Heft 2 (2010) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
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prosa<br />
nem Vater, der als »Troubleshooter« in Zürich<br />
bei der Eröffnung der Mövenpicks mitwirkte.<br />
Ein neues Gastrokonzept, von Ueli Prager<br />
iniziiert, stellte die neue Restaurantkette vor<br />
große Herausforderungen. Warmes Essen zu<br />
jeder Tageszeit, kleine Portionen, auf Tellern<br />
angerichtet. Frischprodukte, Lachsbrötchen,<br />
Champagnercüpli für alle, Weinausschank<br />
im Glas. Kleine Tische im Restaurant, für 2<br />
Personen gedacht, auf den Tischchen stets<br />
frische Semmeln und Ketchup à discretion.<br />
Und in der Küche Infrarot, Steamer, vorbereitete<br />
Speisen und Saucen – der Chef de<br />
Cuisine verkam zur Dekoration. Geblieben<br />
sind die Mövenpick-Hotels all over the<br />
World und, last but not least, Mövenpick-<br />
Kaffee und vor allem Mövenpick-Glacé.<br />
1951, die Mehrheit der Bevölkerung Zürichs<br />
wollte einen ausgeräumten Fluss durch die<br />
Stadt, von allem mittelalterlichen Ballast<br />
befreit. Keine Mühlenräder mehr, keine gedeckte<br />
Holzbrücke, kein Warenhaus in der<br />
Limmat. Die Gegner der »freien Limmat«<br />
standen auf einer der Brücken flussaufwärts<br />
und hielten ihre Transparente hoch, schrien<br />
Schmähungen – die Befürworter postierten<br />
sich auf der Bahnhofbrücke und lobten die<br />
freie Sicht auf Altstadt und Alpen. Zürich<br />
hat sich in diesem Jahrzehnt leergeräumt.<br />
Leergeträumt?<br />
Und fast hätte ich's vergessen: Kennen Sie<br />
»kind of blue«? Genau. Miles Davis – das war<br />
die Welt des Jazz. Die 50er Jahre in Zürich –<br />
»so what«?<br />
Ingrid Benada, Berlin<br />
Erinnerungen aus dem Ernteeinsatz<br />
Im Herbst 1959 waren wir Studenten in<br />
einem thüringischen Bauerndorf, dessen<br />
Höfe Misthaufen und Pumpen zierten. Im<br />
Ort war ein kleiner unansehnlicher Gutshof,<br />
der mit einem riesigen Bretterzaun umgeben<br />
war. Dort wurden wir einquartiert.<br />
Wir schliefen auf Strohsäcken. Der Geruch<br />
des Strohes umgab uns vorm Einschlafen,<br />
beim Erwachen und in der Nacht, wenn wir<br />
durch das Rascheln der Mäuse oder das allmorgendliche<br />
Krähen des Hahnes aus dem<br />
Schlaf gerissen wurden. Ich hatte auch das<br />
Gefühl, dass er tagsüber an mir haftete, da<br />
die Waschmöglichkeiten (von Duschen und<br />
Baden konnte gar nicht die Rede sein) sehr<br />
ungenügend waren.<br />
Wir waren in zwei Räumen untergebracht<br />
(einer war für die Studentin- nen und<br />
einer für die Studenten). In unserem Zimmer<br />
stand ein riesiges Bett, dem man nachsagte,<br />
dass in ihm auch Napoleon einst genächtigt<br />
hätte. Ob allein oder in trauter Zweisamkeit,<br />
war nicht überliefert. Wir lagen in diesem<br />
Bett oder auf der Erde nebeneinander auf<br />
Säcken wie Heringe in einer Dose. Das war<br />
recht lustig und störte unsere gute Laune<br />
nicht. Unsere Freude verging aber, wenn<br />
wir den Stroh- und Schweißgeruch und<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 2 (<strong>2010</strong>) Seite 14<br />
den Schmutz von der Feldarbeit beseitigen<br />
wollten. Auf dem Hof war die Pumpe unsere<br />
einzige Waschgelegenheit. In Absprache mit<br />
der „Männlichkeit“ wurden genaue Zeiten<br />
festgelegt, wann welches Geschlecht sich<br />
waschen durfte. Und so geschah es auch.<br />
Eines Tages aber rief uns der<br />
Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft<br />
(LPG) zusammen.<br />
Er teilte zu unserer Belustigung mit, dass<br />
wir (die Studentinnen) uns nur noch<br />
angezogen und hochgeschlossen waschen<br />
dürften. Unsere Säuberungsaktionen hatten<br />
die braven, ansonsten treuen und ach so<br />
moralischen Männer des Dorfes allen Alters<br />
angelockt. Durch Ritzen und Löcher im<br />
Zaun hatten sie uns beobachtet. Ihre um die<br />
Moral besorgten und über die Neugier ihrer<br />
Männer erbosten, eifersüchtigen Frauen<br />
bemerkten dies und beschwerten sich je nach<br />
Vorlieben und Neigungen bei der Obrigkeit<br />
des Dorfes, die aus Bürgermeister, Pfarrer,<br />
LPG-Vorsitzendem, Schuldirektor und Dorfpolizisten<br />
bestand, und forderten in heller<br />
Empörung, dem schändlichen Treiben ein<br />
für allemal ein Ende zu setzen. Wer weiß,<br />
welchen Martern die biederen Männer zu