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Metamorphose

Ausgabe 2011

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Mit der Pringle-of-Scotland-Produktion setzt Regisseur Ryan McGinley auf Tilda Swinton und beweist: Mode ist Bewegung<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

> Mit Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten porträtierte<br />

er 1989 den japanischen Modedesigner und Avantgardisten<br />

Yohji Yamamoto und betrat damit Neuland – sowohl in der<br />

Geschichte des Films als auch in der der Mode. „Ich interessiere<br />

mich für die Welt, nicht für die Mode!“, ließ Wenders<br />

anfangs noch verlauten. Doch während der Dreharbeiten bröckelten<br />

die Fronten, die Trennlinien wurden ausradiert: „Vielleicht<br />

haben Mode und Film etwas gemeinsam“, vermutete<br />

Wenders und die Mode, der er nie eine ernstzunehmende Rolle<br />

zuschrieb, wurde plötzlich zum Hauptthema und das Medium<br />

Video, das er zuvor als „Krebsgeschwür im Film“ diagnostizierte,<br />

zum spannenden Gestaltungsmittel. Wenders visuelle<br />

Erkundungsreise führte mit der Kleidung Yamamotos durch<br />

Eindrücke und Gefühle, Paris und Tokio – angereichert mit<br />

meditativen Klängen und elektronischen Bildbrüchen durch<br />

das Element Video.<br />

Dieses damals noch neue und von Wenders anfangs verachtete<br />

Darstellungsmittel, das im Gegensatz zum analogen, auf Zelluloid<br />

gebannten Film die Nachteile eines elektronischen Bildes<br />

aufweist, ist in der Entwicklung des Phänomens Modefilm heute<br />

sogar ausschlaggebend. Denn da die Digitalisierung fester Bestandteil<br />

der Internetgesellschaft ist, unterliegt die Etablierung<br />

neuer Medien einem obersten Gebot: dem der Schnelligkeit.<br />

Somit reagieren nun vermehrt auch Modemagazine sowohl<br />

auf die Schwachstellen der statischen Fotografie als auch auf<br />

die Demokratisierungsprozesse in der Branche und ergänzen<br />

ihr Repertoire in ihren Online-Ausgaben. So kursieren neben<br />

mehrminütigen Kurzfilmen der großen Designhäuser auch kurze<br />

Making-ofs im Netz, die einen Einblick hinter die Kulissen<br />

eines Vogue-Shoots gewähren, Stimmungsfilme des Tush-Magazins<br />

zum Thema der aktuellen Ausgabe oder filmisch inszenierte<br />

Modeclips, die mit einer kleinen Geschichte einen Vorgeschmack<br />

auf das Editorial im Oyster Magazine bieten – und<br />

zwar noch bevor dieses im Druckmedium veröffentlicht wird.<br />

Die dabei entstehende Zugänglichkeit für Jedermann, die das<br />

Internet bietet, soll den Magazinen, Regisseuren und Designern<br />

zu Aufmerksamkeit und einer größeren Zielgruppe verhelfen.<br />

Dies könnte auch dem Modelabel Proenza Schouler mithilfe<br />

von Kids-Drehbuchautor Harmony Korine gelungen sein, der<br />

das Label in einen ganz anderen Kontext setzte und die High-<br />

Fashion-Kollektion für Herbst/Winter 2011 an den Mitgliedern<br />

einer afroamerikanischen Mädchengang zeigte. In Act da Fool<br />

vertreibt sich diese ihre Langeweile mit Graffiti sprühen auf<br />

öffentlichem Gelände, Bierexzessen auf befahrenen Zuggleisen<br />

und Basketball-Spielen zwischen Müllcontainern. Dass<br />

sie dabei Luxusmode von Proenza Schouler tragen, spielte für<br />

Regisseur Korine keine Rolle, wie er in einem Statement zu seinem<br />

Film erklärte: „Er ist ein Liebesbrief an die Langeweile, die<br />

Menschen, die in Kleinstädten aufwachsen empfinden“, sagte<br />

Korine. „Die Stimmung der Marke vermitteln? Ich weiß nicht<br />

einmal, was das bedeutet.“<br />

Auch Regisseur Ryan McGinley findet es „großartig, dass<br />

Firmen an Künstler glauben und sie Kunst machen lassen, die<br />

einem vollkommen anderen Publikum vorgestellt wird.“<br />

Unter seiner Regie rannte Tilda Swinton für Pringle of Scotland<br />

mit wallendem Kleid aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion<br />

2010 zu schottischer Streichermusik durch einen Wald, irrte<br />

über Felder, kletterte auf Felshügel und zwängte sich in feinster<br />

Abendgarderobe durch enge Felsritzen, während stürmischer<br />

Wind das Knirschen des flatternden Stoffes hörbar macht und<br />

dunkel aufziehende Wolken, Vorboten eines Unwetters, das<br />

Schwarz des Kleides noch düsterer erscheinen lassen.<br />

Mit diesen Werken stehen McGinley und Korine an der Spitze<br />

der Modefilm-Schaffenden. Es gelingt ihnen, innerhalb weniger<br />

Minuten die Labels zu entstauben und ins rechte Licht zu<br />

rücken – und zwar ohne den allzu offensichtlichen Gebrauch<br />

typischer Werbefilm-Instrumente wie Scheinwerferlicht und<br />

Nebelschwaden bei Dior oder Partys, Jachten und viel nackter<br />

Haut bei Chanel.<br />

Es obliegt den Modehäusern und Regisseuren, ob sie ihre<br />

Werke offen als reine Werbefilme, die sich lediglich der Produktvermarktung<br />

verschreiben, produzieren lassen oder sie<br />

zusätzlich mit einem künstlerischen Anspruch schmücken.<br />

Fest steht: Dabei entstehen spannende Kooperationen mit<br />

einzigartigen Handschriften, von denen jede auf ihre eigene<br />

Art der Mode gerecht wird.<br />

Besonders gerecht wird ihr jedoch die rennende Protagonistin<br />

in der Pringle-of-Scotland-Produktion: Sie nutzt den<br />

größten Vorteil des Films gegenüber der Fotografie, zeigt die<br />

Gemeinsamkeiten von Mode und Film und lässt beide Komponenten<br />

aufleben. Dass nämlich erst ein bewegtes Kleidungsstück<br />

für den Betrachter erfass- und erlebbar wird beweist, dass<br />

Mode kein statisches Objekt ist, sondern nur in der Bewegung<br />

ihre volle Entfaltung findet. „Nur bewegte Bilder werden dem<br />

Modedesign vollständig gerecht, alles andere ist nur ein Kompromiss“,<br />

erklärte Show-Studio-Gründer und Modefilmer der<br />

ersten Stunde Nick Knight in einem Interview.<br />

Mit der Gründung seiner Fashion-Film-Produktionsfirma<br />

Riese Farbaute steht auch Regisseur Cristian Straub für diese<br />

Ansicht. Inzwischen zu den deutschen Modefilm-Pionieren<br />

zählend, setzt er seit 2010 einerseits Auftragsarbeiten für<br />

Modedesigner um, verwirklicht aber andererseits seine eigenen<br />

Vorstellungen von filmisch inszenierter Mode in unabhängigen<br />

Werken.<br />

Denn auch den Modefilm-Schaffenden bleibt es meist nur<br />

in freien Arbeiten gegönnt, jegliche Werbefilm-Attitüden<br />

vollständig abzulegen und Raum für kleine Revolutionen und<br />

große Experimente zu schaffen.<br />

Somit findet die Begegnung von Mode und Film ihre interessanteste<br />

Verbindung in den bewegten Modestrecken, in denen<br />

Stimmungsbilder der Kleider und individuelle Gedankenwelten<br />

der Regisseure zu etwas Neuem zusammenfließen dürfen –<br />

dem Neuen, das manchmal irritiert, bannt und inspiriert. Oder<br />

einfach nur schön anzusehen ist. Das alles können auch Werbefilme,<br />

richtig. Doch die freien Werke, ohne federführenden<br />

Auftraggeber im Nacken, stehen am Ende für sich selbst. Und<br />

das, ohne Werbung für große Designernamen, Kollektionen<br />

und bekannte Models gemacht zu haben oder Verkaufszahlen<br />

verdoppeln zu müssen.<br />

Erst so scheint der Passagier „Modefilm“, der vor mehr als<br />

zwei Jahrzehnten auf Entdeckungsreise geschickt wurde, zehn<br />

Jahre nach der Gründung vom britischen Modefilmportal<br />

Show Studio nun auch endlich in Deutschland angekommen<br />

zu sein – in Form von bewegten Modestrecken wie Straubs<br />

futuristischer Weltraum-Trilogie Dervishes in Space, mittels<br />

elektronischer Bildbrüche und digitaler Spielereien. Stilelemente,<br />

die nicht von ungefähr kommen: Straub gehörte einst<br />

zu den Lehrlingen Wim Wenders.<br />

Wie dieser bereits in den späten 80er-Jahren sein Gespür<br />

für Zeitgeist und die Zukunftsaussichten des Modefilms bewies,<br />

stehen nun Modefirmen, Regisseure und vor allem aber<br />

Magazine vor eben diesem Schritt. Sie wollen auf den Zug<br />

der schnell konsumierbaren Medien mit teils geringer Halbwertszeit<br />

aufspringen und sich den richtigen Platz suchen –<br />

innerhalb der Flut von schnell geschriebenen Modeblogs und<br />

amateurhaft fotografierter Tagesoutfits der selbstbewussten<br />

Internetbenutzer.<br />

Klingt aussichtslos und nicht erstrebenswert? Das muss es<br />

aber nicht sein. Denn das neue Genre der Modefilme wertet<br />

den Qualitätsverlust erheblich auf und vereint nicht nur eine<br />

enorm breite Zielgruppe, sondern reagiert auch auf die stetig<br />

wachsende Anzahl von Tablet-Nutzern, für die inzwischen<br />

hochwertige Online-Ausgaben von Modemagazinen, Designer-Websiten<br />

oder Lookbooks eigens konzipiert werden.<br />

Kleine Streichbewegungen von Zeigefinger und Daumen<br />

über das Touchscreen lösen dann plötzlich Fotografien aus<br />

ihrer Starre, bewegen statische Cover-Aufnahmen, bewirken<br />

einen intensiven Augenaufschlag des Models und bringen<br />

den Stoff in Bewegung, um die Geschichte hinter dem Foto zu<br />

erzählen.<br />

Ob also als Werbefilm mit großem Namen und erfolgversprechenden<br />

Kooperationen, Making-of-Clip der Editorial-<br />

Produktionen, Stimmungsvideo oder bewegte Modestrecke –<br />

der Modefilm etabliert sich unaufhaltsam in all seinen Erscheinungsformen.<br />

Ein Klick auf den Video-Button oder eine Fingerbewegung<br />

über den Bildschirm ermöglichen den Zugang<br />

zur bewegten Welt der Mode, die mithilfe des Films nun keine<br />

Kompromisse mehr eingehen muss.<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

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