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ZT | Dezember 2013

Ausgabe 21 - 12/13

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Während der Begriff der Persönlichkeit<br />

erst eine relativ<br />

kurze Forschungstradition<br />

aufweist, reichen philosophische<br />

Betrachtungen<br />

zum Charakter bis in die Antike zurück.<br />

Nicht selten finden sich Überlegungen, dass<br />

die Persönlichkeit eine Art Überbegriff für die<br />

Komponenten Charakter und Temperament<br />

darstelle (Cloninger, Svrakic, & Przybeck, 1993).<br />

Während zum Teil angenommen wird, dass das<br />

Temperament eine hohe erbliche Komponente<br />

aufweise, könnte die Charakterausprägung<br />

eher unserer individuellen Lerngeschichte, unseren<br />

Lebensumständen, kurz unserer Sozialisation<br />

unterliegen. Wahrscheinlich ist aber<br />

auch diese Vorstellung zu sehr vereinfacht, da<br />

hinlänglich bekannt ist, dass jede Dichotomie<br />

von Erbe und Umwelt der Komplexität dessen,<br />

was uns formt, nie ganz gerecht werden kann.<br />

Übereinkunft besteht allerdings in der Vorstellung,<br />

dass Persönlichkeit eine über die Zeit<br />

relativ stabile Ausformung unseres Verhaltens,<br />

Denkens und Fühlens ist. Diese lässt zwar eine<br />

gewisse Variabilität zwischen verschiedenen<br />

Situationen zu, ist aber dennoch geeignet, das<br />

grundsätzliche Wesen unseres Verhaltens abzubilden<br />

und auch in gewissen Grenzen vorherzusagen.<br />

Persönlichkeit wird als ein Kontinuum<br />

zwischen gesund und krank aufgefasst und<br />

kann in jeweils extremen Ausprägungen durchaus<br />

auch Kriterien der Psychopathologie erfüllen,<br />

etwa bei Persönlichkeitsstörungen.<br />

Alle Schulen der Psychologie haben sich des<br />

Begriffs der Persönlichkeit angenommen. Aus<br />

psychoanalytischer Sicht (insbesondere nach<br />

Sigmund Freud) äußert sich Persönlichkeit im<br />

Umgang mit Konflikten, die maßgeblich dem<br />

Unbewussten entspringen und primär sexueller<br />

Natur sind. Lerntheoretiker, insbesondere<br />

Behavioristen, gehen davon aus, dass unsere<br />

Persönlichkeit maßgeblich durch individuelle<br />

Lernerfahrungen bestimmt sei, wobei diese<br />

sehr fundamental (z.B. Klassische Konditionierung)<br />

oder auch in komplexere soziale Gefüge<br />

(z.B. Beobachtungslernen) eingebunden sein<br />

können. Während die humanistische Psychologie<br />

auf der Annahme fußt, dass der Mensch<br />

ein grundsätzlich konstruktives Wesen sei, das<br />

letztlich nach Selbstbestimmung und Transzendenz<br />

strebt, gehen Vertreter der Biologischen<br />

Psychologie eher davon aus, dass distinkte<br />

neurobiologische Prozesse unser Verhalten<br />

(mit-)bestimmen. Wahrscheinlich erklären all<br />

diese Ansätze in unterschiedlichem Maße die<br />

Ursachen für Persönlichkeitsentwicklung und<br />

individuelle Unterschiede, sodass sie in gewisser<br />

Weise bis heute alle ihre Berechtigung behalten.<br />

Mit Blick auf die Messung und Systematik der<br />

verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen<br />

erfreut sich der Ansatz der „Big Five“ besonderer<br />

Beliebtheit (McCrae & Costa, 1997), wobei<br />

hier von einem universellen, also weitgehend<br />

kulturunabhängigen Auftreten der folgenden<br />

Dimensionen ausgegangen wird:<br />

• Extraversion: Kontaktfreudigkeit, positive<br />

Emotionalität, Aktivität<br />

• Neurotizismus: Emotionale Labilität, Anpassungsschwierigkeiten,<br />

Ängstlichkeit<br />

• Offenheit für Erfahrungen: Kulturalität, Intellektualität,<br />

Erfahrungssuche<br />

• Gewissenhaftigkeit<br />

• Verträglichkeit: Freundlichkeit, geringe<br />

Aggressivität<br />

Beim Begriff des Charakters wird zwar auch davon<br />

ausgegangen, dass die hier aufgeführten<br />

einzelnen Merkmale kontinuierlich verteilt sind;<br />

direkte Implikationen für die Klinische Psychologie<br />

gibt es hingegen nicht. Generell gibt es<br />

weit weniger Forschung zum Themenbereich<br />

Charakter als zur Persönlichkeit. Erst in den letzten<br />

Jahren hat sich das Bild ein wenig geändert.<br />

Die Psychologie war aufgrund ihres enormen<br />

Anwendungsbezugs im Bereich der Klinischen<br />

Psychologie lange Zeit „defizitorientiert“. Betrachtet<br />

man entsprechende Auswertungen<br />

zu den am meisten publizierten Themen, überwiegen<br />

beispielsweise die Bereiche Depression,<br />

Angst und Zwang. Alle diese Erkrankungen<br />

sind gekennzeichnet durch negative Emotionen,<br />

Anpassungsstörungen und Leidensdruck.<br />

Zwischenzeitlich zeichnet sich aber ein Paradigmenwechsel<br />

in der Psychologie ab, der mehr<br />

und mehr die positiven Elemente unseres Verhaltens<br />

und Erlebens akzentuiert. Gemeint sind<br />

hiermit etwa das seelische Wohlbefinden, Optimismus,<br />

positive Emotionalität, um nur wenige<br />

Beispiele zu nennen.<br />

Der amerikanische Psychologe Martin Seligman<br />

ist zweifelsohne ein Wegbereiter dieser<br />

Entwicklung. Gerade an seiner Person ist die<br />

Überwindung der Defizitorientierung gut nachzuvollziehen,<br />

wenn man bedenkt, dass seine<br />

ursprünglichen Arbeiten zur erlernten Hilflosigkeit<br />

(die gerne als Modell für die Entstehung<br />

einer Depression herangezogen werden) zwischenzeitlich<br />

in die Positive Psychologie übergegangen<br />

sind (Seligman, 2003). Nach langer<br />

Zeit und auch ergänzend zur Philosophie, die<br />

sich seit jeher mit dem Thema Charakter befasst,<br />

zogen Dimensionen wie Charakter und<br />

Tugenden auch in die Persönlichkeitspsychologie<br />

ein. Mittels eines Inventars zur Messung<br />

von Charakterdimensionen und Tugenden<br />

(Values in Action Inventar) gelang Seligman<br />

ein entscheidender Impuls für zahlreiche Felder<br />

der Psychologie. Zwischenzeitlich ist dieses<br />

Inventar auch in deutscher Sprache als Selbstberichtsverfahren<br />

(Ruch et al., 2010) oder mit<br />

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