Heft 2 (2010) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
Heft 2 (2010) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
Heft 2 (2010) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
prosa<br />
Gaby G. Blattl, Wien<br />
Die eigene Spur wiederfinden<br />
D<br />
ie Fünfziger – für mich eine schöne<br />
Zeit, denn ich durfte endlich in die<br />
Schule gehen … Doch das ist für die Zeit<br />
nicht aussagekräftig, hängt nur mit meinem<br />
Jahrgang zusammen.<br />
Nachkriegsjahre – keine Angst mehr vor<br />
Angriffen, Bomben, Verschleppungen und<br />
Tod. Nicht mehr in die Keller laufen müssen,<br />
…Nicht mehr Masse sein, endlich jung sein<br />
dürfen, alles Schlimme der Vergangenheit<br />
abstreifen, wieder Mensch werden – das<br />
machte Mut. Den Spuren nachgehen, die<br />
dieser Krieg verschüttet hatte, die eigene<br />
Spur wiederfinden …Zumindest für die<br />
Generation der Eltern und Großeltern..<br />
Vieles war wiederhergestellt, wieder aufgebaut.<br />
Der Schriftstellerverband war gegründet<br />
worden, um Schreibende mit dem<br />
schwer aufzutreibenden Papier, mit Stiften,<br />
aber auch mit Brennstoff für die zu kalten<br />
Wohnungen zu versorgen. Kaffeehäuser<br />
wurden langsam wieder besucht. Man<br />
konnte – und kann das heute noch – bei einem<br />
Kaffee und vielen Gläsern Wasser stundenlang<br />
in allen Zeitungen lesen, schreiben,<br />
Freunde treffen, kurz: daheim sein, aber<br />
doch nicht zuhause. In Wien, im Hawelka,<br />
gab es längst schon wieder die berühmten<br />
Buchteln (eine köstliche Mehlspeise)…Es<br />
gab auch als Vorstufe der Volkshochschulen<br />
die sogenannten Arbeiterheime, in denen<br />
für wenig Geld Unterhaltung ebenso wie<br />
Fortbildung geboten wurde, die ersten<br />
Fernsehgeräte wurden erst bestaunt, dann<br />
in gastronomischen- und Vereinslokalen<br />
aufgestellt. Man rückte zusammen, genoss<br />
gemeinsam Übertragungen von Sport- und<br />
anderen Veranstaltungen. An den freien<br />
Sonntagen wurden Ausflüge gemacht, alles<br />
war recht bescheiden, aber friedvoll und<br />
schön. Man lebte ein im Wesentlichen ruhiges,<br />
bescheidenes aber angenehmes Leben.<br />
Vor allem hatte man Hoffnung!<br />
Studieren war wieder möglich, die<br />
Aussichten für ein geregeltes Berufsleben<br />
waren gut. Frauen wurden wieder berufstätig,<br />
was nach Kriegsende nicht möglich<br />
war, denn die aus Kriegsgefangenschaft und<br />
Kriegsgeschehen zurückgekehrten Männer<br />
als Familienerhalter waren bevorzugt worden.<br />
Bei allem Aufschwung wurde auch auf<br />
Kriegsinvalide, -blinde, Witwen und Waisen<br />
nicht (ganz) vergessen.<br />
In den Familien fehlten vor allem Väter,<br />
Großväter, Verwandte; Nachbarn, doch daran<br />
hatte man sich weitgehend gewöhnt, gewöhnen<br />
müssen. In den Straßen fehlten noch<br />
manche Häuser, Wünsche und Bedürfnisse<br />
wurden wieder geäußert und konnten wieder<br />
– zumindest teilweise – erfüllt werden.<br />
Der Handel mit Waschmaschinen florierte,<br />
‚Jedermann‘ erklang nicht nur in Salzburg,<br />
jedermann wollte am sogenannten ‚Luxus‘<br />
teilhaben. Und die Wiener Staatsoper spielte<br />
wieder im eigenen Haus. Das war etwas<br />
Besonderes und heute noch gibt es Menschen,<br />
die mit tränenfeuchten Augen sagen ‚ich war<br />
dabei!‘.<br />
Es war eine gute Zeit.<br />
Wie war das literarisch zu sehen? Die literarische<br />
Landschaft – zumindest im deutschsprachigen<br />
Raum – war Schauplatz eines<br />
großen Aufbruchs, einer Erneuerung. Nur einige<br />
Namen: Böll, Bachmann, Enzensberger,<br />
Frisch, Doderer, Fussenegger, Jahnn oder<br />
aus Südtirol Franz Tumler.<br />
Zu den Großen zählt auch Erika Mitterer. Es<br />
erschien 1951 ‚Die nackte Wahrheit‘, zwei<br />
Jugendbücher wurden herausgebracht,<br />
Gesammelte Gedichte, vor allem aber war<br />
es das Jahrzehnt der Dramen. 1958 wurde<br />
in Wien ‚Verdunkelung‘ (eines ihrer wichtigsten<br />
Werke) aufgeführt.<br />
Horizonte wurden eröffnet - es war eine gute<br />
Zeit.<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 2 (<strong>2010</strong>) Seite 18