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INTERSECTION Sport & Elektrik (Vorschau)

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»Am späten Nachmittag<br />

rollen unzählige alte<br />

Toyota Corollas,<br />

Datsuns und Ford Cortinas<br />

über die StraSSen<br />

in Richtung Hinterland«<br />

Siege bei vergangenen Mic-Men-Battles. Heute findet am<br />

Rande einer Hochzeit in der Nähe der Stadt Rio Clara ein<br />

kleiner inoffizieller Mic-Men-Wettkampf statt, bei dem einer<br />

von Imtiaz’ Freunden gegen einen der bekanntesten Mic-<br />

Techniker der Insel antritt. An diesem Tag geht es nicht um<br />

Pokale oder Trophäen, sondern um die Ehre. Wir setzen uns<br />

in Imtiaz’ Toyota Corolla und holen seinen Freund Manyram<br />

Helral alias „The Bone Crusher“ ab, einen geselligen Typen<br />

mit Glatze und Baseballkappe. Crusher hält eine fast leere<br />

Bierflasche in der Hand und fragt als Erstes: „Jungs, wollt<br />

ihr ein Bier oder irgendwas für die Fahrt? Keine falsche Bescheidenheit,<br />

ihr wisst, wir sind lange unterwegs.“<br />

Dann starten wir. Imtiaz sagt: „Wenn einer heiratet, dann<br />

spricht sich das rum. Spätestens Samstags weiß man, wo<br />

Sonntag was abgeht.“ Es ist das Wochenende, an dem in<br />

Port of Spain langsam der Karneval beginnt. Eigentlich die<br />

wichtigsten Feiertage der Insel, zu denen Touristen aus aller<br />

Welt anreisen und die man als Bewohner von Trinidad und<br />

Tobago normalerweise nicht verpasst. Crusher erzählt, warum<br />

er und seine Freunde nicht nach Port of Spain gefahren<br />

sind: „Ich gehe da eigentlich nie hin“, sagt er. „Es ist die<br />

Kultur der Schwarzen. Das ist kein rassistisches Ding, aber<br />

die Schwarzen feiern dort das Ende der Sklaverei. Das ist<br />

ihre Party.“ Imtiaz sagt nichts. Für ihn ist der Karneval ein<br />

gutes Geschäft. Und er braucht das Geld.<br />

Unser Weg führt uns von Barataria über den Uriah-<br />

Highway Richtung Süden. Dann weiter Richtung Südosten<br />

durch die Gebirgszüge in der Mitte der Insel. Unterwegs<br />

treffen wir drei andere Autos, die unser Ziel teilen. Wir halten<br />

am Rand einer kleinen, zweispurigen Straße für einen ersten<br />

kleinen Soundcheck.<br />

Dazugestoßen sind Ricky, 30, und sein Vater Jake, 53.<br />

Jake tritt heute gegen einen Mic Man an, den alle nur „Boy“<br />

nennen. Auf einem von Jakes Lautsprechern steht „Ayatollah“.<br />

Er hält eine Flasche Dewar’s Whiskey in der Hand, den<br />

er in Styroporbechern mit Cola mischt und an uns verteilt.<br />

Ebenfalls dabei ist Taj Ghanny, 47, dessen Soundsystem<br />

unter den Mic Men auf den Namen „Taj Mahal“ getauft<br />

wurde.<br />

Ghanny hat eine Flasche mit hausgemachtem Fusel<br />

dabei. Eine Mischung aus Guinness, Milch, einem<br />

Energydrink und „Puncheon“ – ein Alkohol, der aus<br />

dem Bodensatz der Rum-Produktion gewonnen wird.<br />

Ein Drink, der dazu führe, dass man mit einer riesigen<br />

Erektion aufwache, meint Ghanny. Er holt einen Topf mit<br />

Ziegencurry hervor. Während er das Essen zubereitet, fangen<br />

die anderen an, ihre Anlagen zu checken, die Verstärker<br />

einzustellen, Autobatterien anzuschließen. Aus den Boxen<br />

dröhnen Songs von Mohammed Rafi und Manna Dey. Beide<br />

zählen zu den Lieblingskünstlern der Mic Men. „Was<br />

wir machen, ist eigentlich nicht legal, aber man lässt uns<br />

gewähren. Die Regierung braucht uns für ihren Wahlkampf,<br />

um ihre Botschaften zu verbreiten“, sagt Imtiaz. Seit in den<br />

vierziger und fünfziger Jahren in Trinidad das Wahlrecht<br />

eingeführt wurde, sind die Mic Men bei jeder politischen<br />

Kampagne dabei. Imtiaz zum Beispiel war gerade 18 Tage<br />

in Tobago während der Lokalwahlen unterwegs. Trotzdem<br />

dürfen sie ihre Musik nur mit 80 Dezibel spielen (eine Vorschrift,<br />

über die Imtiaz und seine Freunde nur müde lächeln).<br />

Und eigentlich sollen sie um 18 Uhr ihre Anlagen<br />

ausmachen, denn es gibt immer wieder Beschwerden der<br />

genervten Bevölkerung. Auch daran halten sie sich meistens<br />

nicht.<br />

In der Nähe von Brasso fahren wir langsamer, weil am<br />

Straßenrand ein Team der örtlichen Forensik nach Leichen<br />

sucht. Später erfahren wir, dass die Behörden die Körper<br />

von zwei Teenagern aus dem Süden von Trinidad geborgen<br />

haben, die geschlagen, gefesselt und exekutiert wurden, all<br />

das angeblich von einem Mann, der angezogen war wie<br />

ein Soldat. Morde wie diese häufen sich in der letzten Zeit<br />

wieder. Die Verbrechensrate auf Trinidad ist die höchste der<br />

Karibik. Die Regierung steht dem machtlos gegenüber.<br />

Wir fahren weiter durch das lehmige Landesinnere, wo<br />

billiges Marihuana und der Rum Babash produziert werden,<br />

dann durch Flanagin und weiter Richtung Tabaquite.<br />

Crusher erzählt, dass es in Tabaquite einen lebhaften Handel<br />

mit allen möglichen Fleischsorten gibt: Opossum, Wild,<br />

Stachelschwein, Aguti und Leguan. Mindestens der Handel<br />

mit Leguanfleisch ist illegal.<br />

Nach etwa zwei Stunden und kurz vor Rio Claro halten<br />

wir erneut. Die Mic Men nehmen einen Drink und überprüfen<br />

noch mal ihre Anlagen. „Die Fahrt zu den Wettkämpfen<br />

ist fast so wichtig wie der Wettkampf selber“, sagt Bone<br />

Crusher. „Alles hat seine Regeln, seine Routine.“<br />

Die Braut ist die Tochter des Besitzers von Harry’s Water<br />

Park, einem etwas verblichenen Vergnügungspark, der seine<br />

besten Zeiten hinter sich hat. In einem großen Zelt nah am<br />

Eingang des Parks – zwischen Hunderten von Plastikstühlen<br />

– werden indische Volkstänze aufgeführt. Wir schauen<br />

den Tänzern zu. Imtiaz geht direkt auf die Anlage zu. Er<br />

lauscht aufmerksam der Musik und nickt anerkennend:<br />

„Gut, gut. Der Sound ist wirklich gut.“ Auf einem kleinen<br />

Parkplatz in der Nähe des Wasserparks stehen etwa 30 Mic<br />

Men und 15 Autos. Hier treffen wir Boy, mit bürgerlichem<br />

Namen Hublal Ramkissoon, ein 51-jähriger Kakaobauer aus<br />

Rio Claro. Boy ist klein, er trägt hochgeschlagene Khakihosen,<br />

Ledersandalen und ein rotes Poloshirt. Neben dem<br />

robusten Bone Crusher wirkt der sanft sprechende Boy eher<br />

wie ein Mic Guru als ein Mic Man. Er erzählt mir, dass seine<br />

Vorfahren aus Uttar Pradesh kommen, aus Kashmir, Nepal<br />

136<br />

werkstatt<br />

<strong>INTERSECTION</strong> nr. 02 2009<br />

137

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