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CLAUSEWITZ 900 Tage Blockade: Belagerung von Leningrad (Vorschau)

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Titelgeschichte | <strong>Leningrad</strong> 1941–1944<br />

IN FREMDER ERDE: Deutsche Soldatengräber an der <strong>Leningrad</strong>er<br />

Front. Auch auf deutscher Seite sind die Verluste während der fast<br />

<strong>900</strong> <strong>Tage</strong> andauernden <strong>Belagerung</strong> hoch. Foto: ullstein bild - Nowosti<br />

ERSCHRECKEND: Unterernährte Kinder im belagerten <strong>Leningrad</strong><br />

werden ärztlich untersucht. Unzählige Kinder sterben einen qualvollen<br />

Hungertod.<br />

Foto: picture-alliance/akg-images<br />

bei Minustemperaturen <strong>von</strong> 30 bis 40 Grad<br />

unter Null kommen viele der größtenteils erheblich<br />

geschwächten und medizinisch völlig<br />

unzureichend versorgten Menschen ums<br />

Leben.<br />

Kampf ums nackte Überleben<br />

Eine im Januar 1942 angeordnete Massenevakuierung<br />

auf „Eisstraßen“ in Lkw über<br />

den zugefrorenen Ladogasee soll eine gewisse<br />

Entlastung bringen und führt sogar zum<br />

gewünschten Erfolg, denn das „Soll“ wird<br />

mit etwas mehr als 500.000 Menschen übertroffen.<br />

Doch die Zahl derjenigen, die während<br />

der Evakuierungsaktion sterben, ist<br />

hoch. Hinzu kommt, dass viele <strong>Leningrad</strong>er<br />

trotz allen Elends die Stadt aus Angst, die beschwerliche<br />

und gefährliche Reise ins Ungewisse<br />

nicht zu überstehen, nicht verlassen<br />

wollen und für Unruhe sorgen.<br />

Der Kriegsalltag in <strong>Leningrad</strong> ist <strong>von</strong> dem<br />

Kampf ums nackte Überleben geprägt. Überall<br />

und immer wieder gleichen sich die Bilder:<br />

Entkräftete Menschen gehen zu Fuß<br />

durch die Straßen, um ihre knappen Rationen<br />

in den Ausgabestellen abzuholen oder<br />

um Wasser aus den Kanälen zu schöpfen.<br />

Ein unrühmliches Kapitel stellt die Bevorzugung<br />

der Parteifunktionäre und Militärelite<br />

bei der Zuteilung <strong>von</strong> Lebensmittelrationen<br />

dar. Die kommunistische Führung in<br />

Moskau ist im Bilde, doch lässt man die „Oberen“<br />

in <strong>Leningrad</strong> gewähren. Unterschlagungen<br />

und Diebstahl lassen sich auch durch Androhung<br />

schärfster Sanktionen nicht vollständig<br />

unterdrücken und verschärfen die<br />

äußerst angespannte Lage zusätzlich.<br />

„Fast alle Leute haben sich durch den Hunger,<br />

die <strong>Blockade</strong> und die ausweglose Lage bis zur<br />

Unkenntlichkeit verändert.“<br />

Die <strong>Leningrad</strong>erin Jelena Skrjabina in einem <strong>Tage</strong>bucheintrag vom Oktober 1941<br />

Literaturtipp<br />

Anna Reid: Blockada – Die <strong>Belagerung</strong> <strong>von</strong> <strong>Leningrad</strong><br />

1941–1944, Berlin 2011.<br />

Zwar können Lebensmitteltransporte<br />

über den zugefrorenen Ladogasee oder in<br />

den wärmeren Monaten per Schiff die dramatische<br />

Versorgungslage zeitweise zumindest<br />

leicht verbessern, doch aufhalten lässt<br />

sich die Hungertragödie dadurch nicht.<br />

Unvorstellbar grausame Szenen spielen<br />

sich ab: In den Außenbezirken prägen während<br />

der Wintermonate Leichenberge das<br />

Bild. An eine würdige Bestattung der Verstorbenen<br />

ist ohnehin nicht zu denken, aber<br />

selbst ein einfaches Massengrab lässt sich in<br />

dem völlig vereisten Boden nur schwer ausheben.<br />

Selbst in den belebten Straßen gehören<br />

die leblosen Körper <strong>von</strong> Menschen, die<br />

vor Schwäche und Auszehrung tot zusammengebrochen<br />

sind, zum täglichen Anblick<br />

der Stadtbewohner.<br />

Während der <strong>900</strong> <strong>Tage</strong> andauernden <strong>Blockade</strong><br />

der Stadt nimmt auch die Zahl der Soldatengräber<br />

der deutschen Angreifer beziehungsweise<br />

Belagerer deutlich zu. Eine genaue<br />

Zahl der Todesopfer auf deutscher<br />

SEITE AN SEITE: Angehörige eines Arbeiterbataillons<br />

werden notdürftig militärisch geschult.<br />

Besonders die eilig aufgestellte<br />

„Volkswehr“ hat hohe Verluste zu beklagen.<br />

Foto: picture-alliance/akg-images<br />

Seite ist nicht bekannt, doch für einen <strong>von</strong><br />

der deutschen Militärführung als „Nebenkriegsschauplatz“<br />

bezeichneten Frontabschnitt<br />

sind die Verluste erheblich.<br />

Ende der <strong>Blockade</strong><br />

Als die sowjetische Winteroffensive 1943/44<br />

schließlich Ende Januar 1944 das Ende der<br />

<strong>Belagerung</strong> bringt, wird kurz darauf in der<br />

Stadt das Museum „Die heldenhafte Verteidigung<br />

<strong>von</strong> <strong>Leningrad</strong>“ eröffnet. Doch nach<br />

dem militärischen Sieg über das „Dritte<br />

Reich“ im Mai 1945 wird es <strong>von</strong> der obersten<br />

Sowjetführung als „Störfaktor“ angesehen.<br />

Stalin lässt das Museum schließen. Die Erinnerung<br />

an das durch eine gegnerische <strong>Blockade</strong><br />

entstandene „millionenfache Massengrab“<br />

auf russischem Boden passt aus Sicht<br />

des Diktators nicht zum „Triumph“ seiner<br />

Roten Armee.<br />

Dr. Tammo Luther, Jg. 1972, Verantwortlicher Redakteur<br />

<strong>von</strong> <strong>CLAUSEWITZ</strong> und freier Autor und Lektor in<br />

Schwerin mit Schwerpunkt „Deutsche Militärgeschichte<br />

des 19. und 20. Jahrhunderts“.<br />

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