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Metamorphose

Ausgabe 2011

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VON ANne Tröst<br />

Gestriegelte<br />

Gentlemen<br />

Internationale Coiffeure wie<br />

Toni&Guy (M.) und Vidal<br />

Sassoon interpretieren in<br />

ihren Kollektionen Stil–<br />

Frisuren immer wieder neu<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

lockige<br />

Rebellen<br />

Wie die Frisur eines Mannes<br />

seinen Charakter macht<br />

Die schwarze Tolle war sein Markenzeichen. Wenn<br />

Elvis Presley auf die Bühne ging, saß nicht nur jeder<br />

Akkord, jede Oktave – sondern auch die penibel<br />

gegelte und doch so lebendig schwingende Locke in<br />

seiner Stirn. Mit drei verschiedenen Pomaden widmete sich<br />

der King of Rock’n’Roll in perfektionistischer Feinarbeit einer<br />

Frisur, die mit dem wachsenden Erfolg seines Trägers zum großen<br />

Symbol der Rockabilly-Ära wurde. Seit den 50ern unzählige<br />

Male kopiert und weiterentwickelt, verkörpert der Pompadour,<br />

der seinen Namen ursprünglich der Mätresse Ludwig<br />

XV. verdankt, noch bis heute das Empfinden von Freiheit und<br />

Rebellion. Mit ihm kreierte Elvis nicht nur eine Trendfrisur,<br />

sondern zeigte ein ganzes Lebensgefühl.<br />

Als am 18. Oktober 2009 ein Büschel seiner Haare in Chicago<br />

einen neuen Besitzer suchte, war Elvis Presley bereits 32 Jahre<br />

tot. Für 12.300 Euro gingen, neben Stofftaschentüchern und<br />

Hochzeitsfotos, die spröden Hornfäden dann über den Auktionstisch<br />

– gerechtfertigt mit der Hysterie um die Kultfigur,<br />

mit der Manie seiner Fans. Doch auch begründet im Versteigerungsobjekt<br />

selbst: dem Haar; das jemanden so unverkennbar<br />

machte und eine ganze Stil-Kultur für sich einnahm.<br />

Haare, das vielleicht beliebteste Accessoire des menschlichen<br />

Körpers, immerhin wandelbar wie kein anderes, blicken auf<br />

eine bemerkenswerte Geschichte zurück. Wobei es die Frauen<br />

eher simpel hielten: Langes, volles Haar zieht sich wie ein roter<br />

Faden durch die wechselnden Ideale weiblicher Schönheit;<br />

mit leichten Ausschweifungen, was die Farbe anbelangt – mehr<br />

aber auch nicht. Zwischenzeitlich schnitt sich zwar die ein oder<br />

andere die Haare kurz, um der Gesellschaft den modischen<br />

Mittelfinger zu zeigen, aber auch das betont nur die Einfältigkeit<br />

ihrer bislang erprobten Möglichkeiten.<br />

Viel spannender hingegen: das Männerhaar. Ein Pool an Variationen,<br />

der im Verlauf zahlreicher Trend-Diktaturen und<br />

Fotos: PR (3)<br />

zeitweiliger Rollenbilder immer größer wurde. Ob Protagonisten<br />

biblischer Erzählungen, Modeikonen oder Filmcharaktere<br />

– die Frisuren männlicher Hauptakteure einzelner Epochen<br />

sind so unterschiedlich und stilprägend, dass sie als eigenständige<br />

Persönlichkeitsmerkmale Beachtung finden. Wie Elvis’<br />

Locke, die für das Zeitgefühl des Rock’n’Roll, die Rebellion gegen<br />

die Eltern und nicht zuletzt für den berühmten Künstler<br />

selbst steht, der mit seinen hüftlastigen Tanzeinlagen als einer<br />

der Ersten einen Stab an kreischenden Groupies auf seinen<br />

Konzerten zu verzeichnen hatte.<br />

Auch Cary Grant verhalf der Haarschnitt zu Großem: Ab<br />

den 30er-Jahren verführte er Stilikonen wie Marilyn Monroe,<br />

Grace Kelly oder Audrey Hepburn auf der Leinwand – zu verdanken<br />

hat er das womöglich seinem Charme, vielleicht auch<br />

dem Grübchen an seinem Kinn, mit Sicherheit aber auch der<br />

nonchalanten Art, einen Smoking zu tragen. Doch was wirklich<br />

blieb, ist die Frisur. Denn noch heute steht der sorgfältig gezogene<br />

Seitenscheitel für männliche Eleganz und Klasse – eine<br />

Gentleman-Frisur, die immer wieder aufgegriffen und, wenn<br />

nötig, in einen zeitgemäßen Kontext gesetzt wird. So machte<br />

sich eine Neuinterpretation beispielsweise auf dem Kopf von<br />

George Clooney einen Namen: Mit dem Scheitel auf der anderen<br />

Seite und weniger streng zurückgelegt, adaptiert der<br />

Neuzeit-Kavalier den konventionellen Gentleman-Look und<br />

mit ihm nicht nur die Erinnerung an Grant, sondern vor allem<br />

die Attribute, die dabei mitschwingen.<br />

Doch auch mit weniger Haar lassen sich Charakter und Stilgefühl<br />

deutlich machen. Bekannte Filmglatzen wie Telly Savalas,<br />

der als Theo Kojak in der gleichnamigen Fernsehserie dem<br />

Zynismus ein neues Gesicht gab, oder Yul Brynner, der als heroischer<br />

Protagonist des Kultwesterns Die glorreichen Sieben internationale<br />

Bekanntheit erlangte, brachten der polierten Platte<br />

ein prägnantes Image. Abgeklärt, rabiat und aufregend – der<br />

Anti-Held trägt Glatze. So auch Ving Rhames, der als Marsellus<br />

Wallace in Pulp Fiction einen miesen Gangsterboss mimt.<br />

Aber auch biblische Erzählungen bedienen sich der symbolischen<br />

Bedeutungen von Haar. Die bekannteste und zugleich<br />

traurigste Haargeschichte ist wohl jene von Samson und Delilah,<br />

die nicht nur mit einem gebrochenen Herzen endet, sondern<br />

vor allem damit, dass Samson seine Locken lässt. Als Richter<br />

des Alten Israels hatte er vor, sein unterdrücktes Vaterland von<br />

den Philistern zu befreien. Ahnungslos, dass die reizende Delilah<br />

Spitzel des philistinischen Königs war, verriet ihr Samson das<br />

Geheimnis um seine Unbesiegbarkeit: Die Haare müssten ein<br />

Leben lang wachsen. Das Mysterium um Samsons unbezwingbare<br />

Kraft enthüllt, greift Delilah zur Schere – und entledigt<br />

ihn seiner gottgegebenen Potenz. Es ist also nicht immer allein<br />

Schnitt, Struktur oder Länge des Haares, die einer Frisur eine<br />

persönliche Eigenschaft gibt, sondern selbst der Fall von ein paar<br />

gewellten Strähnen findet seine semiotische Besetzung.<br />

In einer eher Kurzhaar-affinen Zeit ist die Bandbreite an<br />

Möglichkeiten, seine Persönlichkeit mit einem Haarschnitt<br />

auszudrücken, groß. Dabei wird an Altbewährtem festgehalten<br />

und aus nischigen Subkulturen neu geschöpft – immer mit<br />

dem Ziel, etwas noch nie Dagewesenes zu kreieren. Während<br />

Frauen sich erst einmal nur der Längen-Frage stellen – provokant<br />

oder konservativ –, haben Männer zahlreiche Auslegungen<br />

allein für den Begriff „kurz“. Und auch wenn weibliche<br />

Frisuren durch variierende Drapierungen augenscheinlich ein<br />

nahezu endloses Repertoire an Haarkunstwerken bieten, sind<br />

es doch die auffälligen Bedeutungscluster des gestylten Männerhaares,<br />

die so bedeutsam und vielsagend sind; weil zurückgeschaut<br />

und interpretiert, weil so kunstvoll zitiert wird – weil<br />

selbst, wenn Mann etwas für seinen Stil-Code ganz Übliches<br />

tut (sie kürzer schneidet, lockig lässt und gar rasiert), er eine<br />

ganz andere Geschichte mit ihnen erzählt.<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

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