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6.2 Geschichte, individuelle und kollektive Identität<br />

Warum gehen viele Jugendliche heute wieder auf die Suche nach ihrer Geschichte,<br />

der Geschichte ihrer Verwandten, ihrer Familien? Für Emil Angehrn manifestiert<br />

sich darin die Sorge um und die Suche nach Kontinuität. Also der Blick in die<br />

Vergangenheit, der es ermöglicht, sich seiner historischen Identität zu<br />

vergewissern. 38<br />

Aber der Versuch, durch Geschichte Identität herzustellen, hat auch auf<br />

nationalstaatlicher Ebene Tradition. Staaten feiern ihre Unabhängigkeitstage und<br />

bieten somit dem Volk eine zumeist willkommene Projektionsfläche für kollektive<br />

Identitäten. Doch in einer mehr und mehr globalisierten Welt gibt es auch Tendenzen<br />

einer Historisierung von Identität kleiner Gruppierungen:<br />

„Die Gegenwart [ist] fraglos durch eine Konjunktur des historischen<br />

Bewusstseins und eine zunehmende Rückbindung individueller wie<br />

kollektiver Identitätsbehauptungen an Geschichte gekennzeichnet.<br />

Regionalistische Gruppierungen wehren sich im Namen historischer<br />

Eigenständigkeit gegen die Vereinnahmung durch diffus gewordene<br />

Nationalstaaten. Das Bemühen um die Bewahrung der historischen<br />

Substanz von Städten wehrt sich gegen die Verschleifung gewachsener<br />

Eigenarten in der funktionellen Anonymität der technisierten Welt.<br />

Und auch das Anwachsen nicht-fachwissenschaftlicher Literatur<br />

scheint ein wachsendes Bedürfnis an historischer Besinnung<br />

anzuzeigen. All diesen Indizien eines zunehmenden<br />

Geschichtsinteresses eignet ein gemeinsamer reaktiver Zug.<br />

Historische Selbstbehauptung artikuliert sich zumindest teilweise als<br />

Antwort auf einen Verlust. Die Konvergenz von Identitätsverlust und<br />

Geschichtsverlust korrespondiert die Bemühung, in der<br />

Wiedergewinnung von Geschichte neue Grundlagen der<br />

Selbstverständigung zu finden.“ 39<br />

Für Larissa Naiditsch ist ein solcher Trend auch ein Indiz für ein gesteigertes<br />

Selbstbewusstsein der Russlanddeutschen. Dieses wiederum<br />

„fällt mit dem Interesse vieler Menschen in Europa an ihren<br />

„Wurzeln“ zusammen, mit dem allgemeinen Streben nach der<br />

Betonung kleinregionaler Kulturen, nach De-Urbanisierung, nach<br />

Gemütlichkeit […].“ 40<br />

38 Vgl. Angehrn, Emil: Identität und Geschichte, Berlin 1985, S. 315.<br />

39 Ebd., S. 4.<br />

40 Naiditsch, Larissa: Deutsche Sprache als identitätsstiftender Faktor, in: Retterath, Hans<br />

Werner (Hrsg.): Russlanddeutsche Kultur: Eine Fiktion?, Freiburg 2006, S. 181.<br />

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