Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
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614 Irina Scherbakowa<br />
hielt auch diese Kategorie best<strong>im</strong>mte Privilegien, jedoch keine materielle Entschädigung.<br />
5.9. Die gesellschaftliche Entwicklung 1991-1995: der „Fall KPdSU“<br />
Wie bereits erwähnt wurde das öffentliche Interesse am Thema Repressionen<br />
Ende 1989, Anfang 1990 schwächer. Auch nicht die Situation r<strong>und</strong> um den<br />
„Fall KPdSU“ konnte dieses Interesse wieder wachrütteln. Bei dem „Fall<br />
KPdSU“ ging es um die Frage der Rechtmäßigkeit der Erlasse des russischen<br />
Präsidenten über die Auflösung der KPdSU <strong>und</strong> die Übernahme ihres Eigentums<br />
<strong>und</strong> ihrer Archive durch den Staat. Der Fall wurde 1992 vor dem Verfassungsgericht<br />
verhandelt. Damals erhielten die Experten, die für den Präsidenten<br />
<strong>und</strong> das Gericht arbeiteten, fast völlig freien Zugang zu den Archiven <strong>und</strong><br />
präsentierten dem Gericht mehr als zehn Bände mit Beweismaterial über die<br />
Verbrechen des vergangenen Reg<strong>im</strong>es. Viele dieser Dokumente – die entscheidend<br />
sind für das Verständnis der Geschichte des politischen Terrors –<br />
gelangten damals auch in die Massenmedien. Allerdings brachte das keinen<br />
nennenswerten Bewußtseinswandel in der Gesellschaft mit sich. Dies lag auch<br />
nicht an der offenen Weigerung des Vorsitzenden des Gerichtes, diese Dokumente<br />
zu den Akten zu nehmen. Er nannte sie ironisch „kumranskische Chroniken“,<br />
das heißt, er äußerte die Meinung, daß diese Dokumente keinerlei Bezug<br />
zur aktuellen Situation hätten. Die öffentliche Gleichgültigkeit hatte wahrscheinlich<br />
viel mehr mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der ersten Reformjahre<br />
zu tun, mit dem Unbehagen über den Zerfall des Landes <strong>und</strong> mit den<br />
auftauchenden neuen sozialpolitischen Realitäten. Genau in dieser Zeit beginnt<br />
in der Gesellschaft die Enttäuschung über die „Demokraten“ (Jelzin) zu Tage<br />
zu treten, die Nostalgie nach der ruhigen Vergangenheit <strong>und</strong> gleichzeitig der<br />
Wunsch nach einer „starken Hand“, was auch der Ausgang der Parlamentswahlen<br />
von 1993 illustriert. All das förderte nicht unbedingt den Versuch einer<br />
historischen Reflexion <strong>und</strong> die Bereitschaft sich mit den erschütternden Dokumenten<br />
auseinanderzusetzen. Das Thema der Repressionen bleibt natürlich<br />
für die Opfer, die in dieser Zeit sehr unter dem Verlust des öffentlichen Interesses<br />
an ihrer Sache leiden, sehr bedeutend. Nach <strong>und</strong> nach wird dieses Thema<br />
auch für die akademischen <strong>und</strong> Universitätshistoriker mehr oder weniger<br />
wichtig, was insbesondere auf der neuen Zugänglichkeit von unglaublichen<br />
Mengen früher gänzlich unbekannter Materialien beruht. Auch „Memorial“<br />
setzt seine intensive Beschäftigung mit diesem Thema fort.<br />
5.10. Die Tätigkeit von „Memorial“<br />
„Memorial“ verändert sich in dieser Zeit (1991-1994) in eine Organisation, die<br />
in verschiedene Richtungen arbeitet: