Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Sowjetische <strong>Gefängnisse</strong> <strong>und</strong> <strong>Lager</strong> 611<br />
Verbrecher aburteilten – von großen Banditen bis hin zu Personen, die Verbrechen<br />
gegen die Menschlichkeit begangen hatten. Eine totale Aufhebung aller<br />
außergerichtlichen Urteile hätte automatisch zur gesamten neuen Bearbeitung<br />
aller Fälle <strong>und</strong> der Durchführung neuer Untersuchungen führen müssen. Wenn<br />
man die Anzahl der außergerichtlichen Verurteilungen in der Praxis der<br />
WTschK, der OGPU, des NKWD <strong>und</strong> des MGB in Betracht zieht (<strong>und</strong> das waren<br />
mehr als 2/3 der Gesamtzahl) hätte eine solche Arbeit einige Jahrzehnte<br />
gedauert. Die Praxis gestaltete sich daher so: Die Akten, die sich <strong>im</strong> Archiv<br />
des KGB befanden, wurden einem KGB-Mitarbeiter in die Hand gedrückt, der<br />
– nach einer relativ schnellen Durchsicht – seine Ansicht darüber niederschrieb,<br />
ob eine Rehabilitierung durchgeführt werden sollte oder nicht. Danach<br />
wurde die Akte mit dieser Schlußfolgerung an die Staatsanwaltschaft übergeben,<br />
wo die endgültige Entscheidung getroffen wurde Danach händigte man<br />
dem Opfer oder seinen Nachkommen eine Bestätigung über die Rehabilitierung<br />
aus. Zwei Jahre nach Gorbatschow mußten sich die Verfasser eines wesentlich<br />
durchdachteren <strong>und</strong> in vielen Beziehungen wesentlich gerechteren Gesetzes<br />
über die Rehabilitierung <strong>im</strong> russischen Parlament mit dem Problem der<br />
außergerichtlichen Entscheidungen herumschlagen. Aber auch sie konnten dieses<br />
Problem nicht befriedigend lösen. Aber trotz aller dieser Anmerkungen<br />
muß festgestellt werden, daß der Ukas vom 16.1.89 gemeinsam mit der Entscheidung<br />
des Politbüros vom 11 Juni 1988 der starke Auftakt einer neuen Rehabilitierungswelle<br />
war.<br />
5.7. Der Ukas vom 13.8.1990<br />
Eine prinzipiell neue Etappe <strong>im</strong> Verständnis der historischen Realitäten bei<br />
den Machthabern leitete der Ukas des Präsidenten der UdSSR „über die Wiederherstellung<br />
der bürgerlichen Rechte für alle Opfer der Repressionen in den<br />
Jahren 1920 bis 1950“ vom 13.8.1990 ein. In diesem Ukas wurden alle Repressionen,<br />
begangen aus politischen, nationalen, religiösen <strong>und</strong> sozialen<br />
Gründen zum ersten Mal als ungesetzlich deklariert <strong>und</strong> eingestanden. Es war<br />
hier ganz ausdrücklich die Rede vom verbrecherischen Charakter dieser Repressionen<br />
<strong>und</strong> von ihrer Unvereinbarkeit mit „den Normen der Zivilisation“,<br />
von den Opfern der Kollektivierung, von der Verfolgung des Klerus, von der<br />
Inkonsequenz des Rehabilitierungsprozesses nach dem 20. Parteitag <strong>und</strong> von<br />
vielem mehr. Der Ukas war an <strong>und</strong> für sich ein rein deklaratorisches Dokument,<br />
er schlug keinerlei Maßnahmen zur Beschleunigung <strong>und</strong> Verbesserung<br />
des Rehabilitierungsprozesses vor, sondern beauftragte den Ministerrat, solche<br />
Maßnahmen vorzuschlagen (was dieser übrigens nie getan hat).<br />
Der Ukas vom 13.8.1990 war der letzte – <strong>und</strong> wichtigste – gesamtsowjetische<br />
Akt <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Repressionen. Mit ihm wurde genau jene Linie<br />
der politischen Bewertung der Vergangenheit vollendet, die<br />
Chruschtschow begonnen hatte. Aber in diesem Ukas finden sich auch die<br />
Gr<strong>und</strong>züge der Dokumente der nahen Zukunft mit ihrer „menschenrechtlichen“<br />
Terminologie. Das wichtigste dieser Dokumente war das Gesetz über