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Metamorphose

Ausgabe 2011

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Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

Ganz fragil liegt er da, auf dem weißen Arbeitstisch,<br />

und wirkt dabei so zerbrechlich<br />

– der so genannte Tourbillon-Käfig. Man<br />

fürchtet, eine falsche Bewegung oder ein falscher<br />

Atemzug könnte das so zart wirkende<br />

Gehäuse in all seine Einzelteile zerfallen<br />

lassen. Die Uhrmacherin im weißen Kittel<br />

nimmt die nicht mal 20-Cent-Stück große<br />

Skelett-Konstruktion zwischen ihre Finger<br />

und betrachtet diese ein weiteres Mal mit<br />

prüfendem Blick, die Lupe dabei stets im<br />

Auge. „Fertig.“ Nach fast zwei Tagen hat sie die Arbeit an dem<br />

feingliedrigen Käfig abgeschlossen und kann sich nun dem<br />

nächsten widmen. Das filigrane Drehgestell ist Teil der Tourbillon,<br />

die wiederum als „Wirbelwind“ oder Schwingsystem<br />

eines Gangwerks Ungenauigkeiten ausgleicht und damit die<br />

Exaktheit eines Zeitmessers fördert. Nachdem die 84 Einzelteile<br />

in sorgfältiger Einzelarbeit zur Tourbillon zusammengesetzt<br />

sind, kann man den Herzschlag der Uhr schon fast hören.<br />

Bis ein Modell von A. Lange & Söhne aber endgültig die Manufaktur<br />

in Glashütte verlässt, ist es ein langer Weg. Zwischen<br />

sechs und vierzehn Monaten kann es zuweilen dauern, bis der<br />

Kunde seine Präzisionsuhr am Handgelenk tragen darf.<br />

Alter neuer Zeitgeist<br />

In der sächsischen Manufaktur entstehen Uhren auf eine Weise,<br />

die sich Unternehmen zu Zeiten kapitalistischer Gewinnförderung<br />

eigentlich kaum leisten können – in Handarbeit.<br />

Doch genau darin liegt die Stärke des Traditionsbetriebes.<br />

Pro Jahr verlässt nur eine geringe Stückzahl der luxuriösen<br />

Armbanduhren das Werk – dabei handelt es sich um Zahlen<br />

im einstelligen Tausenderbereich. Doch trotz der stattlichen<br />

Preise von 13.900 bis 400.000 Euro sind die edlen Zeitmesser<br />

mit klangvollen Namen wie Richard Lange oder Tourbograph<br />

„Pour le Mérite“ vom Design her eher schlicht, schnörkellos<br />

und dezent. Understatement lautet die Devise. Von Trends<br />

distanziert man sich, denn die Träger schätzen den zeitlosen<br />

Stil dieser exklusiven Uhren, „ohne den Luxus provokant zur<br />

Schau tragen zu wollen“, meint PR-Direktor Arndt Einhorn.<br />

Dennoch handelt es sich bei diesen Uhren um Statussymbole,<br />

wenn auch der weniger blasierten Variante.<br />

Reise in die Vergangenheit<br />

Der 7. Dezember 1990 ist ein wichtiges Datum in der turbulenten<br />

Firmengeschichte. Auf den Tag genau 145 Jahre nach der<br />

ersten Gründung der Firma durch Ferdinand A. Lange meldet<br />

dessen Urgroßenkel Walter Lange den Betrieb neu an und<br />

wagt den Versuch, das Erbe seiner Familie weiterzuführen.<br />

Kein leichtes Unterfangen, nachdem das Unternehmen Ende<br />

der 40er-Jahren vom SED-Regime enteignet wurde. 1994 folgt<br />

die erste Kollektion neuer Lange-Uhren: Mit der Lange 1, Saxonia,<br />

Tourbillion „Pour le mérite“ und der Damenuhr Arkade<br />

war A. Lange & Söhne nach über vier Jahrzehnten Stillstand<br />

zurück und man knüpfte an die Erfolge der Taschenuhren an,<br />

mit denen sich die Firma bereits Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

einen Namen machte.<br />

Edelmetall: Nur<br />

hochwertige Materialien<br />

wie Platin,<br />

Gold und Silber<br />

kommen bei<br />

A. Lange & Söhne<br />

zum Einsatz<br />

Gegründet wurde das Unternehmen am 7. Dezember 1845<br />

von Ferdinand Adolf Lange in dem kleinen Bergbaustädtchen<br />

Glashütte. Nach seiner Lehre beim angesehenen Dresdner Hofuhrmacher<br />

Christian F. Gutkaes zieht er durch Europa, arbeitet<br />

in Frankreich und der Schweiz. Mit vielen neuen Erkenntnissen<br />

und Ideen sowie einem enormen Tatendrang kehrt er ins<br />

heimatliche Sachsen zurück. In der Erzgebirgsregion herrscht<br />

zu dieser Zeit große Armut. Um den Menschen dort eine neue<br />

Perspektive zu geben, schlägt er der Regierung eine industrielle<br />

Uhrenfertigung vor. Mit finanzieller Unterstützung des<br />

königlich-sächsischen Ministeriums legt Lange dafür 1845 den<br />

Grundstein und macht das kleine Örtchen Glashütte zum Mittelpunkt<br />

deutscher Uhrmacherkunst.<br />

Von Anfang an folgt er einem hohen Qualitätsanspruch.<br />

Auch nach seinem Tod, als seine Söhne die Firma bereits weiterführen,<br />

hält man an der Handwerkstradition des Vaters und<br />

Firmengründers fest. Die von Ferdinand Lange eingeführten<br />

Komponenten, wie etwa die Dreiviertelplatine, sind auch heute<br />

noch feste Bestandteile der Lange-Uhren. Zu den klassischen<br />

Merkmalen kommen nach und nach immer mehr technische<br />

Erfindungen wie Großdatum oder der ewige Kalender<br />

hinzu. Der Betrieb floriert, trotz Erstem Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise.<br />

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges<br />

beginnt schließlich Walter Lange, Ferdinands Urgroßenkel,<br />

seine Ausbildung zum Uhrmacher im väterlichen Werk, muss<br />

jedoch in den unruhigen Kriegszeiten mit ansehen, wie das<br />

Stammhaus zerbombt und der Familienbetrieb 1948 schließlich<br />

enteignet wird. Die Marke A. Lange & Söhne erlischt. Bis<br />

zum 7. Dezember 1990, an dem Walter Lange das Unternehmen<br />

wiederbelebt. Mittlerweile gehört A. Lange & Söhne zum<br />

Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont.<br />

Wertarbeit braucht Zeit<br />

Auf den ersten Blick wirken die Manufakturräume wie klinische<br />

Labors: Die Räumlichkeiten sind hell, die Wände weiß,<br />

und große Glasfassaden lassen genügend Licht in die Zimmer.<br />

Die Uhrmacher sitzen an hohen Tischen, die bis zum Kinn reichen.<br />

Sie sind akkurat aneinandergereiht, alles wirkt fast ein<br />

wenig steril. Kein Wunder, dass sowohl die Arbeiter als auch<br />

Besucher ohne weißen Kittel die Räume nicht betreten dürfen<br />

– eben wie in einem Labor.<br />

Verteilt auf mehrere<br />

Etagen hantieren die Arbeiter<br />

fast stoisch an den<br />

Platinen, Rädchen, Rotoren,<br />

Spiralen, Schrauben<br />

und filigranen Zähnen<br />

mit vorsichtigen und<br />

zugleich routinierten Bewegungen.<br />

Die Herstellung<br />

einer mechanischen<br />

Uhr erstreckt sich über<br />

mehrere Etappen: von<br />

der Konstruktion über<br />

die Teilefertigung bis hin<br />

zur Montage. Wertarbeit<br />

erfordert eben noch Zeit<br />

und Geduld, das machen die vielen Fertigungsschritte<br />

allemal deutlich. Viel Geduld und eine<br />

ruhige Hand braucht auch Helmut Wagner. Er<br />

und seine Kollegen aus der Gravur versehen<br />

einzelne Komponenten der Uhrwerke, wie den<br />

Unruhkloben, einem Teil des Schwingsystems,<br />

in stundenlanger Feinarbeit mit filigranen Mustern.<br />

Warum sie Teile gravieren, wenn dies doch<br />

technisch keinerlei Auswirkung auf das Uhrwerk<br />

hat? Weil die Träger einer Lange-Uhr „Kenner<br />

und Sammler sind. Sie sind sich der Besonderheit<br />

der Uhren und der Werte, die darin stecken,<br />

bewusst. Und genau diese Feinheiten schätzen sie“, sagt Arndt<br />

Einhorn. Zudem ist es ein Lange-typisches Merkmal, das die<br />

Uhr zu etwas Einzigartigen, „zu einem Unikat“ macht. Mithilfe<br />

einer Mikroskop-ähnlichen Vorrichtung verziert Helmut<br />

Wagner per Hand den kleinen Kloben, frei von jeder Vorlage,<br />

mit kunstvollen Dessins, die einst schon die Taschenuhren<br />

schmückten. Ein Blick durch die Lupe beweist: Um auf diesem<br />

winzigen, nicht mal ein Zentimeter großen Kloben ein zartes<br />

Muster entstehen zu lassen, bedarf es besonders viel Fingerspitzengefühl,<br />

Zeit und Geduld. Ähnlich wie bei einer Hermès-<br />

Handtasche, die nach Fertigstellung mit der Signatur des jeweiligen<br />

Handwerkers versehen wird, lassen sich die Lange-Uhren<br />

anhand der Muster dem jeweiligen Graveur zuordnen. Denn<br />

„jeder von uns hat sein individuelles Werkzeug. Das pflegt er<br />

selber, das ist auf die Hand des Graveurs abgestimmt“, sagt<br />

Helmut Wagner.<br />

Nachdem nun die Einzelteile, graviert und geschliffen, ins<br />

Gehäuse montiert sind und die Uhr zum ersten Mal schlägt,<br />

wird sie nicht etwa zum Versand fertig gemacht, sondern wieder<br />

auseinandergebaut. Es folgt die Zweitmontage. In diesem<br />

zusätzlichen Arbeitsschritt wird jedes Uhrwerk nochmals in<br />

Hunderte von Teilen zerlegt, von eventuellen Makeln befreit,<br />

gereinigt, die vorher benutzen Arbeitsschrauben werden durch<br />

gebläute Originalschrauben ausgetauscht, exakt reguliert und<br />

anschließend in das Gehäuse eingebettet. Nach Walter Lange<br />

ein höchst aufwändiges Prozedere, mit „dem wir extrem präzise<br />

Ganggenauigkeit garantieren“.<br />

Bekenntnis zur Tradition<br />

Um diesen hohen Qualitätsanspruch zu gewährleisten, widmen<br />

sich rund 470 Arbeiter den mechanischen Kunstwerken<br />

fürs Handgelenk. Die Hälfte davon sind Uhrmacher, 70 von ihnen<br />

sind allein für die Veredelung der Einzelteile verantwortlich.<br />

Diese Detailtreue und das Festhalten an Tradition, ohne<br />

den Fortschritt dabei zu vernachlässigen, merkt man jeder Uhr<br />

an. So schlägt nicht nur in jedem Modell ein im eigenen Haus<br />

gefertigtes Uhrwerk, auch ist man stets bestrebt, mit der Zeit zu<br />

gehen und technische Neuerungen zu integrieren. Eine digitale<br />

Anzeige trotz mechanischem Werk ist nur eine der vielen Raffinessen<br />

bei A. Lange & Söhne.<br />

Und genau diese Verbindung aus Tradition und Moderne<br />

wissen die Kunden zu schätzen: präzise Funktionalität, zurückhaltendes<br />

Design sowie das, wofür diese Uhren stehen. Es ist<br />

„die Wertschätzung der Handarbeit auf höchstem Niveau“,<br />

sagt Walter Lange.<br />

Feinmotorik: Mit<br />

ruhiger Hand<br />

und gekonntem<br />

Blick fertigen<br />

die Uhrmacher<br />

pro Jahr nur<br />

wenige Einzelstücke<br />

Werk VI . <strong>Metamorphose</strong><br />

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