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www.gamesaktuell.de retro 91<br />
Ausgang meines Freizeitparadieses<br />
nur erreichen, wenn sie mit meiner<br />
Achterbahn (ich habe sie „Schleudertrauma“<br />
genannt) fahren. Doch<br />
die Leute beschweren („Ich kann<br />
den Parkausgang nicht finden!“) und<br />
verwandeln sich zu rotköpfigen Wüterichen,<br />
die meine Parkeinrichtung<br />
aus Frust zertrümmern. Für solche<br />
Querulanten habe ich eine Erziehungsanstalt<br />
am anderen Ende der<br />
Karte. Sie ist genau ein Feld groß,<br />
gefüllt mit Wasser und lässt aggressive<br />
Trotzköpfe schnell und heimlich<br />
für immer verschwinden. Nur meine<br />
Achterbahn, die steht immer noch<br />
verschmäht und ohne nur einem<br />
einzigen Fahrgast das Leben gekostet<br />
zu haben herum.<br />
Essen und fegen<br />
Rückblickend verraten meine stundenlangen<br />
Sitzungen mit Rollercoaster<br />
Tycoon zwei Dinge. Erstens:<br />
Ich wäre im echten Leben kein guter<br />
Chef eines Freizeitparkes. Zweitens:<br />
Trotz meiner offensichtlichen<br />
Unfähigkeit, eine Achterbahn statt<br />
einer Todesfalle (siehe auch Kasten<br />
auf der linken Seite) zu bauen, liebe<br />
ich die Spielereihe. Und das liegt<br />
nicht nur an den herzallerliebsten<br />
Kotz-Animationen. Unter der bunten<br />
Oberfläche liegt nämlich eine beträchtliche<br />
strategische Tiefe. Wer<br />
zum Beispiel viele Fressbuden mit<br />
salzigen Speisen im Angebot baut,<br />
kann die Getränkepreise erhöhen,<br />
denn die Besucher werden durstig<br />
sein. Nicht zu empfehlen ist die<br />
Platzierung besagter Fressbuden<br />
jedoch in der Nähe von Ausgangsbereichen<br />
aufregender Fahrgeschäfte<br />
wie Achterbahnen – wenn die Gäste<br />
mit grünlichem Teint aussteigen<br />
und ihnen dann Hamburger-Duft<br />
um die Nase weht, erhöht dies das<br />
Erbrochenes-zu-Asphalt-Verhältnis<br />
erheblich.<br />
Wenn es regnet, hat niemand<br />
Lust, in eine Achterbahn zu steigen,<br />
dafür rennen die Besucher den<br />
sonst kaum frequentierten Langweiler-Geschäften<br />
wie Geisterbahnen<br />
und Karussells die Türen ein – da<br />
kann man gleich mal den Preis nach<br />
oben korrigieren! Oder man verkauft<br />
an jeder Ecke des Parks Regenschirme<br />
und verdient sich so eine<br />
goldene Nase. Anders als etwa bei<br />
Sim City empfand ich den Schwierigkeitsgrad<br />
von Rollercoaster Tycoon<br />
nie als zu hoch oder frustrierend.<br />
Während Städte in der erstgenannten<br />
Simulation bei mir rasch zu<br />
hoffnungslos verschuldeten und kriminellen<br />
Höllenlöchern mutierten,<br />
waren meine Freizeitparks profitabel<br />
und sauber. Nur selten sah ich<br />
die Notwendigkeit, Gäste in meiner<br />
Umerziehungsanstalt zu ertränken,<br />
und die meisten Besucher verließen<br />
meinen Park mit besserer Laune als<br />
beim Betreten. Zu einigen der Männlein<br />
habe ich sogar persönliche Bindungen<br />
aufgebaut: Wer sich jeden<br />
denkbaren Merchandise-Krempel<br />
an meinen Info-Ständen kaufte, der<br />
stieg in meiner Gunst. Und wer trotz<br />
empfindlichen Magens (solche Statuswerte<br />
kann man bei jedem Gast<br />
einsehen) mit einem extremen Fahrgeschäft<br />
fuhr, sich dann vor Übelkeit<br />
erbrach und sofort grinsend wieder<br />
anstellte, den fand ich auch sympathisch.<br />
Damals fiel mir übrigens gar<br />
nicht auf, dass meine Freizeitparks<br />
nur von erwachsenen Männern und<br />
Transsexuellen besucht wurden,<br />
Charaktermodelle für Kinder und<br />
Frauen gab es nämlich nicht.<br />
Physik und wirtschaft<br />
Ich würde nun gerne sagen, dass<br />
Rollercoaster Tycoon mich wichtige<br />
physikalische Gesetze und<br />
wirtschaftliche Zusammenhänge<br />
gelehrt hat. Doch das wäre gelogen.<br />
Meine einzige aus dem Spiel<br />
resultierende betriebswirtschaftliche<br />
Erkenntnis beschränkt sich auf<br />
„Verlange immer Geld für den Toilettenbesuch“<br />
und mein physikalisches<br />
Verständnis der Welt besteht immer<br />
noch aus: „Sachen fallen dem Erdboden<br />
entgegen“. Dafür weiß ich<br />
aber, dass, wenn man einem Gast<br />
den Namen Chris Sawyer gibt, er<br />
Fotos vom Park machen wird. Und<br />
ich weiß, dass sich in Rollercoaster<br />
Tycoon selbst der wütendste Gast<br />
an die „Betreten verboten“-Schilder<br />
hält. Ich weiß, dass Luftballons,<br />
die Besucher loslassen, mit einem<br />
Mausklick zum Platzen gebracht<br />
werden können. Und zu guter Letzt<br />
weiß ich noch, dass ich mit keiner<br />
anderen Simulation so viele spaßige<br />
Stunden verbracht habe wie mit dem<br />
interaktiven Vergnügungspark. kr<br />
Wo bekomme ich das heute noch her?<br />
Auch heute noch spaßig und gar nicht so schwierig zu bekommen<br />
– wir verraten, wo und für wie viel Geld!<br />
Der erste Teil der Reihe in neuem Zustand kommt euch teuer zu<br />
stehen. Bis zu 70 Euro wollen einige Händler sehen. Das dürfte nur<br />
für Sammler von Interesse sein. Wer mit einer gebrauchten Version<br />
leben kann, macht manchmal im einstelligen Euro-Bereich ein<br />
Schnäppchen. Doch Vorsicht:<br />
Auf Rechnern mit Windows 7<br />
und Windows 8 als Betriebssystem<br />
müsst ihr entweder<br />
auf inoffizielle Patches<br />
zurückgreifen, um den Titel<br />
zum Laufen zu bringen,<br />
oder ihr startet euren PC im<br />
Win95- oder Vista-Modus.<br />
Das gilt auch für Teil 2 der<br />
Serie, den es für spottbillige<br />
sechs Euro mit allen Erweiterungen<br />
in der Software-Pyramide<br />
gibt. Für Rollercoaster Tycoon 3 müsst ihr noch etwa elf Euro<br />
berappen. Ein Vermögen müsst ihr also nicht investieren, um euch<br />
als Freizeitpark-Mogul zu versuchen – das Spielprinzip ist herrlich<br />
zeitlos und macht auch heute noch jede Menge Spaß.<br />
Kombiniere, kombiniere: Wasserrutschen wie das türkise<br />
Modell oben links sind nur gut besucht, wenn die<br />
Sonne scheint und die Temperatur angenehm ist. (PC)<br />
Und das sagen die anderen<br />
Entwickelt hat Rollercoaster<br />
Tycoon eine einzige Person:<br />
Chris Sawyer. Lediglich Musik<br />
und Grafik stammen nicht<br />
komplett aus seiner Hand. Die<br />
jahrelangen Mühen wurden von<br />
Kritikern und Spielern mit tollen<br />
Verkaufszahlen belohnt.<br />
Die Website www.gamerankings.<br />
com gibt als Durchschnittswertung<br />
des ersten Spiels der Reihe satte<br />
87 % Spielspaß an. Der Nachfolger<br />
konnte nicht an die traumhaf-<br />
Chris Sawyer<br />
ten Bewertungen anknüpfen, hauptsächlich wurden die zu wenigen<br />
Neuerungen bemängelt. Dafür bekam der dritte Teil (nun nicht mehr<br />
mit Iso-Ansicht, sondern in 3D) mit 83 % Durchschnittswertung wieder<br />
gute Kritiken. Ein vierter Teil befindet sich gerüchteweise in Entwicklung.<br />
Ob und wann eine Fortsetzung erscheint, steht aber unter<br />
anderem wegen der ungeklärten Rechtelage in den Sternen.