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„Die Kirche spielte die wichtigste Rolle im geistigen Leben der<br />

Kolonisten, bestimmte auch ihre Identität und ihr Selbstbewusstsein.<br />

Sie neigten zum frommen Leben, ihre moralischen Werte (Ehrlichkeit,<br />

Fleiß) wurden im großen Maße durch die Kirche bestimmt.“ 53<br />

Dass der Alltag für heutige Jugendliche ganz anders strukturiert ist, ist nicht von der<br />

Hand zu weisen. Eine Tradierung des Glaubens hat kaum stattgefunden oder ist<br />

brüchig. Vielmehr ist eine religiöse Assimilation festzustellen. Denn 72% der<br />

befragten Tomsker Jugendlichen bezeichneten sich als orthodox und nur 12% als<br />

Lutheraner. Die übrigen16% gaben sogar an, Atheisten zu sein.<br />

Auch der deutsche Pfarrer, Waldemar Rausch, der bis zum Sommer 2010 die<br />

Tomsker lutherische Gemeinde leitete, zeigt die Schwierigkeiten auf, junge<br />

Russlanddeutsche für die Kirche zu begeistern:<br />

„selten kommen die Kinder und Jugendlichen in den Gottesdienst. Zu<br />

den größeren kirchlichen Festen, Weihnachten und Ostern das wohl,<br />

oder wenn eben mal Abendmahl angekündigt wird, dann kommen sie<br />

extra dazu. In der Regel ist es die ältere Generation, also<br />

Großelterngeneration kann man schon sagen, vor allem die<br />

Großmütter, die aktiv eben da in der Gemeinde engagieren und<br />

regelmäßig zum Gottesdienst kommen. Das ist auch so ein bisschen,<br />

ja, die Krise der lutherischen Kirche hier in Russland, das natürlich<br />

der Nachwuchs irgendwie ausgegrenzt wurde durch die Sprache. Man<br />

hat das nicht irgendwie fortführen können, wird sich zeigen wie das<br />

sich weiter entwickelt, also jetzt kommt nach Tomsk ein russischer<br />

Pastor, also russischsprachiger, der kann gar kein Deutsch, das denke<br />

ich wird schon einiges nach sich ziehen. 54<br />

Ob sich durch die Umstellung auf einen russischen Pfarrer allerdings viel ändern<br />

wird, ist zu bezweifeln. Sprache allein ist sicher nicht entscheidend für das<br />

wachsende Desinteresse der Jugendlichen an Kirche und Religion. Regelmäßig zum<br />

Gottesdienst gehen der Umfrage zufolge bloß 16% der Jugendlichen, wobei der hohe<br />

Anteil orthodoxer Jugendlicher zu berücksichtigen ist.<br />

Als identitätsstiftend für die heutige Generation der Russlanddeutschen kann<br />

man die Religion deswegen nur noch in sehr geringem Maße anführen.<br />

53 Retterath, Hans Werner (Hrsg.): Russlanddeutsche Kultur: Eine Fiktion?, Freiburg 2006,<br />

S. 168.<br />

54 Interview mit Waldemar Rausch vom 17.05.2010.<br />

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