Gefängnisse und Lager im sowjetischen Herrschaftssystem - gulag
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Sowjetische <strong>Gefängnisse</strong> <strong>und</strong> <strong>Lager</strong> 609<br />
lew – zum Vorsitzenden dieser Kommission ernannt, der sich – mit Unterbrechungen<br />
– bis heute mit den Problemen der Vergangenheit beschäftigt. Heute<br />
ist er der Vorsitzende der Kommission zur Rehabilitierung der Opfer politischer<br />
Repressionen be<strong>im</strong> Russischen Präsidenten. Die Kommission beschäftigte<br />
sich am Beginn mit der Rehabilitierung prominenter Parteiaktivisten der<br />
30er Jahre (also dem, was Chruschtschow seinerzeit nicht machen konnte).<br />
Erst Ende 1988, bei ihrer siebenten Sitzung, sprengte die Kommission den reinen<br />
Parteirahmen – <strong>und</strong> befaßte sich mit dem Fall des „jüdischen antifaschistischen<br />
Komitees“. Aber die gesellschaftliche Entwicklung ist inzwischen schon<br />
viel weiter gegangen.<br />
5.5. Die Gründung der Gesellschaft „Memorial“ 90<br />
Vom Herbst 1987 an entsteht – zunächst in Moskau, aber schon sehr bald auch<br />
<strong>im</strong> ganzen Land – die Bewegung „Memorial“, in der sich nicht nur die ehemaligen<br />
Gefangenen der Stalin-Ära sammeln, sondern auch die Intellektuellen<br />
„Sechziger“ <strong>und</strong> die politisch aktive Jugend. Die Mitglieder dieser Bewegung<br />
sammelten Unterschriften für eine Petition an Gorbatschow mit der Forderung,<br />
ein Denkmal für die Opfer der Repressionen zu errichten <strong>und</strong> darüber hinaus<br />
eine umfassende Erinnerungsstruktur zu errichten: 91 jedes Archiv, jedes Museum,<br />
jede Bibliothek, in denen es Materialien über die Verbrechen des Reg<strong>im</strong>es<br />
gab, sollte öffentlich zugänglich gemacht werden, um eine Garantie dafür zu<br />
schaffen, daß sich die Vergangenheit nicht wiederholt.<br />
Sehr bald wurde aus der Bewegung eine gesellschaftliche Organisation. „Memorial“<br />
war die erste Massenvereinigung in der Sowjetunion, die nicht aufgr<strong>und</strong><br />
einer Parteientscheidung entstand, sondern „von unten“.<br />
Die Machthaber fürchteten, daß aus „Memorial“ eine oppositionelle politische<br />
Partei werden könnte <strong>und</strong> machten der Bewegung alle möglichen Schwierigkeiten.<br />
Allein der Beteiligung einiger Prominenter, wie zum Beispiel Andrej<br />
Sacharow oder der Dichter Jewgenij Jewtuschenko, ist es zu verdanken, daß<br />
sich „Memorial“ <strong>im</strong> Januar 1989 als gesellschaftliche Organisation konstituieren<br />
konnte: Offiziell registriert wurde „Memorial“ allerdings erst 1990. Dem<br />
gesellschaftlichen Rat der Organisation, der infolge einer Befragung der Bevölkerung<br />
gewählt worden war, gehörten 16 Personen an, darunter Vitalij Korotich<br />
(Chefredakteur der Zeitschrift Ogonök), Andrej Sacharow, Jurij Afanasjew,<br />
Ales Adamowitsch (Schriftsteller) Ewgenij Ewtuschenko, Boris Jelzin<br />
u. a.<br />
Die öffentliche Meinung in den Zeitungs- <strong>und</strong> Zeitschriftenseiten oder auch<br />
bei den von „Memorial“ organisierten K<strong>und</strong>gebungen, forderte ständig, daß<br />
der Staat den chronologischen Rahmen der Repressionen eingesteht, daß die<br />
90 Die wichtigsten Dokumente von Memorial liegen in deutscher Übersetzung in einer Dokumentation<br />
der Heinrich-Böll-Stiftung vor.<br />
91 Im Juli 1988 waren es schon 30.000 Unterschriften.