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ZT | Dezember 2013

Ausgabe 21 - 12/13

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Zentral ist die Messung von insgesamt 24<br />

Charakterdimensionen, die zusammengefasst<br />

sechs Tugenden ergeben:<br />

• Weisheit (Neugier/Interesse, Liebe zum<br />

Lernen, Urteilsvermögen, Kreativität,<br />

Weitsichtigkeit/Tiefsinn<br />

• Mut (Tapferkeit, Ausdauer, Authentizität,<br />

Tatendrang)<br />

• Liebe/Humanität (Fähigkeit zu lieben,<br />

Freundlichkeit/Großzügigkeit, Soziale Intelligenz)<br />

• Gerechtigkeit (Teamfähigkeit/Loyalität,<br />

Fairness/Gerechtigkeit, Führungsvermögen)<br />

• Mäßigung (Vergebungsbereitschaft, Bescheidenheit/Demut,<br />

Selbstregulation/<br />

Selbstkontrolle, Umsicht/Vorsicht)<br />

• Transzendenz (Sinn für das Schöne, Dankbarkeit,<br />

Hoffnung/Optimismus, Humor/<br />

Verspieltheit, Spiritualität/Glaube)<br />

Die Darstellung dieser Tugenden und Charakterstärken<br />

zeigt, dass es natürlich gewisse<br />

Gemeinsamkeiten mit den zuvor genannten<br />

Facetten der Persönlichkeit gibt. Während aber<br />

die jeweiligen und individuellen Persönlichkeitsausprägungen<br />

grundsätzlich wertneutral<br />

sind, zeigt sich bei den Charakterdimensionen<br />

und insbesondere bei den Tugenden eine<br />

Wertigkeit im Sinne eines humanistischen<br />

Menschenbildes. Aus diesem Grund taucht im<br />

Kontext der Charakterzüge auch der Begriff der<br />

Charakterstärken auf.<br />

Bei nüchterner Betrachtung zeigt sich, dass<br />

in der heutigen Gesellschaft der Begriff der<br />

Tugend auf viele antiquiert wirkt und Charakterstärken<br />

und Tugenden keinen allzu großen<br />

Stellenwert genießen. Werte und Ziele wie<br />

Leistung, Verdienst, Karriere sind gegenüber<br />

verschiedenen humanistischen Werten in den<br />

Vordergrund getreten. Es fällt auf, dass die Ausprägung<br />

von Charakterstärken ohne die ihnen<br />

zugrunde liegenden individuellen Werte kaum<br />

vorstellbar ist. Die Frage ist, welchen individuellen<br />

Nutzen die Ausprägung der zuvor genannten<br />

Charakterstärken in einer Gesellschaft mit<br />

überwiegend anderem Wertegerüst überhaupt<br />

hat.<br />

Zur Beantwortung dieser Frage kann eine Studie<br />

herangezogen werden, die einen klaren<br />

Zusammenhang zwischen der Ausprägung<br />

der genannten Charakterzüge und der allgemeinen<br />

Lebenszufriedenheit aufzeigt (Ruch et<br />

al., 2010). Hier wird deutlich, dass Menschen,<br />

die insbesondere ein hohes Ausmaß an Bindungsfähigkeit,<br />

Hoffnung, Enthusiasmus und<br />

Dankbarkeit aufweisen, mit ihrem Leben insgesamt<br />

glücklicher sind, als solche mit niedrigen<br />

Ausprägungen in diesen Kategorien. Bedenkt<br />

man den Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit<br />

und psychischer Gesundheit, dann<br />

bekommt die Auseinandersetzung mit Charakter<br />

und Tugend eine klinische und letztlich<br />

volkswirtschaftliche Dimension. Die dramatisch<br />

zunehmenden Fälle von Arbeitsunfähigkeit<br />

aufgrund psychischer Erkrankungen (Angststörungen,<br />

Depression, Burnout, u.a.) zeigen eindrucksvoll,<br />

dass unsere gegenwärtigen Lebensbedingungen<br />

in Arbeit und wahrscheinlich<br />

auch Familie unsere Vulnerabilität gegenüber<br />

psychischen Erkrankungen erhöhen. Allein<br />

die Depression führt innerhalb eines Jahres zu<br />

der unglaublichen Zahl von mehr als 150.000<br />

Jahren Arbeitsausfall, was neben den persönlichen<br />

Schicksalen die Dimension der indirekten<br />

Krankheitskosten alleine durch diese Krankheit<br />

verdeutlicht.<br />

Wenn nun die Ausbildung der genannten Charakterstärken<br />

die psychische Gesundheit verbessert,<br />

stellt sich natürlich die Frage, wie diese<br />

günstigen Wesenszüge weiter ausgebildet werden<br />

könnten. Die Theorie von Robert Cloninger<br />

(1993) geht davon aus, dass Charakter primär<br />

er worben wird, Temperament hingegen maßgeblich<br />

einer erblichen Komponente unterliegt.<br />

Wie Charakterstärken entwickelt werden, bleibt<br />

weitgehend unbeantwortet. Die Philosophie<br />

der Antike gab hierzu bereits Antworten und<br />

interessante Anregungen. Aristoteles (384-322<br />

v. Chr.) beschreibt in seiner Nikomachischen<br />

Ethik, dass Charakterstärken erworben werden,<br />

konkretisiert dies aber durch den Hinweis, dass<br />

dafür die Handlung essentiell sei. Charakterausprägung<br />

also nicht im Sinne von Appellen,<br />

Moralvorgaben oder anderen Aspekten pädagogischen<br />

Handelns, sondern durch die Ausübung<br />

von bestimmten, zu den Charakterzügen<br />

passenden Tätigkeiten selbst. Die moderne<br />

Hirnforschung bestätigt, was Aristoteles bereits<br />

wusste; unser Gehirn verändert sich in der Tat<br />

durch unser Handeln funktionell (siehe auch<br />

Plastizitätsbegriff der Hirnforschung). Tätigkeiten,<br />

die in diesen Bereich fallen, können sehr<br />

vielfältig sein, soziales und gesellschaftliches<br />

Engagement (z.B. im Ehrenamt) stehen hierbei<br />

sicher an vorderer Stelle.<br />

Inzwischen hat sich diese Erkenntnis auch im<br />

arbeits- und organisationspsychologischen<br />

Bezug durchgesetzt. Verstärkt wird gefordert,<br />

bei der Mitarbeiterauswahl (Recruiting) und<br />

Personal entwicklung besonders die Charakterstärken<br />

zu berücksichtigen. Im Zuge des<br />

bevorstehenden demografischen Wandels, der<br />

neben der Verursachung zahlreicher anderer<br />

Probleme auch die Verfügbarkeit von qualifizierten<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

reduzieren wird (siehe auch „war for talents“),<br />

wird deutlich, dass sich die Akzentuierung von<br />

Merkmalen im gesamten Personalmanagementprozess<br />

erweitert. Die Mitarbeiterloyalisierung<br />

steht zunehmend im Vordergrund, um<br />

die Besten zu behalten und allgemein die Fluktuation<br />

der Mitarbeitenden reduzieren zu können.<br />

Es ist aber auch klar, dass Maßnahmen zur<br />

Mitarbeiterloyalisierung nur bei denjenigen auf<br />

fruchtbaren Boden fallen, die überhaupt „loyalisierbar“<br />

sind. Entsprechende Merkmale hierfür<br />

sind in der Aufstellung von Charakterstärken<br />

(s.o.) zu finden.<br />

Aus meiner persönlichen Sicht wird die Auseinandersetzung<br />

mit Charakter und Tugend eine<br />

weiterhin wachsende Bedeutung erfahren, die<br />

sich in der Wissenschaft, aber auch in vielen<br />

anderen Bereichen unserer Gesellschaft zeigen<br />

wird. Bei kritischer Betrachtung zahlreicher<br />

Phänomene in Politik, Wirtschaft, Familie und<br />

Bildung, könnte man zu der Ansicht kommen,<br />

dass es dafür auch Zeit wird.<br />

***<br />

Jürgen Hennig<br />

Autorenprofil<br />

Prof. Dr. Dr. Jürgen Hennig studierte Psychologie und Humanbiologie und ist seit 2002 Lehrstuhlinhaber für Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung<br />

an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf biologischen Grundlagen der Persönlichkeit sowie auf<br />

der Forschung zur Erbe-Umwelt-Interaktion. Prof. Hennig ist Autor von über 150 Fachartikeln in internationalen Journalen sowie mehreren Büchern und<br />

wurde mehrfach für Lehr- und Forschungsleistungen ausgezeichnet. Neben seiner universitären Arbeit geht er Tätigkeiten in der Unternehmens- und<br />

Personalberatung nach.<br />

Prof. Dr. Dr. Jürgen Hennig<br />

www.uni-giessen.de<br />

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