Nummer 6 8. Februar 2013 - sz-media.de - Süddeutsche Zeitung
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Axel Hacke Das Beste aus aller Welt<br />
Wenn ich alles richtig verstan<strong>de</strong>n habe, wird<br />
es nicht mehr lange dauern, bis eines <strong>de</strong>r<br />
großen Paare <strong>de</strong>r Weltgeschichte für immer<br />
getrennt wird: das Auto und sein Fahrer.<br />
Schon jetzt besitzen viele Menschen in großen<br />
Städten keinen eigenen Wagen mehr; sie<br />
nehmen sich einen, wenn sie ihn brauchen:<br />
bei einem <strong>de</strong>r vielen Carsharing-Unternehmen,<br />
die ihre Autos in <strong>de</strong>n Straßen geparkt<br />
haben. Das ist ein hervorragen<strong>de</strong>r Gedanke,<br />
wenn auch ungewohnt für Leute meiner Generation,<br />
in <strong>de</strong>ren Kindheit die ersten gesprochenen<br />
Wörter oft nicht »Mama« o<strong>de</strong>r<br />
»Papa« waren, son<strong>de</strong>rn »Brumm-brumm«.<br />
Die Scheidung <strong>de</strong>s Autos vom Fahrer wird<br />
aber noch viel weiter gehen, dahin nämlich,<br />
dass das Auto gar keinen Fahrer mehr benötigt.<br />
Längst haben, wie ich <strong>de</strong>m Spiegel entnehme,<br />
einerseits sowohl Merce<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r<br />
Volkswagen als auch an<strong>de</strong>rerseits Google<br />
Techniken entwickelt, die es schon in fünf<br />
Jahren ermöglichen wer<strong>de</strong>n, serienreife<br />
Fahrzeuge anzubieten, die sich selbst über<br />
unsere Straßen chauffieren, während jener<br />
Mensch, <strong>de</strong>r sich einst »Fahrer« nannte, ein<br />
gutes Buch liest o<strong>de</strong>r eine Magazin-Kolumne.<br />
Das hat etwas Kränken<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>nn das Auto ist<br />
immer noch etwas an<strong>de</strong>res als ein Geschirrspülautomat,<br />
<strong>de</strong>ssen Dienste wir ohne je<strong>de</strong>n<br />
Verlust an Selbstbewusstsein annehmen.<br />
War das Kraftfahrzeug nicht immer eine Art<br />
Erweiterung unserer Persönlichkeit? Machte<br />
es Besitzer und Fahrer nicht zu mehr, als<br />
sie eigentlich waren? Und nun soll es we<strong>de</strong>r<br />
Besitzer noch Fahrer mehr geben? Nun sollen<br />
wir ein Auto besteigen in <strong>de</strong>m Gefühl,<br />
das wir darin nicht mehr wirklich gebraucht<br />
wer<strong>de</strong>n? In einem Gefühl von, wie soll ich<br />
sagen: Nutzlosigkeit?<br />
Interessant ist aber nun Folgen<strong>de</strong>s: dass <strong>de</strong>r<br />
Prozess <strong>de</strong>r Trennung einst selbstverständlich<br />
verbun<strong>de</strong>ner Paare längst auch an<strong>de</strong>rswo<br />
viel weiter fortgeschritten ist, als wir <strong>de</strong>nken.<br />
In <strong>de</strong>n USA fin<strong>de</strong>n zum Beispiel seit<br />
Jahren mit zunehmen<strong>de</strong>m Erfolg Springreit-<br />
Turniere ohne Pfer<strong>de</strong> statt, sogenannte<br />
»horseless horse shows«: Junge Menschen bezwingen<br />
dort einen Spring-Parcours zu Fuß.<br />
Sind nicht in Wetten, dass . . ? schon zwei Mal<br />
Menschen solo gegen die Kombination<br />
Reiter und Pferd angetreten? Ja, so ist es, einmal<br />
1983, wenn ich mich recht entsinne.<br />
Und dann wie<strong>de</strong>r 2011. Da gewann das Paar<br />
Mensch/Tier nur noch sehr knapp.<br />
Eine bestechen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>e, <strong>de</strong>nn warum soll<br />
man ein Pferd <strong>de</strong>n Strapazen <strong>de</strong>s Sports aussetzen,<br />
wenn <strong>de</strong>r Mensch diese doch auch<br />
allein bewältigen kann? Sehr gespannt bin<br />
ich nun, wie es sein wird, wenn dieser<br />
Grundgedanke bald auch auf das Dressurreiten<br />
ausgeweitet wird und die ersten von<br />
uns in graziös-gezügelten Traversalen, Piaffen<br />
und Pirouetten über <strong>de</strong>n Sand <strong>de</strong>r<br />
Dressur-Vierecke schweben. Und mit welcher<br />
Freu<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n wir sehen, wie muskulöse<br />
Herren, vor einen Sulky gespannt, in elegantem<br />
Trab von einer automatischen Peitsche<br />
gezüchtigt die Rennbahnen umkurven!<br />
Überhaupt scheint <strong>de</strong>r Sport das angemessene<br />
Feld zu sein für die Pioniere dieser<br />
Bewegung: Viele fragen sich schon lange,<br />
warum sich Menschen <strong>de</strong>n Anstrengungen<br />
<strong>de</strong>s Schachs aussetzen, wenn es längst Computer<br />
gibt, die viel besser spielen. Mensch<br />
und Schachbrett – eine im Grun<strong>de</strong> groteske<br />
Paarung! Wie ich übrigens auch fin<strong>de</strong>, dass<br />
man im Radsport aus <strong>de</strong>r absur<strong>de</strong>n Doperei<br />
die einzig wahre Konsequenz ziehen sollte:<br />
Radrennen ohne Radler. O<strong>de</strong>r könnte es die<br />
angemessene Strafe für Lance Armstrong<br />
sein, dass er die Tour <strong>de</strong> France allein und<br />
ungedopt zu Fuß bewältigen muss? Auch in<br />
<strong>de</strong>r Leichtathletik wäre Doping ja sinnlos,<br />
wenn Kugelstoßer nicht mehr schwere<br />
Kugeln herumwuchten müssten. Wenn es<br />
Speerwurf ohne Speer gäbe.<br />
Alles könnte so leicht sein.<br />
Außer<strong>de</strong>m bin ich sehr gespannt auf die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Formel 1 in Zeiten, in<br />
<strong>de</strong>nen Herr Vettel in einem Carsharing-Fahrzeug<br />
ohne Lenkrad und Gaspedal mit<br />
automatischer Abstandsregulierung durchs<br />
Autodrom saust.<br />
Mit Wehmut <strong>de</strong>nkt A x e l H a c k e an<br />
sein erstes Auto zurück – einen Citroën<br />
2CV. Doch auch in <strong>de</strong>r »Ente« beschlich<br />
ihn gelegentlich das Gefühl einer existentiellen<br />
Nutzlosigkeit, etwa als ihm in <strong>de</strong>n<br />
Kasseler Bergen einmal bei strömen<strong>de</strong>m Regen<br />
im Gegenwind das Ver<strong>de</strong>ck wegflog.<br />
Illustration: Dirk Schmidt<br />
46 Süd<strong>de</strong>utsche <strong>Zeitung</strong> Magazin