Metamorphose
Ausgabe 2011
Ausgabe 2011
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Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />
Liebe geht<br />
durch die Nase<br />
Düfte unterstreichen unsere Persönlichkeit<br />
– und helfen auch dabei, den<br />
richtigen Partner fürs Leben zu finden<br />
von Jana Burghause<br />
Orange, Zedernholz, Moschus, Rose un<br />
– sie wirken in geheimnisvoller Weise auf<br />
unser Gemüt. Die sorgsam ausgewählten<br />
Ingredienzien der Parfums beeinflussen unsere<br />
Stimmung – oder rufen Kindheitserinnerungen ins<br />
Gedächtnis. Doch seit Anfang 2010 wird das immer<br />
schwerer für Parfümeure und Duftliebhaber. Der<br />
Chemiker Suresh Chandra-Rastogi aus Dänemark<br />
fand damals heraus, dass viele dieser<br />
Stoffe Moleküle enthalten, die Hautausschlag<br />
auslösen können – vor allem<br />
bei Allergikern. Daraufhin trat der<br />
Zusatzartikel 43 der International<br />
Fragrance Association (IFRA) im<br />
EU-Recht in Kraft: Die Inhaltsstoffe<br />
Ylang-Ylang, Eichenmoos,<br />
Heliotrop, Jasmin, Zitrusöl, Oponopax<br />
und Styrax dürfen nur<br />
noch bei einer Konzentration von<br />
unter einem Prozent verwendet werden.<br />
„Das ist, als würde man die Farbe<br />
Grün für Gemälde verbieten. Mehr noch: als<br />
würde man die Farbe Grün aus allen Gemälden von<br />
Piero della Francesca entfernen“, so der Duftexperte Luca Turin.<br />
Großartige Düfte haben ihre Seele verloren – Mitsouko von<br />
Guerlain, Magie Noire von Lancôme oder Knowing von Estée<br />
Lauder. Jeder Duft, der besagte Inhaltsstoffe in gefährdender<br />
Konzentration enthielt, musste synthetisch reformuliert werden<br />
– manche sind sogar komplett vom Markt verschwunden.<br />
City Glam for her von Armani etwa oder auch V von Valentino.<br />
Dass Düfte aus den Regalen verschwinden, muss noch nicht<br />
einmal besorgniserregend sein, denn das ist der normale Kreislauf.<br />
Viel schlimmer ist es, dass meine Großmutter nicht mehr<br />
nach Großmutter riecht. Sie schuf sich mit Magie Noire eine<br />
Duftidentität – und die ist jetzt weg.<br />
Doch was lösen Düfte bei uns aus? Nichts als positive Erinnerungen?<br />
Oder steckt noch mehr dahinter? Im Prinzip<br />
ist es einfacher als es sich anhört. Unser Körper besitzt einen<br />
genetisch verankerten Ur-Duft. Drüsen stoßen körpereigene<br />
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Riechstoffe aus. Diese sind so lange geruchlos, bis Mikroorganismen<br />
diese Sekrete in Duftstoffe verwandeln. Das Erstaunliche<br />
dabei ist, dass unser Ur-Duft durch die MHC-Allele (M<br />
HC=Haupthistokompabilitätskomplex, Allele=Varianten von<br />
Genen) geprägt ist. Diese MHC-Allele entscheiden darüber,<br />
ob wir jemanden attraktiv und sympathisch finden oder eben<br />
nicht. Claus Wedekind und sein Forscherteam der Universität<br />
Bern fanden schon 1995 mithilfe eines so genannten Schnüffeltests<br />
heraus, dass je unterschiedlicher das MHC-Profil des<br />
Gegenübers ist, desto attraktiver finden wir ihn.<br />
Das hört sich nun ziemlich kompliziert an, aber es gibt auch<br />
einfache Lösungsansätze. Stefanie Hanssen zum Beispiel, Inhaberin<br />
der Duftmanufaktur Frau Tonis Parfum in Berlin,<br />
weiß: „Düfte verbinden wir immer mit positiven Erlebnissen,<br />
sonst würde man von Gerüchen sprechen. Eine einzige Assoziation<br />
kann Unmengen von Erinnerungen wachrufen und<br />
Düfte wirken hierbei unheimlich gut im Unterbewusstsein.“<br />
Auch bei ihr ist es ein Rosenduft, den sie mit ihrer Großmutter<br />
verbindet. Sie trug nicht Tosca, wie damals alle Damen,<br />
sondern ein eigenwilliges Rosenparfum. „Die Liebe zu meiner<br />
Großmutter bedeutet auch gleichzeitig die Liebe zu ihrer Kleidung,<br />
zu ihrem Duft und zu der Art und<br />
Weise, wie sie mit Menschen<br />
umgegangen ist. Diese positiven<br />
Erinnerungen sind<br />
von diesem Duft gar<br />
nicht zu trennen.“<br />
Düfte, angenehme<br />
Gerüche und Parfums<br />
sind wichtig für den<br />
Menschen – sie können<br />
uns beim Lernen unterstützen<br />
(einfach währenddessen<br />
am Parfum riechen,<br />
so verbinden wir den Duft mit<br />
Wissen und können in der Prüfung<br />
mithilfe des Duftes den Stoff<br />
einfacher abrufen) oder gut fühlen lassen,<br />
obwohl es uns vielleicht schlecht geht. Sie lassen das<br />
Heimweh verschwinden oder geben dem Verliebtsein eine<br />
eigene Duftnote. Das Wichtigste aber ist: Sie unterstreichen<br />
unsere Persönlichkeit. Schon Marlene Dietrich wusste in den<br />
20er-Jahren, dass ein herber Duft ihre Exzentrik verstärken<br />
kann. Sie trug einen reinen Veilchenduft, den man noch heute<br />
im Geschäft von Stefanie Hanssen in Berlin kaufen kann. Veilchen<br />
symbolisierte ihre Stärke, Kraft und Ausdauer. Und auch<br />
Parfumkritiker Luca Turin ist der Meinung, dass „die Leute<br />
immer denken, ein Duft ist halt ein Duft. Aber das stimmt<br />
nicht: Ein Duft ist eine Botschaft des Menschen, der ihn trägt.“<br />
Das hat schon Marlene Dietrich erkannt und wahrscheinlich<br />
auch unsere Großmütter. Ist es nun also der Duft, der uns zu<br />
dem macht, was wir sind? Oder kann uns ein Parfum bei der<br />
Persönlichkeitsfindung behilflich sein?<br />
Der Mensch kann bis zu 10.000 verschiedene Gerüche<br />
wahrnehmen. Es gibt ungefähr 6.000 Parfums auf der ganzen<br />
Welt – ein schlichtweg zu großes Angebot. Deshalb wird<br />
gern zum neuen Gucci-Duft, zum bekannten Coco Mademoiselle<br />
oder zum Rihanna-Parfum Reb'l fleur gegriffen. Wir<br />
wissen, dass wir uns damit eine gewisse Portion Selbstbewusstsein<br />
ins Haus holen. Da können wir noch so schüchtern<br />
auf dem Sofa sitzen, Eis essen und Liebesschnulzen á la Wie<br />
ein einziger Tag schauen. Mit dem richtigen Duft lassen wir<br />
die zarte Seite in uns verschwinden und mutieren am Abend<br />
zur Femme fatale.<br />
Doch ganz so einfach, wie es klingt, ist es nicht. Stefanie<br />
Hanssen weiß, dass „drei bis vier Düfte pro Person normal<br />
sind. Nur weil wir viele Düfte besitzen, heißt das nicht, dass<br />
wir keine gefestigte Persönlichkeit haben. Wir können aber<br />
zum Beispiel unterscheiden zwischen Düften für den Tag<br />
und für den Abend. Damit kann beliebig gespielt werden.<br />
Ein Parfum, das man abends aufträgt, soll eine ganz andere<br />
Wirkung haben – auf unsere Umgebung, auf die Menschen,<br />
die man trifft.“ Der Geruchsexperte Luca Turin unterstützt<br />
diese Meinung und bezeichnet einen Duft daher als „chemisches<br />
Gedicht“. Also keine Angst: Nur weil Sie beim<br />
Parfum nicht unbedingt nach dem Motto „Never change a<br />
winning team“ leben, heißt das noch lange nicht, dass Sie<br />
sich ihrer Persönlichkeit unsicher sind. Ganz im Gegenteil:<br />
Wer weiß, mit welchem Duft er welche Assoziationen auslösen<br />
kann, hat schon gewonnen. Ob bei Meetings, in der<br />
Oper oder beim Essen mit den angehenden Schwiegereltern.<br />
Jeder Duft kann einen gewissen<br />
Teil unseres Charakters hervorheben<br />
und positiv unterstreichen.<br />
Parfums intensivieren unseren<br />
Auftritt. Spot an!<br />
Doch Düfte unterstreichen nicht<br />
nur unsere Persönlichkeit, sondern<br />
beeinflussen durch die MHC-Allele (Gene) auch die<br />
Partnerwahl. „Über den Geruch wird das genetische<br />
Profil unseres Gegenübers übermittelt“,<br />
sagt Diplom Psychologe Markus Damm aus<br />
Worms. Und auch Psychologin<br />
und Autorin<br />
Rachel Herz von der<br />
Brown University auf<br />
Rhode Island hat herausgefunden,<br />
dass „die<br />
Frauen den schlecht<br />
rie chenden Männern<br />
bewusst aus dem Weg<br />
gehen. Sie halten aktiv<br />
nach gut riechenden<br />
Ausschau.“ Vor allem<br />
ein hoher Testosteronspiegel<br />
bescheinigt den<br />
Männern einen guten<br />
Duft, obwohl diese<br />
eher weniger auf den<br />
Duft bei Frauen achten.<br />
„Das Aussehen ist<br />
wichtiger, aber trotzdem<br />
können Frauen mit den richtigen Düften Männer fast<br />
blind verführen“, so Damm.<br />
Der Mensch kann seine genetische Duftnote also mit einem<br />
Parfum aufpeppen und so seine Chancen auf dem Liebesmarkt<br />
steigern. Das Max-Planck-Institut in Plön um Manfred<br />
Milinski forscht seit Jahren auf diesem Gebiet. „Während wir<br />
uns bei unserem eigenen Parfüm für ein genetisch passendes<br />
Make-up entscheiden, das die Botschaften unseres Körpergeruchs<br />
verstärkt, wählen wir den Partner aufgrund seiner optimalen<br />
Andersartigkeit aus – er soll eben Gene mitbringen, die<br />
wir selbst nicht haben“, so heißt es in einer Studie des Instituts<br />
aus dem Jahre 2006.<br />
Aber wieso befinden sich 08/15-Düfte wie Hilfiger Peach Blossom<br />
oder der Duft von Jimmy Choo unter den Top 10 der<br />
Douglas-Verkäufe? Will jeder gleich riechen? Bleibt da nicht<br />
die Individualität auf der Strecke? Und kann man mit solchen<br />
Durchschnittsdüften überhaupt positive Assoziationen bei<br />
anderen wecken? In welche Richtung treibt uns das bei der<br />
Partnerwahl? Mit einer guten Kampagne, einem großen Namen<br />
und einem bekannten Werbegesicht steigern Kosmetikkonzerne<br />
ihren Gewinn enorm. „Viele Menschen kaufen sich<br />
bewusst Parfums, weil ein großer Name dahinter steht und sie<br />
neugierig darauf sind. Sie haben Spaß daran, sich das neueste<br />
Produkt ins Bad zu stellen – wahrscheinlich auch aus einem<br />
Markenfetischismus heraus“, so Frau Hanssen. Das ist aber<br />
glücklicherweise nicht immer so.<br />
Hochkarätige Parfümeure benötigen<br />
teilweise Monate oder sogar<br />
Jahre für die Komposition eines<br />
neuen Duftes. Wertvolle Ingredienzien<br />
vermischen sich zu einer<br />
einzigartigen Komposition, die<br />
sich auf jeder Haut in einer andere Richtung entfalten<br />
kann. Deshalb erlebt der Nischenduft in<br />
den letzten Jahren einen regelrechten Boom.<br />
Hier kommt es den meist kleinen und unbe -<br />
kannten Firmen nicht<br />
auf die Masse, sondern<br />
auf Individualität an.<br />
Jeder Mensch muss<br />
seine eigene Duftnote<br />
Ein Duft<br />
ist eine<br />
Botschaft des<br />
Menschen,<br />
der ihn trägt<br />
verstärken – und genau<br />
deshalb hat auch jeder<br />
einen anderen Anspruch<br />
an einen Duft.<br />
Doch individuelle Par -<br />
fums sind nicht in<br />
jeder Parfümerie erhältlich<br />
und meistens<br />
ziemlich teuer – aber<br />
sie haben einen hohen<br />
emotionalen Wert und<br />
lassen Persönlichkeiten<br />
noch einzigartiger<br />
sein, als sie es ohnehin<br />
schon sind.<br />
Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />
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