Armut grenzt aus ... - Der PARITÄTISCHE Hessen
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„Mehrals nurein halbes Leben“<br />
Schuld und Vergebung, Hass<br />
und Versöhnung – das klingt<br />
nach einem schweren Stoff.<br />
DochLeo Khasin ist es mitseinemRegiedebüt<br />
„Kaddisch für einen Freund“<br />
gelungen,dar<strong>aus</strong>wahrhaftguteUnterhaltungmit<br />
Tiefgang zu machen:absolut<br />
sehenswert.ZweiwunderbareProtagonisten,<br />
eine behutsame Kameraführung<br />
und Mut zur Langsamkeit<br />
machen das Stück zu einer echten<br />
Filmperle.<br />
<strong>Der</strong> 14-jährige Ali, aufgewachsen in<br />
einem palästinensischen Flüchtlingslager,<br />
hat von klein auf gelernt, „die<br />
Juden“ zu hassen. Jetzt lebt er mit seinerFamilieinBerlin-Kreuzberg<br />
–und<br />
über ihnen ein russisch-jüdischer Immigrant:<br />
der84-jährigeAlexander.Um<br />
in seiner neuenGangAnerkennungzu<br />
finden, dringt Ali mit den anderen in<br />
dessen Wohnung ein und verwüstet<br />
sie. Während seine Kumpels fliehen,<br />
wird Ali vom zurückkehrenden Nachbarn<br />
erkannt. Als dieser ihn bei der<br />
Polizeianzeigt,mussdie Familiefürchten<br />
abgeschoben zu werden. Esgibt<br />
nureineRettung:Ali soll denverhassten<br />
Juden um Vergebung bitten und<br />
ihn bewegen, die Anzeige zurückzuziehen...<br />
Berührend erzählt der Film,<br />
wieder alte Mann (Ryszard Ronczewski)und<br />
derJunge (NeilBelakhdar)sich<br />
näher kommen, Vorurteile über Bord<br />
werfen undMenschlichkeitüberreligiöse<br />
Dogmen siegt. Ab15. März im<br />
Kino. (www.farbilm-verleih.de) UB<br />
Nachihrem hervorragenden Romandebüt<br />
zum Thema Alzheimer*<br />
hat die US-amerikanische<br />
Neurowissenschaftlerin und<br />
Psychologin Lisa Genova jetztmit „Mehr<br />
alsnur einhalbesLeben“einen weiteren<br />
Roman geschrieben, indem sie medizinisches<br />
Know-how spannend mit einer<br />
fiktiven Lebensgeschichte verknüpft.<br />
Die37-jährigeSarah führtein Lebenauf<br />
der Überholspur. Die Mutter von drei<br />
kleinen Kindern arbeitet als Vizepräsidentin<br />
in der Personalabteilung eines<br />
Bostoner Consulting-Unternehmens. Sie<br />
hat Erfolg, einen tollen Mann, ein schickes<br />
H<strong>aus</strong>. Nur eines nicht: Zeit. Als sie<br />
auf dem Weg zur Arbeit total gestresst<br />
mit ihrem Mobiltelefon hantiert, rast sie<br />
auf dem Highway ineinen Stau. Sarah<br />
überlebt. Doch infolge eines schweren<br />
Schädel-Hirn-Traumas kann sie ihre linke<br />
Körperhälfte wederspürennochsteuern.<br />
Und alles, was sich in ihrem linken<br />
Gesichtsfeld befindet,existiert fürsie gar<br />
nicht. DieSuper-Multi-Taskerinkann weder<br />
alleine essen noch sich die Zähne<br />
putzen.Und dass ihre Mutter sich sowohl<br />
um sie als auch um ihre kleinen Kinder<br />
kümmert, schmerzt diejunge Frau mehr,<br />
alsdassessie freut. Denn dasVerhältnis<br />
zwischen denbeidenwar mehr alsunterkühlt<br />
seit Sarahs kleiner Bruder ertrunken<br />
und die Mutter in einer schwere<br />
Depression versunken war. Bewegend<br />
schildertLisa Genova,wie Sarahsichim<br />
Laufe der Monate sowohl ihrer Mutter<br />
annähert als auch einem neuen Leben.<br />
Denn in ihraltes gestresstesDasein, <strong>aus</strong><br />
dem der Unfall sie her<strong>aus</strong>gerissen hat,<br />
will sie nicht zurück. <strong>Der</strong> linksseitige<br />
Neglect, wie ihre Erkrankung genannt<br />
wird, hat ihr Blickfeld verengt, ihr aber<br />
zugleich neue Sichtweisen eröffnet.<br />
Hier unddarutscht Lisa Genova zwar ein<br />
wenig inleicht kitschige Schilderungen<br />
ab.Dochdas lässtsichangesichtsder einfühlsamen<br />
und humorvollen Erzählkunst<br />
der Autorin leicht verschmerzen.<br />
„Mehr als ein halbes Leben“ ist ein zugleich<br />
unterhaltsamer wie informativer<br />
Roman mit einer wichtigen Botschaft:<br />
Ein schwerer Schicksalsschlag macht<br />
ofterst dasWesentliche im Lebensichtbar.<br />
Das kann helfen, ihn zum Guten<br />
zu wenden.<br />
Ulrike Bauer<br />
Lisa Genova: Mehr als nur ein halbes<br />
Leben, 380 Seiten, Lübbe, 16,99 Euro.<br />
*„Mein Leben ohne Gestern“<br />
„LieberMatz, Dein Papa hat ’ne Meise“<br />
Sebastian Schlösser wähnt sich als<br />
junger Theaterregisseur steil auf<br />
dem Weg nach oben, als eine bipolare<br />
Störung bei ihm <strong>aus</strong>bricht. Mal<br />
ergreift der Größenwahn Besitz von<br />
ihm: Dann stürzt er sich in Affären,<br />
Kauf- und Alkoholräusche, teilt die<br />
Welt ein inProfis und Amateure und<br />
will – lediglich bekleidet mit einem<br />
weißen Bademantel – mit Berlins<br />
Oberbürgermeister Wowereit über die<br />
Gestaltung derhauptstädtischenTheaterlandschaftreden.Mal<br />
stürzt er ab in<br />
depressive Phasen und ist plötzlich<br />
nichtmehrder sich selbst inszenierende<br />
T<strong>aus</strong>endsassa, sondern nur noch<br />
ein trauriges Häuflein Elend.<br />
In „LieberMatz, Dein Papa hat’ne Meise“<br />
beschreibt Schlösser in Briefen an<br />
seinen Sohn, wie er durch die psychi-<br />
sche Erkrankung immer mehr den Bezug<br />
zur Realität verliert und wie die<br />
„Meisendoktoren“ in derPsychiatrie ihm<br />
helfen, wieder zusich selbst zu finden.<br />
Anders als der Titel suggeriert, bietet<br />
das Buch jedoch keine kindgerechte<br />
Aufklärung. Die Briefe an den Sohn<br />
sind zwar gewiss eine besondere Form<br />
der therapeutischen<br />
Aufarbeitung,<br />
die man<br />
durch<strong>aus</strong> als originell<br />
bezeichnen<br />
kann – jedoch<br />
eher als Lektüre<br />
für Jugendliche<br />
und Erwachsene<br />
zu empfehlen.<br />
Ullstein, 240 Seiten,<br />
18 Euro. UB<br />
34 www.der-paritaetische.de 2 | 2012