Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
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570 Irina Scherbakowa<br />
spielsweise wie die Auslösung der Massenrepressionen zur Veränderung des<br />
GULAG-Systems führte <strong>und</strong> umgekehrt, oder wie das GULAG-System die<br />
staatliche Politik beeinflußte, weil der GULAG selbst zunehmend zu einem<br />
sehr wichtigen wirtschaftlichen Faktor wurde. Dabei hat die Frage nach der<br />
Zahl der Verfolgten unter den Historikern <strong>im</strong>mer heftigste Diskussionen ausgelöst.<br />
Deshalb werden in dieser Expertise konkrete Zahlen angegeben, die aus<br />
den verschiedenen Archiven stammen.<br />
Der Rehabilitierungsprozeß <strong>im</strong> weitesten Sinn zog sich über viele Jahrzehnte<br />
hin. In der vorliegenden Expertise wird der Versuch unternommen, diesen<br />
Prozeß zu charakterisieren, die Gesetze über die Rehabilitierung zu beschreiben<br />
<strong>und</strong> eine Reihe nicht gelöster Probleme aufzuzeigen.<br />
Leider muß man feststellen, daß das außerordentlich große Interesse für die<br />
Vergangenheit, die stalinischen Repressionen <strong>und</strong> daher auch für den GULAG,<br />
das mit dem Prozeß der Perestrojka in der damals noch <strong>sowjetischen</strong> Gesellschaft<br />
begann, heute schon lange nicht mehr so groß ist. Nach dem erfolglosen<br />
Prozeß gegen die Kommunistische Partei <strong>im</strong> Jahre 1992 werden heute de facto<br />
keine historischen Diskussionen mehr geführt, die die gesamte Gesellschaft<br />
interessieren würden.<br />
Trotzdem gibt es – <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Aufarbeitung der GULAG-<br />
Vergangenheit – Anlaß zu Opt<strong>im</strong>ismus. Vor allem, weil die Veröffentlichung<br />
von Erinnerungen <strong>und</strong> historischer Literatur bei einigen Verlagen – <strong>und</strong> sei es<br />
auch nur in niedrigen Auflagen – weitergeht. In diesem Zusammenhang ist<br />
insbesondere die Tätigkeit der Gesellschaft „Memorial“ zu nennen, nicht nur<br />
in Moskau, sondern auch in den wichtigsten Regionen Rußlands. Diese Tätigkeit<br />
beruht meist auf lokaler oder regionaler historischer Spurensuche wie zum<br />
Beispiel be<strong>im</strong> Auffinden von Massengräbern, der Einrichtung von Friedhöfen<br />
<strong>und</strong> dem Aufstellen von Denkmälern. Für die noch lebenden Opfer der Repressionen<br />
ist dies auch eine konkrete soziale Hilfe.<br />
1. Historiographische Quellen<br />
Trotz der Fülle von publizistischen <strong>und</strong> kulturwissenschaftlichen Publikationen<br />
über den Stalinismus, verschiedener biographischen Studien über einzelne<br />
Figuren der <strong>sowjetischen</strong> Geschichte, die nach dem Beginn der Perestrojka<br />
veröffentlicht wurden, gibt es bis jetzt in Rußland leider nur eine relativ geringe<br />
Zahl ernsthafter historischer Forschungen, die sich ausschließlich mit der<br />
Geschichte des GULAG auseinandersetzen.<br />
Ernsthafte statistische Angaben über die Zahl der Inhaftierten (leider ohne ausführliche<br />
Quellenanalyse) ist in der Arbeit von Semskow zu finden (GULAG<br />
<strong>im</strong> historisch-soziologischen Aspekt, 1991). Semskow hat auch eine interessante<br />
statistische Studie über die Spezumsiedler veröffentlicht (Die Spezumsiedler,<br />
1994). Dedkow hat eine beachtenswerte Arbeit über die sowjetische<br />
Strafpolitik veröffentlich (Der Inhalt der Strafpolitik des Sowjetstaates, 1992).