INTERSECTION Sport & Elektrik (Vorschau)
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Kaum jemand hat das Autodesign<br />
in den letzten Jahren<br />
mehr geprägt als Chris Bangle.<br />
Und kaum jemand war umstrittener.<br />
Als er im Februar den Rücktritt<br />
von seinem Posten als Chefdesigner<br />
von BMW erklärte, hatte er über 15<br />
Jahre entscheidend zur Modernisierung<br />
des bayrischen Autoherstellers<br />
beigetragen. Im Interview mit<br />
Intersection spricht er über den<br />
Umgang mit Kritik, die Trägheit der<br />
Autoindustrie und erklärt, warum<br />
<strong>Sport</strong>wagen in Zukunft wie Ziegelsteine<br />
aussehen könnten.<br />
Sie haben als Chef-Designer von<br />
BMW polarisiert. Wie sind Sie mit<br />
den teilweise harten Kritiken umgegangen?<br />
Sie kennen wahrscheinlich diesen<br />
Spruch: When you can’t stand the heat,<br />
don’t be in the kitchen. Was bedeutet:<br />
Wenn man sich so gut wie möglich<br />
abschottet, dann passiert einem auch<br />
nichts. Aber das ist nicht sehr menschlich.<br />
Auch Kritiker sollten verstehen,<br />
dass in den Entwicklungsprozess eines<br />
Autos Persönlichkeiten mit Gefühlen<br />
involviert sind. Als mir eine Welle der<br />
Kritik entgegenschlug, war mein Sohn<br />
ein Teenager. Also in einem Alter, in<br />
dem man erst noch lernt zu verstehen,<br />
was Wahrheit ist und wem man vertrauen kann. Glaubt man den Eltern oder<br />
dem, was in der Zeitung steht? Zu dieser Zeit gab es bei uns dramatische Diskussionen<br />
beim Abendessen. Andererseits bin ich dankbar für diese Erfahrung.<br />
Zusammen mit seinen Kindern nach der Wahrheit zu suchen, ist sehr wichtig,<br />
man lernt einander besser zu verstehen.<br />
Ihr Beruf befindet sich in einem Wandel. Neben der Gestaltung der Form,<br />
wird Soziales Design, die Gestaltung der Interaktion zwischen Mensch und<br />
Maschine, immer wichtiger. Welche neuen Aufgaben kommen in Zukunft<br />
auf einen Designer zu?<br />
Man kann beobachten, dass im Produktdesign sehr viel mehr experimentiert<br />
wird und Designer mit ihrer Arbeit zunehmend die Gesellschaft herausfordern.<br />
Das ist eigentlich eine Aufgabe, die bislang Künstlern vorbehalten war. Ich denke,<br />
wir werden in den nächsten Jahren eine Evolution der Rolle des Designers sehen,<br />
hin zu etwas Bedeutsamerem. Denn wenn zum Beispiel durch das Internet<br />
plötzlich alle zu Designern werden, müssen wir als Professionelle die Messlatte<br />
entsprechen anheben. Im Autodesign ist das alles aber etwas schwieriger.<br />
Inwiefern?<br />
Autodesign funktioniert nach dem Prinzip der Avantgarde. Eine kleine Elite trägt<br />
die Verantwortung. Einige wenige Manager entscheiden über die Norm für Viele,<br />
AUTOMANN<br />
der<br />
transformer<br />
Chris Bangle in einem der ersten<br />
Interviews seit seinem Abschied von BMW<br />
auch was das Design anbelangt. Das ist nicht grundsätzlich falsch, wenn das,<br />
was entschieden wird, für die möglichst Viele relevant ist und die Bedürfnisse<br />
und Sehnsüchte der Menschen trifft. Ich glaube, dass diese Entscheidungsstrukturen<br />
in Zukunft in Frage gestellt werden. Sich darauf angemessen einzustellen,<br />
ist eine große Herausforderung für die Autoindustrie.<br />
Welchen Ansprüchen muss die Autoindustrie in Zukunft gerecht werden?<br />
Ich habe vor einigen Monaten am Massachusetts Institute of Technology einen<br />
Workshop für Studenten geleitet. Thema war „Embedded Knowledge“. Was<br />
passiert, wenn sich die Form eines Objekts deinen unmittelbaren Bedürfnissen<br />
entsprechend verändert? Ein Beispiel ist eine Lampe, die automatisch immer<br />
dahin leuchtet, wo du dich im Raum befindest. In dem Workshop kamen die<br />
Studenten zu dem Schluss, dass sie in Zukunft erwarten, dass ihnen sehr viel<br />
mehr Denkarbeit abgenommen wird, dass sich die kognitiven Anforderungen<br />
des Alltags verringern. Ein Objekt soll auf Abruf da sein. Seine Existenz steht<br />
einzig in einem Verhältnis zu seinem Gebrauch. Wenn ich es nicht benötige,<br />
verschwindet es. Nehmen wir das Auto als Beispiel: Das steht herum, ob du es<br />
gerade brauchst oder nicht. Autos sind mittlerweile sehr haltbar geworden, und<br />
sie befinden sich über einen sehr langen Zeitraum im Besitz einer Person. Das<br />
widerspricht grundsätzlich den Erwartungen der Studenten. Sie würden von<br />
foto ALEXANDER STRAULINO<br />
Text / interview HENDRIK LAKEBERG<br />
einem Auto viel mehr Flexibilität und individuelle Anpassung erwarten. Wenn<br />
man diese Erwartungen zum Maßstab des Autodesigns der Zukunft machen<br />
würde, dann entstünden plötzlich völlig neue Perspektiven.<br />
Was würde das in der Praxis bedeuten? Das Auto registriert zum Beispiel<br />
die Stimmung des Fahrers?<br />
Was wir ja schon haben ist: Bestimmte Schlüssel sind an bestimmte Personen<br />
gebunden. Das Auto erkennt den jeweiligen Fahrer. Ein Schritt weiter wäre, dass<br />
das Auto registriert, wenn der Fahrer gestresst ist. Das Radio würde automatisch<br />
leiser und Anrufe würden nicht durchgestellt. Man nennt das „Information Dimming“<br />
und es werden bereits Experimente in dieser Richtung gemacht. Man<br />
könnte aber auch fragen: Warum besitzt ein Auto eigentlich so viele Features,<br />
die man die meiste Zeit nicht braucht? Den Platz im Kofferraum zum Beispiel<br />
oder eine große Rückbank, obwohl ich die meiste Zeit alleine im Auto sitze. Zu<br />
einem Picknick mit drei Freunden nehme ich schließlich auch keinen Tisch für<br />
16 Personen mit.<br />
Die Größe des Autos würde sich also je nach Bedarf verändern?<br />
Warum nicht? Nehmen wir noch ein anderes Beispiel: Ein Fahrstuhl ist ein<br />
klassisches Automobil. Er fährt von oben nach unten, ist ein „Auto-Mobil“, was<br />
nichts anderes als „selbst bewegend“ bedeutet. Früher brauchte man einen Angestellten,<br />
der den Fahrstuhl bedient hat. Heute drücke ich die Etagen-Knöpfe<br />
selber. Der nächste Schritt wäre zu fragen: Warum kann ich einen Aufzug nur<br />
an einer ganz bestimmten Stelle eines Gebäudes betreten? Warum kommt der<br />
Fahrstuhl nicht einfach zu mir? Wenn so etwas möglich wäre, dann veränderte<br />
sich unsere Gesellschaft völlig. Unsere Arbeit wäre ganz anders organisiert. Das<br />
sind natürlich Zukunftsvisionen, aber es ist doch toll, darüber nachzudenken.<br />
Was würde das für das Autodesign bedeuten?<br />
Im Autodesign folgen wir Regeln, die in den meisten Fällen sehr alt sind. Nimm<br />
zum Beispiel die Gestaltung von <strong>Sport</strong>wagen: Die typische Form ist bereits in<br />
den Dreißigern entstanden. Damals waren die Motoren größer, mit einer langen<br />
Zylinder-Reihe. Das Auto hatte also eine lange Schnauze. Und je länger die<br />
war, desto besser, desto potenter wirkte der Wagen. Seltsamerweise sind die<br />
meisten <strong>Sport</strong>wagen heute immer noch nach diesem Vorbild gestaltet, obwohl<br />
das aus technischen Gründen nicht mehr notwendig ist. Aber wir haben über<br />
Jahrzehnte gelernt, dass ein sportliches Auto so aussieht. Und es braucht eine<br />
Zeit, das wieder zu verlernen.<br />
Aber gerade bei <strong>Sport</strong>wagen geht es doch auch um die Aerodynamik?<br />
Quatsch. Bei einem Elektro-Fahrzeug zum Beispiel kann man die Proportionen<br />
theoretisch ganz frei arrangieren. Ein aerodynamisches Auto könnte auch eckig<br />
wie ein Ziegelstein aussehen, wenn man das will.<br />
Wie weit kann man da gehen? Ein Auto braucht immerhin Räder!<br />
Nein! Ich habe am Art Center College in Pasadena mit Orlan Irwin studiert. Ein<br />
fantastischer Designer. Er ist später dort Professor geworden. Eigentlich hatte<br />
er schon 1960 in Pasadena seinen Abschluss gemacht und im Anschluss für<br />
General Motors gearbeitet. Als seine Karriere gerade Fahrt aufgenommen hatte<br />
und er, soweit ich weiß, Studioleiter für Interior-Design bei Pontiac geworden<br />
war, hat er plötzlich gekündigt und bei einer Bank angefangen. Er arbeitete für<br />
zehn Jahre als Manager. Nach zehn Jahren hat er erneut seinen Job gekündigt<br />
und ist zurück aufs Art Center gegangen, weil er wieder Designer werden<br />
wollte. Ich habe ihn mal gefragt, warum er seine Karriere in der Autoindustrie<br />
überhaupt aufgegeben hat. Er sagte: ‚Als ich 1960 meinen Abschluss gemacht<br />
habe, glaubten wir, dass Autos in zehn Jahren fliegen könnten; aber sie fliegen<br />
immer noch nicht.‘ Man spürte die verlorenen Träume und zerstörten Illusionen<br />
in seiner Stimme. Damals ist mir das Herz gebrochen. Die idealistischen Ziele<br />
einer Generation zerschellten am Boden der Realität, denn Autos wurden zu<br />
rationalen Objekten, die echte Menschen transportieren und strenge Sicherheitsstandards<br />
erfüllen müssen. Man merkte diese Orientierungslosigkeit im<br />
amerikanischen Autodesign der siebziger und achtziger Jahre. Es war in einem<br />
desaströsen Zustand. Die Europäer hingegen glaubten nie an fliegende Autos.<br />
Sie blieben auf einem sehr praktischen Weg und wurden deshalb zu den besseren<br />
Gestaltern. Wenn man sich heute nicht vorstellen kann, dass ein Auto ohne<br />
Räder fahren kann, dann gehen Sie einfach ein paar Generationen zurück und<br />
Sie finden genau das. Und wenn die Designer damals so fantasievoll denken<br />
konnten, warum kann ich das nicht heute?<br />
Sie haben mal gesagt, Autos hätten nichts mit Mobilität zu tun. Wie genau<br />
ist das gemeint?<br />
Ach, bei Bussen, Zügen oder Flugzeugen geht es um Mobilität. Autos sind eine<br />
Entsprechung der Persönlichkeit. In der Beziehung zwischen Auto und Fahrer<br />
besteht ein individueller Rhythmus. Ein Auto ist nicht einfach nur ein Transportmittel.<br />
Wenn wir das Bewusstsein dafür verlieren, dann fehlt uns etwas ganz<br />
Entscheidendes. Dann sind Autos nichts anderes mehr als Fahrstühle, die auf<br />
dem Boden herumfahren. Und das kann es doch nicht sein.<br />
188 werkstatt<br />
<strong>INTERSECTION</strong> nr. 02 2009<br />
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