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6.4 Identität und Sprache<br />
Für das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, erscheint die<br />
Sprache zunächst als einer der determinierenden Faktoren. Viele wissenschaftliche<br />
Arbeiten heben die Wichtigkeit der Sprache für ethnisches Selbstbewusstsein hervor,<br />
denn:<br />
„Das Gegebensein ethnischer Gebilde wie Stamm und Volk,<br />
politischer Gebilde wie Reich, Land, Staat und Nation oder kultureller<br />
Gebilde wie Kultur(nation), Volk (nun ohne jedes genetischbiologische<br />
Moment) wird […] mit dem Verweis auf eine jeweilige<br />
Sprache begründet. Die Deutschen (Franzosen, Engländer etc.), so<br />
lautet die Argumentation, bilden unter anderem deshalb ein Volk bzw.<br />
ein Nation, weil sie eine gemeinsame Sprache sprechen.“ 49<br />
Dieser Argumentation folgend, müssten wir bei den Russlanddeutschen also davon<br />
ausgehen, dass sie unter anderem deswegen ein Volk bilden, da sie sowohl der<br />
russischen, als auch der deutschen Sprache mächtig sind. Dem ist, was die<br />
Generation der jungen Russlanddeutschen in Tomsk betrifft, in den wenigsten Fällen<br />
so. Dennoch bemühen sich 86% der befragten Jugendliche die deutsche Sprache zu<br />
lernen und besuchen entsprechende Kurse in der Stadt. Nach den Gründen gefragt,<br />
warum sie sich dazu entschlossen haben, Deutsch zu lernen, gaben die meisten (32%)<br />
allgemeines Interesse an. 23% nannten Deutsch als ihre Muttersprache und<br />
gleichzeitig als Grund für ihr Lernen. Für 18% waren die beruflichen Perspektiven<br />
ausschlaggebend, für 9% die kulturelle Identifikation und schließlich für 4% war die<br />
Selbstverwirklichung am wichtigsten. V. Schnittke konstatiert:<br />
„Die Hinwendung zur Muttersprache, das ist nichts anderes als ein<br />
ständiges Suchen nach seinen Wurzeln, mach sich selbst.“ 50<br />
Dabei scheint das Bekenntnis zur Muttersprache wesentlicher zu sein als die<br />
sprachliche Beherrschung derselben. Selbst wenn 4% der Jugendlichen bei der<br />
Umfrage sehr gute und 42% gute Deutschkenntnisse angaben, so entsprach die<br />
tatsächliche Sprachbeherrschung jedoch nicht der Selbsteinschätzung, sondern lag<br />
darunter. Gleiches gilt für jene 38%, die nicht sehr gute Deutschkenntnisse<br />
ankreuzten. Ihnen fällt es oft schwer einfachste Dialoge zu formulieren. Des<br />
49 Gardt, Andreas (Hrsg.): Sprache und Nation, Berlin/New York 2000, S. 1.<br />
50 Dietz, S. 43.<br />
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