallelen Kaufprozessen der Kunden<br />
funktioniert die Inszenierung meistens nicht. Die Kundin<br />
oder der Kunde durchläuft oft 20 bis 50 Zwischenschritte<br />
bis zum Kauf und es ist eine Illusion zu glauben, dass ein<br />
nettes Bild mit fröhlichen Senioren dazu führt, dass die<br />
Betrachter sich bewegen und beispielsweise ihre Altersvorsorge<br />
grundsätzlich neu regeln. Die Prozesse werden<br />
heute immer länger und sie werden auch häufig unterbrochen.<br />
Kaufprozesse fliessen und sind durch zahlreiche<br />
situative Gegebenheiten geprägt.<br />
Hier setzt ein Marketing an, das reale Kundenprozesse<br />
erfasst und wichtige Zwischenschritte von Abbruch oder<br />
Weiterführung identifiziert. Ein Marketing, dass die Muster<br />
der Kundenhandlungen aus dem analytischen Customer<br />
Relationship Management ableitet. Ein Marketing,<br />
welches den Kunden handeln lässt und schrittweise zum<br />
Kauf führt. Ein Marketing, welches sich nahe am Kunden<br />
bewegt, beim Kunden präsent ist und nicht abhebt. Naheliegend<br />
sind Instrumente wie persönlicher Verkauf, Direct<br />
Marketing, Telefonmarketing, Social Media und Internet.<br />
Nicht die Instrumente sind aber entscheidend, denn auch<br />
Medienkampagnen lassen sich auf Kundenhandlungen<br />
orientieren. Demgegenüber amüsiert ein Youtube-Filmchen<br />
oft die Masse, bewegt sich aber nur in der Gedankenwelt<br />
des Kunden und unterhält, entspricht also dem<br />
klassischen Markenverständnis.<br />
Führungskräfte brauchen die Lizenz zum Zweifel<br />
Das klassische Markenverständnis verbaut viele Wege<br />
zum wirksamen Marketing. Das Gegenteil von dem,<br />
was sich Marketingexperten gegenseitig bestätigen,<br />
kann hingegen oft richtig sein. Führungskräfte müssen<br />
ihren eigenen Weg finden, mit Augenmaß und gesundem<br />
Menschenverstand vorzugehen. Dazu brauchen<br />
sie die Lizenz zum Zweifel. Führungskräfte und<br />
Forscher, die offenbar wissen, wie es läuft, sind mir suspekt.<br />
***<br />
Christian Belz<br />
Marketing gegen den Strom<br />
Misstrauen Sie Trends und Experten –<br />
Finden Sie Ihren eigenen Weg!<br />
Christian Belz<br />
Trends und Expertenmeinungen hinterfragen.<br />
Auf diese Weise spürt Christian Belz 33 Marketing-Irrtümer<br />
auf – Aktionsfeld um Aktionsfeld.<br />
Sein Fazit: Wer Trends gegenüber kritisch<br />
bleibt und eigene Wege geht, hat bessere Karten.<br />
Das gelingt mit «zumutbarem» Marketing<br />
statt unbegrenzter Kundenorientierung, mit<br />
mehr Sein als Schein, mit dem Fokus auf der<br />
Umsetzung statt auf Konzepten. Ein frisches<br />
Buch, das für die 2. Auflage vollständig überarbeitet<br />
und erweitert wurde. Mit vielen wissenschaftlichen<br />
Studien und Praxisbeispielen.<br />
* Neue Impulse für Marketingprofis.<br />
* Alle relevanten Aktionsfelder auf dem<br />
Prüfstand.<br />
* Leitfaden für ein authentisches, unverwechselbares<br />
und wirksames Marketing.<br />
* In vierfarbigem Layout mit vielen Abbildungen.<br />
Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2012<br />
2., überarbeitete und aktualisierte Auflage<br />
XVII, 174 Seiten, gebunden, 4-farbig<br />
CHF 54.–/EUR 39.95<br />
ISBN 978-3-7910-3199-6<br />
www.thexis.ch<br />
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