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Metamorphose

Ausgabe 2011

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Drastische Imagewandel in Modefirmen werden<br />

nicht selten als „Doing the Gucci“ bezeichnet<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

> Ungewöhnlich nur, wenn ein solches Blatt gänzlich ohne Farbe<br />

auskommt. Bei Maison Martin Margiela zum Beispiel stehen<br />

die Zeichen aktuell weder auf Herz oder Kreuz, noch Pik<br />

oder Karo. Seit Dezember 2009 wird das Avantgarde-Label<br />

von einem internen Designteam geführt, gesichts- und namenlos<br />

quasi. Martin Margiela hatte das Haus zuvor verlassen,<br />

seine Ideen waren zu künstlerisch für die Diesel-Gruppe.<br />

Der italienische Konzern hatte das Modehaus 2002 gekauft<br />

und will die Zukunft der Marke profitorientierter konzipieren.<br />

Der klassische Kampf zwischen Kunst und Kommerz gipfelte<br />

in dem Abschied Margielas, der seine Nachfolge erfolglos<br />

Jil-Sander-Chef Raf Simons anbot. Zwar hat der Großteil des<br />

jetzigen Teams bereits an Margielas Seite gearbeitet, seit dem<br />

Verlassen des Gründers und Namensgebers gilt die Mode<br />

von Maison Martin Margiela allerdings als schwächer und<br />

ausdrucksloser. Dabei hat sich zumindest bezüglich des Verhältnisses<br />

zwischen Chefdirektion und Presse wenig verändert.<br />

Ebenso wie Martin Margiela seinerzeit die Öffentlichkeit<br />

drastisch mied, tut es auch jetzt das Phantom-Team, das die<br />

Kollektionen entwirft. Margiela selbst war berühmt für seine<br />

stets knappen und äußerst wagen Antworten in Interviews, die<br />

er ohnehin ausschließlich per Fax gab. Niemand weiß, wie er<br />

aussieht, wer er ist, der Mann hinter den drei Ms. Nie wollte er<br />

den Fokus von seiner Arbeit, der Mode, lenken. Welch erfrischende<br />

Abwechslung in den von Geltungsdrang und Gefall-<br />

sucht geprägten Reihen der Modegrößen, in der (zumindest<br />

für die Öffentlichkeit) die Exzentrik manchmal eine gewichtigere<br />

Rolle spielt als die Qualität der Designs.<br />

Dies könnte auch erklären, weshalb die Nachfolge Alexander<br />

McQueens beim gleichnamigen Label ungewöhnlich unöffentlich<br />

stattgefunden hatte. Sicherlich ist ob der Tragik des Todes<br />

von Alexander McQueen auch aus Gründen der Pietät auf das<br />

klassische Ratespiel um Zukunft und Nachfolge verzichtet worden,<br />

doch ganz so still und leise hatte man die Neubesetzung<br />

nicht erwartet. Nach dem Suizid des britischen Rebellen-Designers,<br />

der für ausladende Kleider mit Punk-Attitüde bekannt<br />

war, übernahm Sarah Burton die kreative Gesamtführung.<br />

Eine logische Wahl, arbeitete Burton doch bereits seit 1996 im<br />

Hause McQueen und war seit 2000 Designerin der Damenkollektion.<br />

Seltsam aber, dass die Übernahme eines derartig<br />

prestigeträchtigen Postens so still und ohne viel Aufsehen vollzogen<br />

wurde. Ein Grund dafür dürfte Burtons wenig spektakuläres<br />

Auftreten sein. Weitgehend unbekannt (zumindest für<br />

Modelaien), gibt es um sie wenig skandalöses zu berichten, ihr<br />

persönlicher Stil ist schlicht, geradezu unauffällig. Erst die Kreation<br />

des Hochzeitskleides für Kate Middleton, der zukünftigen<br />

Königin Großbritanniens, brachte Sarah Burton sowie der<br />

Marke Alexander McQueen die gebührenden Schlagzeilen.<br />

Seitdem ist die Saint-Martins-Absolventin in aller Munde und<br />

bricht sämtliche Verkaufszahlen. Um gute Mode zu machen,<br />

braucht es den bizarren Sonderling an der Spitze eines Unternehmens<br />

sicherlich nicht, wohl aber, um das nötige Aufsehen<br />

und die damit einhergehenden Umsätze anzuregen.<br />

Dass Exzentrik und Genialität, Aufstieg und Fall in der Modewelt<br />

oft näher beieinander liegen als den Chefetagen lieb ist,<br />

verdeutlicht die jüngste Geschichte des Hauses Dior. Auch<br />

wenn sich das Blatt mittlerweile dramatisch gewendet hat, so<br />

war es doch der Brite John Galliano, ehemaliger Chefdesigner,<br />

ehemaliges Darling der Pariser Szene, der Dior zu dem<br />

Gewinnerhaus gemacht hat, das es mittlerweile zweifelsohne<br />

ist. Nachdem der Meister der ausladenden Roben 1995 mit seiner<br />

ersten Kollektion für Givenchy die Modewelt – nicht nur<br />

positiv – überraschte (seine Linie galt angesichts einer typisch<br />

französischen Traditionsmarke als zu aufgeregt und respektlos),<br />

entschied 1997 auch der Vorstand von Dior, aufs Ganze<br />

zu gehen. Auf Anraten von Anna Wintour, Chefredakteurin<br />

der amerikanischen Vogue, stellte Dior den britischen Couturier<br />

Galliano ein. Und auch wenn die Kreation tragbarer Mode<br />

ihm nie wirklich lag, so war es doch John Galliano, der in den<br />

folgenden 15 Jahren für Dior (zumindest in der Haute Couture)<br />

immer die Siegerkollektionen präsentierte.<br />

Im Februar diesen Jahres allerdings war auch er es, der den<br />

wohl prominentesten und – nun ja – glanzlosesten Designerwechsel<br />

veranlasste. Erst Vorwürfe höchst lautstarker und äußerst<br />

öffentlicher, antisemitischer Pöbeleien, nur einen Tag<br />

später die Veröffentlichung eines mehr als aussagekräftigen<br />

Videos des ganzen Spektakels durch die britische Sun, einen<br />

weiteren Tag darauf die offizielle Bekanntgabe Diors, man<br />

trenne sich von Galliano. Es folgen eine entsetzte Natalie Portman<br />

– Schauspielerin, Jüdin und Gesicht der aktuellen Miss<br />

Dior Chérie Duftkampagne –, die ihre Dior-Robe für den roten<br />

Teppich der diesjährigen Oscar-Verleihung kurzerhand<br />

gegen eine Kreation der amerikanischen Rodarte-Schwestern<br />

eintauschte, und eine hochoffizielle Ausladung John Gallianos<br />

von der Präsentation seiner letzten Kollektion für Dior auf der<br />

Pariser Fashion Week. Ein Abgang, der seltsamer, unerwarteter<br />

und tragischer kaum hätte sein können. Und der ob seiner<br />

ausladenden Dramatik fast die Frage um die Nachfolge in den<br />

Schatten gestellt hätte.<br />

Diese ließ dann doch nicht lange auf sich warten und avancierte<br />

zu einer heißen Diskussion über Können und Nichtkönnen<br />

der möglichen Erbschaftskandidaten. Auf sämtlichen<br />

Blogs, auf Twitter und wohl auch in so mancher privaten Runde<br />

hatte scheinbar jeder etwas dazu beizutragen. Da ging es um<br />

Hedi Slimanes fehlende Erfahrung in der Haute Couture, Lanvins<br />

großen Verlust, sollte Alber Elbaz zu Dior wechseln, und<br />

um die Kombinierbarkeit Riccardo Tiscis Vorliebe für düstere<br />

Kollektionen mit der bisher so farbenfrohen DNA des Hauses.<br />

Letzterer wurde schnell zur wahrscheinlichsten Nachfolge<br />

erkoren, Modejournalist Derek Blasberg wollte von einem Insider<br />

bereits die Bestätigung Tiscis als neuen Dior-Kreativchef<br />

erhalten haben und twitterte dies umgehend. Tisci selbst hält<br />

sich weiter bedeckt, ließ ausschließlich verlauten, dass er noch<br />

immer „Happy at Givenchy“ sei, und das mit durchgehend<br />

überzeugenden Couture-Linien seit 2005. Wieder ein drastischer<br />

Wandel, wieder ein Wechsel von Givenchy zu Dior, die<br />

ohnehin beide der Moët Hennessy Louis Vuitton S.A. gehören.<br />

Die Aktiengesellschaft ist der weltgrößte Luxusgüterkonzern<br />

und hält die Mehrheitsrechte an über 60 High-End-Marken.<br />

Das Erbe bleibt also auch hier sozusagen in der eigenen Familie,<br />

auch wenn diese statt Blut Geschäftsbeziehungen teilt.<br />

Und nicht nur Prada, Missoni und Versace scheint Dior bei<br />

seiner Entscheidung eventuell in die Karten zu schauen, auch<br />

Gucci wird sich angeblich zum Vorbild genommen. Neben<br />

Tisci soll nämlich Gerüchten zufolge auch Carine Roitfeld,<br />

ehemalige Chefin der Vogue Paris, ihren Platz in der Kreativdirektion<br />

des Hauses finden. Diese hatte bereits in den 1990er-<br />

Jahren als Stylistin an der Seite Tom Fords Gucci zu einem beispiellosen<br />

Imagewechsel samt immenser Umsatzsteigerungen<br />

verholfen. War die italienische Marke zuvor noch als altbacken<br />

verschrien, so waren es Ford und Roitfeld, die Gucci mit einer<br />

nie dagewesenen Sexualisierung einer Modemarke sowohl<br />

trendtechnisch als auch wirtschaftlich zu einem ernstzunehmenden<br />

Mitspieler der ganz großen Runde machten. Ähnlich<br />

drastische Imagewandel in Modefirmen werden seitdem nicht<br />

selten als „Doing the Gucci“ bezeichnet.<br />

Die kreative Leitung Diors wird vorerst in die erfahrenen,<br />

wenn auch bisher nur im Hintergrund agierenden Hände von<br />

Bill Gaytten gelegt. Dieser hatte gemeinsam mit John Galliano<br />

bei Dior angefangen und diente dem Meister 15 Jahre hindurch<br />

als rechte Hand. Während der Entstehungsphase der<br />

neuen Couturelinie des Hauses, der ersten ohne Galliano, ließ<br />

Gaytten verlauten, die Abwesenheit seines ehemaligen Chefs<br />

hätte für ihn keinen großen Unterschied gemacht. Vermisst hat<br />

Galliano aber sicherlich so manch einer, der die Präsentation<br />

live in Paris oder vor dem heimischen Computer mitverfolgt<br />

hatte. Spürbar war die künstlerische Angestrengtheit, die in<br />

einem Designer stecken muss, der Jahre hindurch zwar Ideen<br />

und Inspiration lieferte, sich selbst aber nie zu 100 Prozent in<br />

einer Kollektion verwirklichen durfte. Mit einer allzu plumpen<br />

Metaphorik (die Show schloss eine als trauriger Clown verkleidete<br />

Karlie Kloss) und zu deutlichen Bezügen auf die Ästhetik<br />

Gallianos, präsentierte Gaytten ein überzeichnetes Resümee<br />

der letzten 15 Jahre Dior. CEO Sidney Toledano gab sich damit<br />

zumindest gegenüber der Presse zufrieden. Man ließe sich mit<br />

der letztendlichen Entscheidung über den neuen Chefdesigner<br />

bis Ende des Jahres Zeit. Wie dann die Würfel fallen, das kann<br />

niemand vorhersagen. Festhalten lässt sich aber, dass Taktik<br />

bei der Wahl des Kreativdirektors immer eine entscheidende<br />

Rolle spielt. Die detaillierte Planung, das genaue Abwägen von<br />

Gefahr und Option bleiben bei der Führung einer Marke unabdingbar,<br />

sind aber sicherlich noch kein Garant für eine weitere<br />

siegreiche Saison. Schließlich dürfte – wie in jedem Spiel – auch<br />

hier Fortuna noch ein Wörtchen mitzureden haben.<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

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