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Orkus! Faun (Vorschau)

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„Was passiert hier eigentlich gerade?“<br />

ursprünglich sogar noch elektronischer<br />

vorgestellt und habe viel mit Dubstep-Sounds<br />

experimentiert, dies aber letztendlich wieder<br />

verworfen. Somit klingt Crystal Palace trotz<br />

der Tatsache, dass es rein elektronisch<br />

entstanden ist, auch sehr warm und<br />

akustisch.<br />

O: Seit 1986 gibt es Deine Lakaien. Nicht<br />

viele Bands stehen eine solch lange Zeit<br />

gemeinsam durch. Ihr hingegen wirkt heute<br />

schon fast wie ein altes Ehepaar. Wie haltet<br />

ihr die Ehe frisch?<br />

EH: Die Frage ist vielmehr, wie man sich<br />

selber frisch hält. Und die banale Antwort<br />

ist: Ehrgeiz. Was uns wirklich hilft, sind die<br />

Auszeiten. Ich weiß nicht, wo wir heute<br />

wären, wenn wir von Anfang an wie andere<br />

Bands ständig auf Achse gewesen wären und<br />

jedes Jahr ein Album veröffentlicht hätten.<br />

Dadurch, dass wir so viele verschiedene<br />

andere Projekte machen, ist die Lust auf die<br />

Zusammenarbeit irgendwann einfach wieder<br />

da, und wir finden wieder zusammen. Für<br />

mich selbst ist diese Distanz auch wichtig,<br />

weil ich wirklich unendlich lange an den<br />

Stücken sitze und sie irgendwann nicht mehr<br />

hören kann oder nur noch die Fehler höre.<br />

AV: Die befruchtenden, kreativen Reibungen<br />

von früher sind inzwischen einem großen<br />

Verständnis und Sich/Einander-Kennen<br />

gewichen. Wir versuchen schon längst nicht<br />

mehr, unsere Vorlieben durchzusetzen,<br />

weil der Partner schon vorher ohne<br />

Worte weiß, was man möchte, und<br />

dennoch immer wieder mit unerwarteten<br />

Dingen überraschen kann. Das ist eine<br />

sehr gute Kombination. Für uns war es<br />

selbstverständlich und überlebenswichtig,<br />

uns die Auszeiten zu nehmen und wieder<br />

zu uns selbst zu finden. Gerade nach der<br />

umjubelten Orchestertournee kam ganz oft<br />

der Satz: „Was soll da jetzt noch kommen?<br />

Wie wollen die das noch steigern?“ Darum<br />

haben wir uns schon auf Indicator wieder auf<br />

unsere Anfänge besonnen.<br />

O: Was ist der thematische Grundstock von<br />

Crystal Palace?<br />

EH: Die Texte von Alexander und mir<br />

unterscheiden sich schon sehr. Alexanders<br />

Texte, wie The Lights of our Street, sind sehr<br />

still, melancholisch, warm und familiär.<br />

Meine sind dagegen sehr privat, fast schon<br />

verzweifelt, weil ich in der letzten Zeit in<br />

meinem persönlichen Umfeld doch viele<br />

schlechte Sachen erlebt habe und mir selbst<br />

sehr viele Vorwürfe mache. Ich denke, man<br />

hört schon heraus, dass es mir nicht so gut<br />

ging.<br />

O: Auffällig ist auch die Rückkehr zu analogen<br />

Synthesizern. Beim Titelstück tobst du dich<br />

sogar mit einem Synthiesolo aus...<br />

EH: Mein liebstes Soloinstrument ist immer<br />

noch der OSC OSCar-Synthesizer. Das ist<br />

ein kleiner, monophoner Synthesizer, der<br />

Mitte der Achtziger Jahre herauskam und<br />

den niemand haben wollte, weil sich alle auf<br />

die neuen digitalen Instrumente stürzten.<br />

Ich habe ihn damals für einen Spottpreis<br />

erworben. Ich habe eine Hassliebe zu diesem<br />

kleinen Scheißteil, weil er in entscheidenden<br />

Momenten schon oft abgekackt ist und nie<br />

das tut, was man will. Doch er hat einen ganz<br />

eigenen Klang, und es entsteht nie das, was<br />

du dir vorstellst, wenn du an den Reglern<br />

drehst. Darum klingt dieses Teil auch so<br />

lebendig, und deshalb spiele ich meine Soli<br />

am liebsten mit ihm.<br />

O: Wenn ich ehrlich bin, habe ich von Crystal<br />

Palace zwar die gewohnt hohe Qualität<br />

erwartet, aber nicht, dass es mich nach all<br />

den Jahren, wo man der Band zeitweilig überdrüssig<br />

war, derart tief berührt. Alles ist vertraut, dennoch von<br />

einer neuen Lebendigkeit.<br />

AV: Ich weiß genau, was du damit meinst. Und wenn<br />

wir das erreicht haben, dann ist das unglaublich und<br />

schön. Ich erlebe selbst, dass viele Dinge, die bei mir<br />

früher Feuer im Herzen entfacht haben, heute nur<br />

noch mit einer altersmilden Melancholie genossen<br />

werden können. Auch von David Sylvian haut mich<br />

heute nicht mehr jedes neue Album um. Das hat<br />

natürlich auch viel mit dem eigenen Leben und der<br />

Entwicklung zu tun. Dass Crystal Palace auf gewisse<br />

Weise neu wirkt, liegt für mich an der Introspektive und<br />

Intimität. Bei aller Empfindsamkeit ist es aber auch ein<br />

sehr kraftvolles, sehr selbstbewusstes Album. Wir sind<br />

uns unserer handwerklichen Qualitäten sehr bewusst<br />

– die Chemie und die Magie, die entsteht, wird uns<br />

aber erst während des Aufnahmeprozesses klar. Man<br />

beobachtet sich selbst und denkt: „Was passiert hier<br />

eigentlich gerade?“ Songs wie Forever and a Day oder<br />

Where the Winds don’t Blow sind Momente, die man<br />

nicht mehr steuert. Es entsteht einfach etwas. Es gibt<br />

Stücke, die ich mir so anhören kann, als wenn sie von<br />

jemand anders wären. Und das ist ein sehr positives<br />

Zeichen, dass es nicht so verkehrt sein kann.<br />

EH: Das ist eigentlich das größte Kompliment. Und<br />

dafür bin ich sehr dankbar. Ich kenne so viele Musiker,<br />

denen genau so etwas fehlt. Viele, vor allen Dingen<br />

ältere Musiker leiden darunter, dass sie ihr Publikum<br />

trotz kommerziellen Erfolgs nicht mehr wirklich<br />

berühren können, obwohl sie gute Arbeit leisten.<br />

Während der Arbeit selbst denke ich nie daran, wie es<br />

die Leute aufnehmen werden. Aber danach ist man<br />

schon sehr gespannt, wie die Musik empfunden wird.<br />

Der einzige beunruhigende Aspekt und Angst ist, dass<br />

man irgendwann ausgebrannt ist und einem nichts<br />

mehr einfällt.<br />

O: Diese Angst ist unbegründet. Ich frage mich<br />

vielmehr, woher du nach all den Jahren noch die Ideen<br />

nimmst, da das Format der Band selbst ja relativ streng<br />

ist.<br />

EH: Danke. Dennoch unterschätzen viele, dass es<br />

harte Arbeit ist. Es macht wenig Sinn, dazusitzen<br />

und auf eine Inspiration oder den Heiligen Geist zu<br />

warten. Da gilt es einfach, früh aufzustehen und zu<br />

arbeiten und nochmals arbeiten. Die Intensität und die<br />

Inspiration entstehen während des Arbeitsprozesses,<br />

nie vorher. Ich muss mich immer dazu zwingen, hart<br />

zu arbeiten. Nur dann kommen gute Dinge zustande.<br />

Selbst Franz Schubert, der die schwermütigste Musik<br />

aller Zeiten geschrieben hat, saß Tag für Tag von sechs<br />

Uhr morgens bis nachts an seinem Tisch und hat<br />

geschrieben. Danach ist er ins Wirtshaus gegangen.<br />

O: Wie kaum eine andere Band habt ihr die Schwarze<br />

Szene geprägt und werdet von außen als Synonym für<br />

diese Szene wahrgenommen. Fluch oder Segen?<br />

EH: Wir sind ein Teil davon, bekommen aber immer<br />

weniger von ihr mit. Natürlich bei Konzerten und<br />

Festivals, zudem hegen wir langjährige Freundschaften,<br />

bei denen es aber kaum mehr um die Szene, sondern<br />

um den Menschen geht. Ich gehe kaum mehr in Clubs<br />

und höre daheim eigentlich nur klassische Musik. Wir<br />

sind in dieser Szene sehr warm aufgenommen worden.<br />

Für andere ist genau das ein Grund, uns abzulehnen<br />

und zu stigmatisieren. Wir haben uns mittlerweile<br />

damit arrangiert. So ist es eben.<br />

www.deine-lakaien.com<br />

Ecki Stieg<br />

Photos: Joerg Grosse Geldermann<br />

Discographie (Alben):<br />

Deine Lakaien (1986)<br />

Dark Star (1991)<br />

Dark Star Tour ’92 – Live (live, 1992)<br />

Forest Enter Exit (1993)<br />

Acoustic (live, 1995)<br />

Winter Fish Testosterone (1996)<br />

Kasmodiah (1999)<br />

White Lies (2002)<br />

1987 (2003)<br />

Live in concert (live, 2003)<br />

April Skies (2005)<br />

20 Years of Electronic Avantgarde (live, 2007)<br />

Indicator (2010)<br />

Acoustic II (live, 2013)<br />

Crystal Palace (2014)<br />

Line-Up:<br />

Alexander Veljanov – Stimme<br />

Ernst Horn – Tasten und Elektronik

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