Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Sowjetische <strong>Gefängnisse</strong> <strong>und</strong> <strong>Lager</strong> 589<br />
c) In jenen Fällen, wo der Betroffene nicht verhaftet war, aber unter sogenannter<br />
„operativer Erfassung“ stand, müßten sich die Akten gr<strong>und</strong>sätzlich bei<br />
jener Organisation, die mit dieser Erfassung beschäftigt war, also bei den<br />
Staatssicherheitsorganen befinden. Für diese Akten gilt eine begrenzte Aufbewahrungsfrist,<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich waren sie aber zu vernichten, wenn die betroffene<br />
Person das Alter von 75 Jahre erreicht hatte. Dieser Bestand <strong>im</strong> ehemaligen<br />
KGB-Archiv ist nicht sehr groß, weil er mehrmals gesäubert wurde. Einmal in<br />
der Chruschtschow-Zeit, zuletzt dann in den Jahren 1989 bis 1991.<br />
3.8. Der Zugang zu den Archivmaterialien des GULAG<br />
Der Zugang zu den russischen Archiven war nur in einer kurzen Zeitspanne<br />
von 1992 bis 1993 für die Wissenschaft erleichtert. In dieser Zeit hatte man es<br />
nämlich den Archiven selbst überlassen, die Gehe<strong>im</strong>haltung der Dokumente<br />
aufzuheben. Nach der Annahme des Rehabilitierungsgesetzes (18.10.91) 38<br />
durch den Obersten Sowjet Rußlands konnten politisch Verfolgte <strong>und</strong> ihre Angehörigen<br />
Einsicht in die Akten nehmen (Art. 11). Der KGB allerdings interpretierte<br />
diesen Artikel 11 restriktiv: ausschließlich Opfer der Repressionen<br />
<strong>und</strong> ihre Angehörigen oder von ihnen bevollmächtigte Personen durften Einsicht<br />
in die Akten nehmen. Das hatte zur Folge, daß Wissenschaftler, die über<br />
best<strong>im</strong>mte Themen oder historische Persönlichkeiten arbeiteten, wiederum<br />
keine Möglichkeit hatten, Einsicht in diese Akten zu bekommen. Für die ehemaligen<br />
Häftlinge <strong>und</strong> ihre Angehörigen ist eine mögliche Einsicht auch eine<br />
Frage ihres persönlichen Ansehens bzw. des Ansehens ihrer Familie. Einige<br />
sorgen sich wegen der Aussagen, die den Angeklagten selbst oder andere belasten,<br />
andere um das Bild der politischen Einstellung des Angeklagten, das sich<br />
aus den Unterlagen ergibt, manche beunruhigen schließlich persönliche Gehe<strong>im</strong>nisse.<br />
So sind sich viele in der russischen Gesellschaft einig, daß der Zugang<br />
zu den Akten begrenzt werden muß.<br />
Was die operativen Bestände anbetrifft, so wurde nach einigen Enthüllungsskandalen<br />
das neue Gesetz über die „Operativ-nachforschende Tätigkeit“<br />
(13.3.92) angenommen. Dieses Gesetz betrachtet Personen, die mit den Organen<br />
zusammenarbeiten oder zusammen gearbeitet haben, quasi als „Staatsgehe<strong>im</strong>nisse“,<br />
die nur mit dem Einverständnis der Betroffenen verbreitet werden<br />
dürfen. Nach diesem Gesetz sollten also die betroffenen Bürger weder Zugriff<br />
auf die Namen der Agenten haben noch auf die sie selbst betreffenden Dossiers.<br />
Auch die Organisation <strong>und</strong> die Durchführungstaktik operativer Aufklärungsmaßnahmen<br />
wurden zum Staatsgehe<strong>im</strong>nis erklärt.<br />
Bald nach 1992 haben die staatlichen Organe den Prozeß der Freigabe der gesperrten<br />
Dokumente übernommen <strong>und</strong> seit dieser Zeit hat sich der Prozeß<br />
merkbar verlangsamt. Dieses allgemeine Bremsen hat zwei Gründe: zum einen<br />
die traditionell in den russischen Archiven vorherrschende Mentalität, daß man<br />
38 Reabilitazija narodow i graschdan. 1954-1994. Sost. I. Aliew. Moskwa 1994. S. 177-183.