Nummer 6 8. Februar 2013 - sz-media.de - Süddeutsche Zeitung
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Krebs und brauchte dringend ein teures,<br />
für ihn unbezahlbares Medikament aus<br />
Japan. Dmitris Mutter bat <strong>de</strong>n japanischen<br />
Übersetzer um Hilfe, <strong>de</strong>r half<br />
gerne und schnell, Fjodor Dostojewski<br />
wird merkwürdigerweise in Japan wie<br />
ein Nationalheld verehrt. Dmitri wur<strong>de</strong><br />
geheilt und sagt heute: »Fjodor hat mir<br />
das Leben gerettet.«<br />
Inzwischen lebt Dmitri am Stadtrand<br />
von Sankt Petersburg, in einem Plattenbau<br />
auf 46 Quadratmetern, zusammen<br />
mit seiner Schwiegertochter und drei Enkelkin<strong>de</strong>rn.<br />
Er arbeitet schon lange nicht<br />
mehr, das Bein schmerzt immer wie<strong>de</strong>r.<br />
Manchmal fährt er ins Museum, um Literaturwissenschaftler<br />
und Touristen im<br />
Namen <strong>de</strong>r Familie zu begrüßen. Ganz<br />
selten empfängt er Besuch zu Hause in<br />
<strong>de</strong>r kleinen Küche inmitten <strong>de</strong>r toben<strong>de</strong>n<br />
Enkelkin<strong>de</strong>r.<br />
Sein Sohn Alexei arbeitet als Fährkapitän<br />
für ein Kloster, das auf einer Insel im<br />
Lagoda-See liegt; er kommt nur alle zwei<br />
Wochen nach Hause. Auch Alexei hat<br />
nie studiert, musste zur Armee, arbeitete<br />
kurze Zeit als Straßenbahnführer. Wenn<br />
Dmitris Bein ihn wie<strong>de</strong>r zwingt, zu Hause<br />
zu bleiben, schickt er Alexei als Vertreter<br />
<strong>de</strong>r Familie zu <strong>de</strong>n Tagungen in<br />
aller Welt. Die Dostojewskis haben seit<br />
<strong>de</strong>r Revolution 1917 keine Tantiemen erhalten,<br />
aber im Russland Putins sind <strong>de</strong>r<br />
Name <strong>de</strong>s Schriftstellers und seine Überlegungen<br />
zur russischen Nation so populär<br />
wie lange nicht mehr.<br />
Dmitris Enkeltochter war vier, als ihr<br />
die Eltern vom berühmten Vorfahren erzählten;<br />
sie verstand es noch nicht. Sein<br />
jüngster Enkel Fjodor ist gera<strong>de</strong> einmal<br />
zweieinhalb Jahre alt. Er ist <strong>de</strong>r vierte<br />
Fjodor Dostojewski, und die Familie ist<br />
glücklich, dass <strong>de</strong>r Nachname nun nicht<br />
aussterben wird. Die Familie Dostojewski<br />
führe ein glückliches Leben, sagt Dmitri.<br />
»Fjodor hat drei Dinge für alle seine Nachkommen<br />
besiegt: <strong>de</strong>n Alkohol, die Epilepsie<br />
und die Spielsucht.«<br />
Natürlich hat Dmitri inzwischen alles<br />
vom Urgroßvater gelesen. Immer noch ist<br />
Schuld und Sühne das Buch, über das fast<br />
alle mit ihm sprechen wollen. Dmitris<br />
Lieblingsbuch ist jedoch ein an<strong>de</strong>res: Die<br />
Brü<strong>de</strong>r Karamasow. »Wer die russische<br />
Seele kennenlernen und verstehen will,<br />
muss dieses Buch lesen. Die drei Brü<strong>de</strong>r<br />
symbolisieren alles, was uns Russen ausmacht:<br />
<strong>de</strong>n Glauben, <strong>de</strong>n Zweifel, die<br />
Rebellion.«<br />
B R Ü C K E N Nachts um halb zwölf wer<strong>de</strong>n<br />
während <strong>de</strong>r taghellen »weißen<br />
Nächte« im Sommer die Brücken hoch-<br />
Sankt Petersburg hat seine großen Literaten meist schlecht behan<strong>de</strong>lt, ihre<br />
Werke waren verboten o<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n missachtet. Bis heute ist Joseph Brodsky, immerhin<br />
Lite ratur-Nobelpreisträger, <strong>de</strong>r Stadtverwaltung kein Museum wert. Diese Ehre wur<strong>de</strong><br />
nur Fjodor Dostojewski – unten sein Wohnhaus – und Alexan<strong>de</strong>r Puschkin zuteil.<br />
Süd<strong>de</strong>utsche <strong>Zeitung</strong> Magazin 25