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E-COMMERCE<br />

22 <strong>Internet</strong> <strong>World</strong> BUSINESS<br />

24. Juni 2013 13/13<br />

ONLINE PRICING<br />

Für jeden der passende Preis<br />

Wer zahlt wann wie viel für ein Produkt? Software, die Produktpreise in Echtzeit an Bedürnisse der jeweiligen Nutzer<br />

anzupassen sucht, gibt es bereits. Doch Web-Händler beginnen nur sehr zögerlich damit, diese für sich zu nutzen<br />

atrin L. traute ihren Augen nicht: Im<br />

KDezember 2012 wollte sie mit ihrer<br />

Familie nach Stockholm fliegen. Um die<br />

Ersparnis durch den Kinder-Rabatt zu<br />

prüfen, durchlief sie den Buchungsprozess<br />

der Lufthansa in einem zweiten Browser-<br />

Fenster ein weiteres Mal, diesmal für vier<br />

Erwachsene. Und siehe da: Vier Erwachsene<br />

fliegen günstiger als zwei Erwachsene und<br />

zwei Kinder. Letztere bekommen zwar<br />

einen Rabatt, als Kalkulationsgrundlage<br />

wird jedoch ein höherer Preis für Erwachsene<br />

zugrunde gelegt. Ein Anruf bei der<br />

Hotline brachte die Bestätigung, „dass<br />

„Der Schmerz des Autofahrers<br />

an der Zapfsäule ist größer als<br />

der des Stromkunden.“<br />

DAN ARIELY<br />

Professor für Psychologie und Verhaltensökonomie<br />

man mit Kindern tatsächlich in eine ,höhere<br />

Buchungsklasse‘“ eingestuft werde.<br />

Der Fall, den Katrin L. beschreibt, ist<br />

nicht bestätigt. Sie klagte ihr Leid auf Facebook,<br />

Lufthansa äußerte sich nicht zu dem<br />

Vorgang. Doch selbst wenn er nicht stimmen<br />

sollte, so besteht heute ohne Weiteres<br />

die Möglichkeit, Preise von Produkten an<br />

das User-Verhalten anzupassen. Ein Weg<br />

dahin könnte die Nutzung aktuell verfügbarer<br />

Targeting-Techniken sein. So wäre es<br />

vor allem für die größeren Online-Händler<br />

ein Leichtes, beispielsweise die Preise<br />

für Produkte zu erhöhen, die ein User auf<br />

Facebook mit einem Like versehen hat. Ob<br />

„Pain of Paying“<br />

Der amerikanische Professor für Psychologie<br />

und Verhaltensökonomie Dan Ariely untersucht<br />

regelmäßig das Phänomen „Pain of Paying“.<br />

Seine Theorie: Welcher pekuniäre Wert einem<br />

Gegenstand oder Service zugemessen wird,<br />

hängt nicht nur von der rationalen Kalkulation<br />

ab, sondern auch vom gefühlten Schmerz, den<br />

der Bezahlvorgang auslöst. Dieser ist umso<br />

größer, je näher er zum Konsum des Produkts<br />

liegt. Das kann ein gewünschter Effekt sein, etwa<br />

als Disziplinierung, abends einen Drink weniger<br />

zu bestellen. An sich aber schmälert der<br />

Bezahlschmerz das Einkaufserlebnis, was sich<br />

auch negativ auf das Produkt auswirkt.<br />

Besonders augenfällig ist das bei zeit- oder<br />

verbrauchsabhängigem Konsum. Der Schmerz<br />

des Autofahrers an der Zapfsäule ist größer als<br />

der des Stromkunden. Während Ersterer sofort<br />

bezahlen muss und an der Zapfsäule quasi zusieht,<br />

wie das Geld „durchrinnt“, „spürt“ der<br />

Stromkunde seinen Konsum erst, wenn abgebucht<br />

wird, also häufig nach einem Monat.<br />

Ariely beschreibt ein Beispiel von AOL: 1996<br />

wechselte das Unternehmen von einem zeitbasierten<br />

Abrechnungssystem zu einer Flatrate.<br />

Obwohl man exakte Berechnungen angestellt<br />

hatte, wie sich das User-Verhalten durch die<br />

Preisänderung wandeln würde, verkalkulierte<br />

sich der Access-Provider massiv. Der Traffic vervierfachte<br />

sich in einer Nacht. Der Grund: Die<br />

vorher im Hintergrund gefühlte Gebührenuhr<br />

fiel weg und die User entwickelten eine ganze<br />

neue – entspannte – Form des Surfens.<br />

Arielys Fazit: Preisumstellungen verändern<br />

mitunter den Kontext für das Verhalten, der<br />

der Kalkulation zugrunde liegt.<br />

das den Gewinn des Unternehmens<br />

steigert, zeigt dann<br />

der A/B-Test. Wie Preise<br />

mittels Targeting auf den<br />

Nutzer zugeschnitten werden<br />

können, veranschaulicht<br />

auch ein Beispiel<br />

von Staples. Der Büroausstatter<br />

wurde in der US-<br />

Presse dafür gerügt, dass<br />

er die Preise im Web shop<br />

davon abhängig mache,<br />

wie weit der nächste Markt<br />

seiner Konkurrenten Office<br />

Max und Office Depot vom<br />

aktuellen Wohnort des Online-<br />

Nutzers entfernt ist. Bei einer<br />

Distanz von unter 20 Meilen bekamen<br />

die Kunden in der Regel rabattierte Preise<br />

angeboten. Für ähnliche Praktiken ist auch<br />

der britische Handelsriese Tesco bekannt.<br />

Auch das britische Reiseportal Orbitz<br />

geriet kurzfristig unter Verdacht, Apple-<br />

Nutzern Zimmer teurer zu verkaufen als<br />

Usern, die über Geräte mit Windows, Android<br />

oder Linux auf die Seite kamen. In der<br />

Realität erwies sich das Ganze als harmlos:<br />

Weil interne Analysen ergeben hatten, dass<br />

Mac-Nutzer in der Regel pro Übernachtung<br />

mehr Geld investieren als andere<br />

Besucher, bot Orbitz ihnen einfach von<br />

Anfang an bessere Zimmerkategorien an.<br />

Auch dies ein Beispiel für Targeting – aber<br />

ohne dass der Preis der Produkte speziell an<br />

den individuellen Käufer angepasst wurde.<br />

Deutlich häufiger eingesetzt als Targeting<br />

wird derzeit die regelmäßige Überprüfung<br />

des Preisniveaus der Konkurrenz<br />

und die anschließende Anpassung des<br />

eigenen Angebots. Software wie Priceanalytics.de<br />

oder das niederländische ADPS<br />

ermöglichen es Händlern, sich einen<br />

Überblick über die Konkurrenz zu verschaffen<br />

und entsprechend reagieren zu<br />

können. „Einerseits geht es um die Sichtbarkeit<br />

in Preissuchmaschinen, andererseits<br />

kann man so eventuell Rohdiamanten<br />

finden, bei denen mehr Margenspielraum<br />

existiert“, erklärt Harald Schiffauer,<br />

Geschäftsführer beim Preisvergleichsportal<br />

Guenstiger.de. Meister auf diesem Gebiet<br />

ist der E-Commerce-Riese Amazon.<br />

Brancheninsider berichten, dass das Unternehmen<br />

bis zu elf Mal am Tag an den<br />

Preisen für einzelne Produkte feile. Wechselkursschwankungen<br />

sind da wohl nur<br />

ein Teil der Ursache.<br />

Viel Herz, wenig Verstand<br />

Mit der Idee des Behavioral Pricing indes<br />

macht man sich den Umstand zunutze,<br />

dass User nicht immer vernünftige Kaufentscheidungen<br />

treffen. Der ehemalige<br />

MIT-Professor Dan Ariely spricht von der<br />

„vorhersagbaren Irrationalität“. In einem<br />

Versuch mit Studenten testete er eine klassische<br />

A/B-Variation gegen eine A/A-/B-<br />

Auswahl. A- steht für eine etwas schlechtere<br />

Variante von A. Das Ergebnis: Sobald<br />

A- ins Spiel kommt, bewerten die Studenten<br />

A als deutlich wertvoller als vorher. Im<br />

ersten Versuch entschieden sich rund 40<br />

Prozent für A, im zweiten 60.<br />

Effekte wie diese kennt man inzwischen<br />

zur Genüge aus der Conversion-Rate-Optimierung.<br />

Am häufigsten wird das Instrument<br />

der Verknappung eingesetzt.<br />

Booking.com etwa zeigt – wie alle anderen<br />

Buchungsplattformen – die Menge der<br />

noch verfügbaren günstigen Zimmer an.<br />

Gleichzeitig blendet Booking.com aber ein,<br />

dass sich gerade mehr User die Seite des<br />

Hotels anschauen, als günstige<br />

Zimmer zur Verfügung stehen. Unterbewusst<br />

stellt das Gehirn einen<br />

Zusammenhang zwischen beiden<br />

Zahlen her und die Alarmglocken<br />

schrillen. Dass es ein sehr großer<br />

Zufall wäre, wenn alle, die sich gerade<br />

das Hotel anschauen, das Zimmer<br />

zum gleichen Datum buchen wollten,<br />

bedenkt der User nicht. Booking.com<br />

schürt also bewusst durch Intransparenz<br />

Angst, um die Kaufentscheidung<br />

zu beschleunigen.<br />

Verglichen mit diesen eher grundlegenden<br />

Möglichkeiten der Verbraucherbeeinflussung<br />

geht Behavioral<br />

Pricing viel tiefer. Die Menschen<br />

Künftig könnten<br />

Preise für jeden<br />

individuell ermittelt<br />

werden<br />

wissen in der Regel nicht, wie Preise zustande<br />

kommen, somit empfindet jeder<br />

Nutzer einen anderen Preis als „fair“. Welcher<br />

das ist, versuchen aktuell Forscher an<br />

der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen<br />

der Hochschule für angewandte Wissenschaften<br />

München unter der Leitung von<br />

Professor Wolfgang Döhl herauszufinden.<br />

Studienleiter Kai-Markus Müller und<br />

Christian Chlupsa stützen ihr „Neuro-Pricing“<br />

genanntes Verfahren auf Datenmaterial,<br />

das sie per Messung der Gehirnströme<br />

einiger Probanden im Versuchslabor<br />

ermittelt haben. Damit wollten die Forscher<br />

dem unbewussten Marken- und<br />

Preisempfinden der Konsumenten auf die<br />

Spur kommen und den höchsten erzielbaren<br />

„Wohlfühlpreis“ ermitteln. Dazu<br />

zeigten sie Leuten das Bild einer Tasse<br />

Kaffee und daneben einen Preis. Die Messungen<br />

ergaben schon bei geringen Preisdifferenzen<br />

von 1,90 und 2,40 Euro klare<br />

Unterschiede. „Für eine kleine Tasse Starbucks-Kaffee<br />

liegt der höchste Wohlfühlpreis<br />

bei 2,30 Euro, resümiert Müller. In<br />

der Stuttgarter Innenstadt beispielsweise<br />

wird aber nur 1,80 Euro verlangt, da gäbe<br />

es also noch 50 Cent Spiel. Um Kunden<br />

faire Preise zu suggerieren, empfiehlt der<br />

Wissenschaftler Verkäufern und Dienstleistern<br />

einen ganz einfachen Trick: „Der<br />

kluge Wirt setzt ein Rumpsteak für 27<br />

Auf Facebook beschwerte sich eine Nutzerin, dass<br />

Kinder bei der Lufthansa mehr zahlen als Erwachsene<br />

Foto: Fotolia / M. Schuppich

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