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Metamorphose

Ausgabe 2011

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von Celina Plag<br />

M<br />

eine Mutter ist eine bewundernswerte Frau. Emanzipiert,<br />

aufmüpfig und mit einer großen Leidenschaft für Demonstrationen.<br />

Ein wahres Kind ihrer Generation. Geboren<br />

1960 in einer kleinen provinziellen Stadt in Süddeutschland,<br />

dort, wo man allein schon aus Langeweile gar nicht anders<br />

konnte, als in die Welt hinauszuschauen. Gern stelle ich mir<br />

vor, wie sie im Alter von acht Jahren vor dem Schwarz-Weiß-<br />

Fernseher im Wohnzimmer meiner Großeltern saß und mit<br />

großen Augen die Studentenrevolte und Frauenbewegung der<br />

68er verfolgte. Das Flackern der brennenden BHs entfachte<br />

wohl auch in ihr eine lodernde Flamme, die bis zum heutigen<br />

Tag nicht erloschen ist. Wären ihre Brüste damals auch nur ansatzweise<br />

in einem sichtbaren Stadium gewesen – ich bin mir<br />

sicher, sie hätte sich ihre Minikörbchen geschnappt und mit einer<br />

Packung Streichhölzer die sexuelle Befreiung nachgespielt.<br />

Das Protestieren wurde bald zu einem festen Bestandteil<br />

ihres Lebens. Egal ob für freie Liebe und Frieden, gegen<br />

Atomkraftwerke, Atombomben, Atome ganz generell, gegen<br />

die heteronormative Gesellschaft und natürlich gegen Nazis –<br />

wogegen meine Mutter gerade rebellierte, ließ sich meist unschwer<br />

erkennen. Denn ihre Kleidung war stets Symbolträger<br />

von Idealen, ihre Mode selbst schon ein politisches Statement.<br />

Die Jugend von heute<br />

Heute verhält es sich anders. Geprägt von dem lauten Engagement<br />

unserer Eltern, die zu Recht gegen so ziemlich alles<br />

waren, was „das System“ ihnen diktierte, sind wir eine Generation,<br />

der es schwer fällt, einen eigenen und vor allem einen<br />

neuen Weg des Protests zu finden, der es uns ermöglicht, uns<br />

von den vorherigen Generationen zu distanzieren. Doch gerade<br />

das müssen wir, denn die Abgrenzung von den Eltern, das<br />

Gehen eigener Wege, dient in hohem Maße der Identitätsfindung,<br />

der Hang zum Wandel und zur Veränderung ist bereits<br />

das Wesen der Jugend selbst. ANTI ANTI ist das Motto unserer<br />

Generation. Die Eltern waren gegen etwas. Wir sind dagegen,<br />

dagegen zu sein!<br />

Das ist bedenklich, da viele der Kernprobleme der letzten 30<br />

Jahre sich zwar gewandelt haben, aber immer noch bestehen.<br />

Wir führen weiterhin Kriege, nach wie vor spielen Themen wie<br />

Diskriminierung und Chancenungleichheit eine Rolle, selbst<br />

die Atomfrage erschütterte erst kürzlich wieder die Welt, als im<br />

japanischen Fukushima nach einem schweren Erdbeben und<br />

anschließendem Tsunami der Reaktor des Kraftwerks schwer<br />

beschädigt und in mehreren Blöcken eine Kernschmelze bestätigt<br />

wurde. Natürlich ist der Generation ANTI ANTI das nicht<br />

egal, natürlich wird gegen Missstände protestiert – nur eben<br />

ziemlich leise. Dass auch die Wirkung politischer Symbole in<br />

der Mode sich verändert, ist nicht gerade hilfreich.<br />

Die Anti-Mode der Jugendkulturen<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

Politische Statements<br />

oder sinnentleerte<br />

Trends: Warum die Mode<br />

die Anti-Mode<br />

braucht – und die<br />

Gesellschaft eine neue<br />

Jugendkultur<br />

In der Vergangenheit waren es meist die Jugendkulturen, die<br />

dank ihrer Lautstärke, ihrer Authentizität und ihrer auffälligen<br />

Art, sich zu kleiden, die breite Masse provozierten und<br />

gleichzeitig zum Denken anregten. Eine Welt voll freier Liebe,<br />

Frieden und Harmonie, damit schockierten die Hippies in den<br />

60er-Jahren. Wallende Batikkleider, weite Jeans und Jesuslatschen,<br />

lange Locken, unrasierte Körper und Blumen im Haar<br />

waren die Erkennungszeichen ihres politischen Protests, der<br />

langsam aber sicher den Mainstream und seine Mode infiltrierte.<br />

Die Hippies waren neu, sie waren präsent, sie machten<br />

ergreifende Musik. Zumindest einen Teilerfolg an gesellschaftlichen<br />

Umbrüchen kann man ihnen zugestehen. Polygamie<br />

und Sex in der Öffentlichkeit sind zwar nach wie vor gesetzlich<br />

verboten, doch unverheiratete Paare längst akzeptiert. Peace.<br />

Ähnliches passierte bei den Punks, die Ende der 70er mit ihren<br />

Irokesenschnitten, den nietenbesetzten Lederjacken und<br />

ihren Doc Martens die Hippies rumgammelnderweise aus<br />

dem Straßenbild verdrängten. Wenn sie nicht gerade nichts<br />

taten, schrien sie nach Anarchie. Vivienne Westwood, Queen<br />

Mother of Punk und selbst ein Kind der Subkultur, holte diese<br />

Anti-Mode aus London auf den Laufsteg und schaffte einen<br />

Protest-Punk-Chic, der für Furore sorgte. Sie rief einen<br />

andauernden Trend aus, der selbst vor den konservativsten<br />

Gesellschaftsschichten nicht Halt machte. Die eigentliche<br />

Botschaft, eine Kritik an dem steifen, kommerziellen und<br />

bürgerlichen Klassensystem Englands, wurde natürlich entschärft<br />

und somit einem breiten Teil der Gesellschaft zugänglich<br />

gemacht – ironischerweise eben jenem Teil, gegen den<br />

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Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

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