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Constanze Kurz / Harald Wolf 10<br />
Das unterstreicht die bereits angeführten Unwägbarkeiten, aber auch die Anschlussvoraussetzungen<br />
des Anwendungs- bzw. Transferbezugs biowissenschaftlichen Wissens. Die<br />
Unwägbarkeiten sind gleichsam zweiwertig: generelle Unplanbarkeit, aber zugleich potenziell<br />
große „Plötzlichkeit“ sich ergebender Anwendungschancen. Zudem müssen die im Dunkel<br />
des Forschungsalltags plötzlich auftauchenden Befunde für den Wissenstransfer anschlussfähig<br />
gemacht und „rationalisiert“ werden, in den Worten Jacobs: in „Tagwissenschaft“<br />
transformiert werden. Diese Rationalisierung findet vor allem in der Form des wissenschaftlichen<br />
Artikels (dem „standard science article“ bei Merton: SSA) statt – dem bislang<br />
gängigen Kommunikationsmedium im biowissenschaftlichen Feld. Die Tagwissenschaft ist<br />
die offizielle Version der Daten und Erkenntnisse, die durch dieses Medium sowohl an die<br />
„innere Ökonomie“ des biowissenschaftlichen Feldes <strong>als</strong> auch an die „äußere Ökonomie“ der<br />
Warenproduktion und Verwertung – in erster Linie: der pharmazeutischen und biotechnologischen<br />
Industrie – angeschlossen und dort überhaupt erst wahrnehmbar gemacht werden.<br />
3.2 Die Öffnung des Anwendungskontextes: Die Pharmaindustrie auf der<br />
Suche nach verwertbarer akademischer Forschung<br />
Die Pharmaindustrie hat <strong>als</strong> „science based industry“ bereits sehr früh auch auf das Forschungspotenzial<br />
von Universitäten zurückgegriffen (vgl. Hack/Hack 1985). Richtete sich der<br />
Blick lange auf vergleichsweise kleine Ausschnitte und blieb es bei punktuellen Beziehungen,<br />
so ist heute hingegen eine systematische Öffnung der Anwendungskontexte für die Nutzung<br />
und Integration extern generierten Wissens zu beobachten (vgl. Hack 2006). Die Vorreiterrolle<br />
bei der industriellen Nutzung biowissenschaftlichen Wissens für Grundlagen-Innovationen<br />
übernahmen allerdings seit den achtziger Jahren – vor allem in den USA – aus dem<br />
universitären Umfeld heraus entstandene Biotechnologieunternehmen („Spin offs“). Die über<br />
lange Jahrzehnte unangefochtene Dominanz eines chemischen Forschungskonzepts und<br />
Wirkstoff- wie Prozessdesigns stand einer schnellen Adaption und Diffusion der molekularbiologisch<br />
und gentechnologisch revolutionierten Biowissenschaften in der Pharmaindustrie<br />
zunächst entgegen (vgl. Drews 1998: 100 ff.; Zucker/Darby 1997). Mit höherem Reifegrad<br />
der Genomforschung, besserem Verständnis der Genfunktionen sowie erfolgreicher Vermarktung<br />
erster biotechnologisch hergestellter Wirkstoffe (z.B. Insulin) setzte indes in den<br />
neunziger Jahren in der Pharmaindustrie ein Umdenken ein, und heute steht der Nutzen der<br />
Genomforschung für die Ursachenanalyse von Krankheiten, das Finden neuer Zielstrukturen<br />
(sog. Targets), die Optimierung von Wirkstoffen und Diagnosemöglichkeiten außer Frage.<br />
Dementsprechend haben die Pharmaunternehmen ein breites Spektrum innovativer Bio-<br />
Technologien, Methoden und Verfahren in ihre Forschung integriert und damit die analytischen<br />
Potentiale und stoffliche Basis für Arzneimittelinnovationen erheblich erweitert (vgl.<br />
ausführlich Briken/Kurz 2006; 2004; Kädtler 2006). Gestützt und gefördert wird dieser<br />
Restrukturierungsprozess durch die Forschungsleistungen insbesondere von US-amerikanischen<br />
Biotechnologieunternehmen, auf deren Technologie- und Produkt-Know-how die<br />
Pharmaunternehmen verstärkt zurückgreifen. Mittlerweile investiert die Pharmaindustrie circa<br />
30 Prozent ihrer Forschungsaufwendungen in die Kooperation mit Biotechnologieunternehmen.<br />
Gleichwohl ist es bislang zu keinem spektakulären Anstieg in der Innovationsfrequenz, zu radikalen<br />
Produktinnovationen (Arzneimittel, die bisher unheilbare Krankheiten heilen) oder<br />
einer spürbaren Minimierung von Innovationsrisiken gekommen. Im Gegenteil: Der Output<br />
der industriellen Forschungslabors ist in Bezug auf grundlegende Produktneuheiten, die die<br />
Qualität von „Blockbustern“ erreichen (Umsatz mindestens 1 Mrd. $ p.a.), in den letzten<br />
Jahren beständig kleiner geworden. Immer noch scheitern zu viele Wirkstoffe während der