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musicals – Das Musicalmagazin

Heft 166 (April / Mai 2014)

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schwerin<br />

Fotos: Silke Winkler<br />

Foto unten links: vorne v.l.n.r. Christoph Götz (Mario Mackert), Josefin Ristau (Chantalle Müller), Harald Horváth (Jürgen Brodale), Christoph Bornmüller (Michael<br />

Ehrenreich) und Simon Jensen (Michael Wuschanski); stehend Anja Werner (Frau Nizold); Foto unten rechts: v.l.n.r. Simon Jensen (Michael Wuschanski), Christoph<br />

Bornmüller (Michael Ehrenreich), Luis Quintana (Appolonius) und Harald Horváth (Jürgen Brodale)<br />

ten. <strong>Das</strong> gilt ebenso für die Band, die John<br />

R. Carlson mächtig auf Trab hält.<br />

Überhaupt <strong>–</strong> die Musik. In ihr kulminieren<br />

die Fantasien der jungen Leute jenseits des<br />

hermetisch abgeschlossenen Beton-Riegels.<br />

Die Lust auf knalligen Sound kompensierte<br />

die DDR durch eigene Gruppen, von den<br />

Phudys bis zu Karat, doch der röhrende<br />

Ostblock-Rock lenkte nur bedingt vom<br />

Appetit auf die Rolling Stones oder AC/DC<br />

ab. Raffiniert stellt die Schweriner Fassung<br />

Songs und Lieder von hüben und drüben<br />

gegenüber, etwa mit dem Status-Quo-Titel<br />

“In the army now” und der verklärend verherrlichenden<br />

Militär-Postille “Soldaten<br />

sind vorbeimarschiert”. <strong>Das</strong> schafft Reibungen,<br />

zeigt jenes Spannungsfeld, das die<br />

Staatssicherheit mit Argusaugen bewachte.<br />

Ein weiteres Compilation-Stück also, dennoch<br />

schliddert ‘Sonnenallee’ nicht in die<br />

Flachgewässer vergleichbarer Musicals. Es<br />

geht auch um heikle Themen wie Staatsräson,<br />

Widerstand, Verweigerung, permante<br />

Rundum-Kontrolle. Damit nimmt Reichels<br />

Version etwas Tuchfühlung mit ‘Hair’ auf<br />

und darin liegt die besondere Qualität der<br />

Neufassung: Hinter der historisch geografischen<br />

Verortung werden zeitlose Fragen von<br />

jungen Erwachsenen aufgegriffen.<br />

Als Erzähler fungiert Micha Ehrenreich, ein<br />

Aufrechter im Staat, der erleben muss, wie<br />

sein Freund Mario in die Fänge der Stasi gerät<br />

und zum Verräter mutiert. Dazwischen<br />

prallt die gesamte DDR-Wirklichkeit in die<br />

Szene, vom Abhören über Mangelwirtschaft<br />

bis zu unerlaubten Grenzgängen in der Fantasie<br />

und natürlich gab es auch hinter dem<br />

“Antifaschistischen Schutzwall” gefühlsechte<br />

Momente mit profanem Verliebtsein inklusive<br />

Enttäuschung. Vor allem indes<br />

dröhnte in den Köpfen des Nachwuchses<br />

unaufhörlich der sanktionierte West-Bass.<br />

<strong>Das</strong> alles kommt in ‘Sonnen allee’ zum Tragen,<br />

satirisch ausgereizt und mit Schmackes<br />

zugespitzt <strong>–</strong> große Politik im Spiegel von<br />

gelegentlich etwas karikaturesk gezeichneten<br />

Charakteren.<br />

Versatzelemente wie den einst bestaunten<br />

Multifunktionstisch oder die Couch im Bitterfelder<br />

Hochbarock samt schrill wirkenden<br />

Kostümen im Original-Look fügt Ausstatterin<br />

Claudia Charlotte Burchard mit Geschick<br />

zu einem Kaleidoskop östlichen<br />

Schicks zusammen und betont das Lebensgefühl<br />

der damaligen Bevölkerung. Ralph<br />

Reichel nutzt die optischen Reize für eine<br />

Bilder- und Ideenflut. Der Regisseur hat<br />

das Massenaufgebot perfekt im Griff, mitsamt<br />

der Choristen vom Schweriner<br />

Goethe-Gymnasium. <strong>Das</strong> macht reichlich<br />

Spaß, ohne eine flotte Nachhilfestunde für<br />

den Geschichtsunterricht im Sinn zu haben.<br />

Rüdiger Daas legte sich mächtig ins Zeug,<br />

um den Apparat mit köstlichen Einfällen<br />

choreografisch in Bewegung zu bringen.<br />

Rückblick, Wehmut, Verdrängung? Egal,<br />

‘Sonnenallee’ im Musical-Format beweist in<br />

Schwerin allemal seine Bühnentauglichkeit.<br />

Im Zentrum beeindruckt Christoph Bornmüller<br />

als omnipräsenter Micha. Christoph Götz<br />

als opportunistischer Mario, Caroline Wybranietz<br />

(Miriam), Harald Horváth (Jürgen) und<br />

Simon Jensen (Wuschel) ragen aus dem insgesamt<br />

starken Ensemble heraus: ein kurzweiliges,<br />

scharf pointiertes Stück mit drallen<br />

Typen, die gern mal die Peitsche des<br />

DDR-Regimes spüren und einen schnellen<br />

Lacher rasch im Hals ersticken lassen.<br />

<strong>musicals</strong> 04.14<br />

www.<strong>musicals</strong>-magazin.de<br />

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