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Rückblick - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV

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Selbsttötung und Selbsth<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>Rückblick</strong> von Dr. Andrea Hirner auf den Vortrag<br />

von Prof. Dr. Mart<strong>in</strong> Lehnert am 27.11.2012<br />

Das im Westen populärere Wort harakiri ist lediglich e<strong>in</strong>e andere Lesung von seppuku, wie<br />

Herr Prof. Lehnert gleich zu Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>es Vortrages erläuterte. Den Bedeutungswandel<br />

dieser extremen Form des Selbstmordes machte er an zwei unterschiedlichen japanischen<br />

Schriftstellern fest.<br />

Nitobe Inazō (1862-1933), der selbst aus e<strong>in</strong>er Samuraifamilie stammte, während se<strong>in</strong>es<br />

Studiums <strong>in</strong> den USA aber zum Quäker wurde, versuchte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em bekannten Hauptwerk<br />

„Bushidō. Der Ehrenkodex der Samurai“ die Selbsttötung <strong>in</strong> Japan den westlichen Lesern<br />

zu erklären. Er sah <strong>in</strong> dieser extrem schmerzhaften Form den letzten Beweis der<br />

emotionalen Lauterkeit e<strong>in</strong>es Kriegers, den Ausdruck von Kaltblütigkeit und die<br />

Verachtung der Todesangst. In gewissen Formen der Selbsttötung im europäischen<br />

Altertum erkannte er Parallelen. Der sehr viel jüngere Chiba Tokuji dagegen sah im seppuku<br />

gerade ke<strong>in</strong>en „Selbst“mord, da für diese Zeremonie e<strong>in</strong> Assistent, der kaishaku-n<strong>in</strong>, bereit<br />

steht, um dem Ausführenden den eigentlichen Todesstoß zu versetzen. Für Chiba ist der<br />

seppuku e<strong>in</strong>e ultimative Handlung der Wut und geschieht aus e<strong>in</strong>em Affekt heraus, um <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er ausweglosen Situation dem Fe<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Verachtung zu demonstrieren. Daher auch<br />

das Herausziehen des eigenen Gedärms, um es dem Gegner sozusagen vor die Füße<br />

schleudern zu können. Chiba bezieht sich auf Literatur aus dem 8. Jahrhundert als erster<br />

Erwähnung e<strong>in</strong>er Selbsttötung. Im japanischen Mittelalter, vor allem ab dem 12.<br />

Jahrhundert, wurde der seppuku von Kriegern zumeist <strong>in</strong> drei Fällen ausgeführt: als<br />

Treuebeweis beim Tod des Lehnsherrn, bei drohender Gefangennahme <strong>in</strong> kriegerischen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen oder als äußerster Protest gegen Fehlentscheidungen e<strong>in</strong>es<br />

Vorgesetzten. 1493 wandelte sich diese Form der letzten eigenständigen Handlung auch zu<br />

e<strong>in</strong>er privilegierten Strafe, <strong>in</strong>dem die Selbstentleibung vor Zeugen an die Stelle der<br />

Enthauptung wie bei normalen Verbrechern trat. E<strong>in</strong> kompliziertes Regelwerk wurde für<br />

den Akt selbst aufgestellt, er wurde „ritualisiert“ und verlor se<strong>in</strong>en affektiven Charakter. In<br />

letzter Konsequenz reichte es dann, wenn der Schnitt mit dem Dolch nur noch angedeutet<br />

und gar nicht mehr ausgeführt wurde. Die tödliche Enthauptung wurde aber immer von<br />

e<strong>in</strong>em engen Freund oder Vertrauten, nicht von e<strong>in</strong>em Henker ausgeführt. Dar<strong>in</strong> lag die<br />

Bevorzugung der Samurai. Nur ihnen wurde die Nervenstärke zu e<strong>in</strong>er solchen<br />

Selbstentleibung zugetraut. Unternahm e<strong>in</strong> Samurai seppuku zur Sühne eigener Schuld,<br />

konnte er damit se<strong>in</strong>en Besitzstand und die Ehre der Familie erhalten oder wieder<br />

herstellen.<br />

Mit der Meiji-Reform und der Aufhebung des Kriegerstandes wurde seppuku verboten. Er<br />

überlebte aber durch se<strong>in</strong>e Heroisierung wie bei Nitobe und durch die Popularisierung des<br />

Theaterstückes von den 47 rōn<strong>in</strong> „Chush<strong>in</strong>gura“. Theaterstücke und Filme im Westen taten<br />

e<strong>in</strong> übriges, um seppuku <strong>in</strong> die Sphäre übermenschlicher Willenskraft zu heben. Der<br />

Samurai und seppuku wurden nun zu e<strong>in</strong>em Synonym. Obwohl offiziell verboten, beg<strong>in</strong>g<br />

General Nogi Maresuke seppuku entsprechend den Gefolgsleuten e<strong>in</strong>es Fürsten <strong>in</strong> früherer<br />

Veramstaltungsrückblick 2012 Seite 40

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