musicals – Das Musicalmagazin
Heft 166 (April / Mai 2014)
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erlin/hildesheim<br />
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Deutsches Musicalarchiv Tel.: 0761 / 70 50 30<br />
Rosastraße 17-19<br />
79098 Freiburg i.Br. deutsches-musicalarchiv.de<br />
Fotos: Adrienne Gerhäuser<br />
nem allgemein Menschlichen, das sich auf<br />
jede Beziehung übertragen lässt. <strong>Das</strong>s dieser<br />
Funke aufs Publikum überspringt, liegt<br />
auch am berührenden Spiel von Hannes<br />
Fischer und Peter Rühring, zwei Mimen im<br />
Rentenalter von 66 und 71 Jahren, die das<br />
aus einem Transvestiten und einem “normalen”<br />
Homosexuellen bestehende Paar<br />
mit jener Ausstrahlung wahr werden lassen,<br />
die lange zusammenlebende und -arbeitende<br />
Partner umgibt. In ihren besten Momenten<br />
wirkt das nicht wie gespielt, sondern<br />
gelebt. Vielleicht auch, weil Fischers<br />
v.l.n.r. Peter Rühring (Georges), Fausto Israel (Jacob)<br />
und Hannes Fischer (Albin/Zaza)<br />
Albin so gar nichts Glamouröses hat, selbst<br />
in seinem Show-Kostüm eher trutschig und<br />
im Alltag wie Mutti von nebenan wirkt.<br />
Dem Affen richtig Zucker geben dürfen<br />
dann die (hier nur vier) Cagelles <strong>–</strong> Andreas<br />
Renee Swoboda, Christoph Jonas, Vanni Viscusi,<br />
Hakan T. Aslan <strong>–</strong>, die sich in ihren luftigfantasievollen<br />
Kostümen (Falk Bauer) auch<br />
schon mal hautnah unters Volk schwitzen.<br />
Nur steppen hätte man sie gerne gesehen.<br />
Aber Otto Pichler, der ja schon bei seiner<br />
‘Kiss Me, Kate’-Choreografie an der Komischen<br />
Oper diese Chance vertan hatte,<br />
glänzt auch hier nicht gerade mit einfallsreichen<br />
Schrittkombinationen. Für ausgelassene<br />
Stimmung ist eher Fausto Israel, der<br />
lieber Zofe als Butler sein will, zuständig.<br />
Mit Hingabe gibt er die Rampensau, was<br />
besonders das Tempo des zweiten Aktes<br />
hoch hält, den Mottl ganz in der Tradition,<br />
der dem Musical zugrunde liegenden französischen<br />
Boulevardkomödie (1973) inszeniert<br />
hat: Tür auf, Tür zu, ein ständiges<br />
Gewusel auf der Bühne. Jetzt kommt auch<br />
die hübscheste Idee von Bühnenbildner<br />
Friedrich Eggert zum Tragen: Aus der<br />
Zeltkuppel schwebt ein Tisch herab, an<br />
dem in Jacquelines (unterbeschäftigt: Carry<br />
Sass) Gourmet-Tempel das Happy End vorbereitet<br />
wird. <strong>Das</strong> versucht erst mal der homophobe<br />
Politiker Dindon (schön fies: Romanus<br />
Fuhrmann) zu verhindern, während<br />
seine frustrierte Ehefrau Marie (herrlich<br />
verhuscht: Jacqueline Macaulay) lieber zur<br />
Flasche greift. Aber dann heißt es zum<br />
Finale doch: “Die schönste Zeit ist heut”.<br />
Die allerdings schmissiger ausgefallen wäre,<br />
hätte das Musiker-Quintett (Leitung: Johannes<br />
Roloff) nicht ein zweites Keyboard<br />
aufgefahren, das mit seinem Hammondorgel-Sound<br />
eine abtörnende Süße ins Spiel<br />
bringt.<br />
Rolf-Ruediger Hamacher<br />
Hildesheim<br />
Theater für Niedersachsen<br />
Regie / Choreografie: Katja Buhl; Ausstattung: Dirk Immich;<br />
Musikalischer Leiter: Leif Klinkhardt; Darsteller:<br />
u.a. Oliver Jaksch (Georges), Jens Krause (Albin/Zaza),<br />
Jens Plewinski (Jean-Michel), Annika Dickel (Anna),<br />
Alexander Prosek (Jacob), Michaela Linck (Jacqueline),<br />
Agnes Buliga-Contras (Mme Dindon), Wojciech Masta -<br />
lerz-Eggers (Eduard Dindon). Premiere: 15.02.2014,<br />
TfN, Hildesheim. www.tfn-online.de<br />
Lessing postulierte vor rund 200 Jahren das<br />
berühmte Toleranz-Edikt. Es lässt sich<br />
mühelos auf sämtliche Lebensbereiche<br />
übertragen und sollte bis heute Schule machen.<br />
Eigentlich wären damit die Grundregeln<br />
für ein friedliches Miteinander vorgegeben.<br />
Doch weit gefehlt, die Welt sieht es<br />
anders. Homophobie zum Beispiel ist auch<br />
zurzeit weit verbreitet, latent oder gar<br />
staatlich verordnet. Wie in Putins autokratischem<br />
Russland und anderswo. <strong>Das</strong> Stück<br />
steht dort auf dem Index. Schon das Credo<br />
von Autor Harvey Fierstein würde in Moskau<br />
für eine drakonische Bestrafung reichen:<br />
“Wir sollten uns die Vorstellung abschminken,<br />
Liebe und Familie seien heterosexuelle<br />
Vorrechte, es sind Menschenrechte!”<br />
Ein klarer Satz, den ‘La Cage aux Folles’<br />
mit Nachdruck unterstreicht. Ohne die<br />
immer noch erschreckende Aktualität der<br />
Aussage wäre das Musical heute schon beinahe<br />
nostalgisch, jedenfalls jenseits wirklicher<br />
Brisanz. Die Songs von Jerry Herman<br />
sind schmissig oder gefühlvoll, abgesehen<br />
von “I am what I am” reißen sie aber nicht<br />
gerade vom Hocker. Auf dem schmalen<br />
Grat zwischen politischem Plädoyer und<br />
harmloser Unterhaltung bewegt sich<br />
zwangsläufig jede Inszenierung. Am Hildesheimer<br />
Theater für Niedersachsen (TfN)<br />
gelingt Regisseurin und Choreografin Katja<br />
Buhl dieser Balance-Akt mit der bestens<br />
trainierten MusicalCompany bravourös.<br />
<strong>musicals</strong> 04.14<br />
www.<strong>musicals</strong>-magazin.de<br />
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