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INTERSECTION Sport & Elektrik (Vorschau)

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»Wenn ich langsam fahren muss, schlafe ich ein«<br />

thomas kretschmann<br />

Lederjacke Hermès<br />

Handschuhe Giorgio Armani<br />

„Es ist eine große Befriedigung, zu merken, dass ich eine Rolle genagelt<br />

habe“, sagt Thomas Kretschmann. Er sitzt in einem kleinen Hinterhof<br />

des VW-Design-Centers Potsdam, raucht und trinkt Kaffee. Die Sonne<br />

scheint. Noch. Es ist einer dieser seltsamen Tage, von denen es den letzten<br />

Sommern so viele gab. Das Wetter wechselt minütlich. Die Wolken<br />

rasen über den Himmel, eine halbe Stunde später wird es regnen.<br />

Als im Gespräch eine kurze Pause entsteht und für wenige Sekunden nichts<br />

außer ein paar ferne Straßengeräusche zu hören sind, steht Kretschmann auf<br />

und sagt freundlich, aber bestimmt: „O. k., dann lass uns weitermachen.“ Das<br />

Design-Center, in dem der Volkswagen-Konzern unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

an seiner Zukunft arbeitet, ist abgeschirmt wie der Hochsicherheitstrakt<br />

eines Gefängnisses. Außer der großen Präsentationshalle ist uns der Zutritt zu<br />

allen anderen Gebäudeteilen untersagt. Und wenn wir die Halle verlassen wollen,<br />

dann nur in Begleitung des Sicherheitspersonals. Ein Mitarbeiter öffnet uns<br />

mit seiner Schlüsselkarte die Türen, bis wir in der Halle zurück sind, in der das<br />

Fotoshooting stattfindet. Das Dach ist aus Glas, man kann direkt in den Himmel<br />

schauen. Eine große Fensterfront gibt den Blick auf den Tiefen See frei. Als<br />

die Fotografin Kretschmann auf eine Markierung am Boden aufmerksam macht,<br />

entgegnet er: „Ich weiß, was ich tue, ich bin Schauspieler.“<br />

Ein sehr erfolgreicher. Kretschmann gelang, was viele deutsche Schauspieler<br />

vergeblich versucht haben. Er hat sich in Hollywood durchgesetzt. Nicht<br />

als Glamour-Star mit viel Rummel und Trara, sondern als präziser Arbeiter. Ein<br />

Freund dort sagte zu ihm mal: „Thomas, when you play, you don‘t see<br />

the stitches.“ Kretschmann spielt ökonomisch bis zur Selbstverleugnung. Er<br />

reduziert seine Dialoge gerne auf ein Mindestmaß und verlässt sich auf sein<br />

bestechendes Gefühl für die richtige Bewegung im richtigen Augenblick. Passenderweise<br />

ist seine Wunschrolle eine, in der er nicht redet. „Ich habe eine<br />

Obsession mit Echtheit. Viele Schauspieler machen Sachen, anstatt eine Szene<br />

zu leben“, sagt er.<br />

In der Halle steht das Volkswagen Concept Car „Blue <strong>Sport</strong>“, ein Roadster,<br />

der bei 180 PS nur vier Liter verbraucht. Sparsam, aber schnell. Ökonomisch,<br />

ohne dabei an Eleganz und Dynamik zu verlieren. Ein realistisches Zukunftsauto,<br />

dessen Mischung aus Leistung, Effektivität und Emotionalität zum Schauspieler<br />

Kretschmann passt. Seine Kindheit verbrachte er als Hochleistungsschwimmer<br />

im Nationalkader der DDR. „Als die anderen Jungs den Mädchen im Park<br />

hinterhergerannt sind, habe ich Kacheln gezählt“, sagt Kretschmann, und<br />

man meint auch nach so langer Zeit noch Bitterkeit in seiner Stimme zu hören.<br />

Wie die Kacheln unter ihm im Schwimmbecken verflogen die Jahre. Kretschmann<br />

hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Seine Leistungen wurden ihm<br />

nicht persönlich zugerechnet, sie verschwanden hinter der grauen Maske des<br />

DDR-Systems, das im Hochleistungssport nicht die einzelnen Athleten, sondern<br />

sich selber feierte. 1981, im Alter von 19 Jahren, beschloss Kretschmann, die DDR<br />

zu verlassen. Er floh über Ungarn, Jugoslawien und Österreich in die BRD. Auf<br />

der Flucht, als er nachts über einen Acker robben musste, verlor er eine Fingerkuppe.<br />

Für Kretschmann war die Flucht kein politischer Akt, ihn trieb ein grundsätzliches<br />

Unbehagen an der Lebenswelt der DDR. Das System entsprach nicht<br />

seinem Charakter, seinen Wünschen und Zielen. Kretschmann formuliert trocken:<br />

„Ich bin weggegangen.“ Gäbe es heute mehr Western-filme, Kretschmann<br />

wäre wahrscheinlich auf die Rolle des Cowboys abonniert. Nicht auf<br />

den eindimensionalen, heldenhaften John-Wayne-Typen, eher auf den Clint-Eastwood-Charakter.<br />

Schillernd, still und standhaft. Mittlerweile lebt Kretschmann<br />

in Los Angeles, spielt pro Jahr in mindestens fünf Filmen mit. Er fährt dort mit<br />

einem VW Touareg über die Highways der Westküste. „Wenn ich schnell fahre,<br />

konzentriere ich mich“, sagt er. „Wenn ich langsam fahren muss, schlafe ich ein.“<br />

Es liegt eine Ungeduld in vielem, was Kretschmann sagt und tut.<br />

Einer seiner ersten Jobs als Schauspieler führte ihn an das Schillertheater,<br />

damals als das beste Theater der Bundesrepublik bekannt und eigentlich so<br />

was wie eine Endstation. Aber Kretschmann wollte in Filmen spielen. Seine<br />

Kollegen blickten ihn ungläubig an, als er die Anstellung am Theater, für die ein<br />

Schauspieler damals alles gegeben hätte, wegen einer Rolle in seinem ersten<br />

Film „Der Mitwisser“ aufgab. Nur wenige Monate später wurde das Theater<br />

geschlossen und Kretschmann für seinen Debütfilm mit dem Max-Ophüls-Preis<br />

ausgezeichnet. Kretschmann hatte den richtigen Riecher. Wenig später bekam<br />

er eine Hauptrolle in Joseph Vilsmaiers großem Kriegsepos „Stalingrad“. Doch<br />

als er in Deutschland als Film- und Fernsehschauspieler etabliert war, zog er<br />

weiter nach Hollywood, ohne ein Wort Englisch zu sprechen. Seine Disziplin,<br />

der Ehrgeiz und das uneitle Im-Sinne-der-Sache-Handeln halfen ihm weiter.<br />

Und machten es wahrscheinlich auch leichter, mit Enttäuschungen umzugehen.<br />

Zum Beispiel als ihm Tom Cruise die Rolle des General Stauffenberg in<br />

„Operation Walküre“ vor der Nase wegschnappte und Kretschmanns Part zu<br />

einer winzigen Nebenrolle degradiert wurde. „Operation Walküre“ hätte sein<br />

ganz großer Durchbruch in die erste Liga Hollywoods werden können. Am Ende<br />

blieben nur ein paar Minuten in einem mittelmäßigen Film. Doch Kretschmann<br />

spielt unbeirrt weiter, dreht mehr als jemals zuvor. In Hollywood, aber auch<br />

wieder zunehmend in Deutschland. In diesem Herbst läuft der Fernsehmehrteiler<br />

„Die Grenze“. In der ARD-Verfilmung des Lebens von Romy Schneider, die<br />

ebenfalls im Herbst/Winter gezeigt wird, spielt er eine Hauptrolle. Für den uneitlen<br />

Pragmatiker Kretschmann spricht auch, dass er immer wieder völlig andere<br />

Rollen spielt. „In einem Jahr hätte ich fast den Kannibalen von Rotenburg,<br />

den Papst und in King Kong mitgespielt. Das ist ideal“, sagt er. Es gibt<br />

wenige Schauspieler, die so angstfrei Rollen annehmen, die unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten. Als Flugzeugpilot in der ARD-Produktion „Mogadischu“<br />

über den Terrorismus der Siebziger, als schießwütiger Verschwörer in „Wanted“<br />

mit Angelina Jolie, als Liebhaber und Ehemann in „Romy“, als Kapitän in<br />

Peter Jacksons „King Kong“, an der Seite von Adrien Brody im oscargekrönten<br />

„Der Pianist“, als schwuler Menschenesser in „Rohtenburg“ oder sadistischer<br />

Mafia-Killer in „Transsiberian“. Kretschmann hat sich freigespielt. Und diese<br />

Rollenvielfalt wirkt nicht angestrengt oder opportunistisch. Kretschmann ist<br />

ein Maniker, ein Arbeitswütiger, der nicht still sitzen kann, der aber als ehemaliger<br />

Hochleistungssportler auch weiß, dass Erfolg planbar ist. Der Satz „Ich<br />

denke in Fünfjahresplänen“ ist keine Koketterie mit seiner Ost-Vergangenheit,<br />

er verdeutlicht sein strategisches Denken. Wahrscheinlich konnte Kretschmann<br />

genau deshalb in Hollywood Wurzeln schlagen. Als wir ihm erzählen, dass die<br />

Optik seiner Porträt-Strecke an „Sin City“ angelehnt ist, sagt er: „Der Regisseur<br />

Frank Miller ist ein Freund von mir.“ Das klingt nicht angeberisch, sondern<br />

selbstverständlich und wie nebenbei.<br />

Auf das gläserne Dach des Designzentrums fällt jetzt aus dunklen Wolken<br />

der Regen. Kretschmann sitzt hinter dem Steuer des Autos, schaut mit konzentriertem<br />

und ungeduldigem Blick nach vorne in Richtung Kamera. Die eine Hand<br />

am Lenkrad, die andere lässig in den Schoß gelegt. Vor ihm, hinter den großen<br />

Fenstern, bricht langsam die Sonne durch die Wolken.<br />

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