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Nyikos-Geschichte

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die Dynamik der Transformation der Produktionsweise groß genug ist, sofern nur deren<br />

Impetus einen bestimmten Schwellenwert übersteigt, werden die Barrieren, welche die<br />

Konsumtionsweise aufbaut – wenn sie diese Veränderungen behindert, hemmt oder<br />

blockiert –, 130 stets, einmal früher, einmal später, überwunden (ausgehöhlt, zersetzt und<br />

schließlich beseitigt) – wobei ihre Funktion auf andere Modi übertragen wird –, 131 auch<br />

wenn dies eventuell mit "geistigen Krisen" der betreffenden Gesellschaft verbunden sein<br />

mag. Und dies, weil die konkrete Form der konsumtiven Prozesse so oder so ausfallen<br />

kann, ohne daß dadurch das Überleben der Gesellschaft (oder das Surplus) in Gefahr<br />

oder ins Schlingern geriete, sofern die Konsumtionsweise die produktiven Prozesse nur<br />

nicht behindert. Es ist im Prinzip einerlei, ob der Prozeß der Konsumtion auf diese oder<br />

auf jene Weise erfolgt (sofern nur die Realisierung der genetisch tradierten Impulse<br />

zumindest auf dem bisherigen Niveau garantiert ist), denn hier haben wir es nicht mit den<br />

Grundlagen der Gesellschaft zu tun, 132 sondern mit ihrem spezifischen Modus, abstrakte<br />

Impulse (Nahrungsaufnahme, Sexualität, Spiel usw.) zu realisieren, und dieser ist in<br />

funktionaler Hinsicht durchaus flexibel. 133<br />

Die Schranken, die eine gegebene Konsumtionsweise aufrichten kann, werden nun<br />

dadurch überwunden oder gesprengt, daß man die bis dahin vorherrschende Praxis<br />

innerhalb dieses oder jenes Konsumtionssektors aufgibt, was freilich die Praxisform, die<br />

an deren Stelle tritt, nicht im vorhinein determiniert; was hier entsteht, hängt letztlich von<br />

den objektiven Konsumtivkräften ab, die jedoch – da sie jedesmal direkt aus der<br />

Produktionssphäre stammen –, auch jedesmal in der Gestalt vorhanden oder zumindest<br />

im Prozeß des Werdens begriffen sind, die erforderlich ist, solchen Konsumtionsmodi ins<br />

Leben zu verhelfen, die sich mit den Keimen (der Anfangsphase) einer neuen<br />

Produktionsweise als kompatibel erweisen.<br />

Wälzt sich daher die Produktionsweise um, so muß ihr die Konsumtionsweise folgen – mit<br />

Bezug auf Kompatibilität und meistens auch auf Kongruenz 134 –, wobei allerdings<br />

gegebenenfalls die vorhandenen Konsumtionsformen als Anknüpfungs- oder als<br />

Ausgangspunkt dienen.<br />

Oder anders gesagt: Wenn aufgrund einer bestimmten historischen Konstellation die<br />

Akteure sich dahin gedrängt sehen, die Produktionssphäre auf eine Weise umzugestalten,<br />

die eine "Kollision" mit den vorherrschenden Modi der Konsumtion nach sich ziehen kann,<br />

130<br />

Man denke nur, was die Frühzeit der kapitalistischen Produktionsweise betrifft, an solche zahlreichen<br />

Bräuche wie den "blauen Montag" (der sich bis auf den Dienstag oder sogar auf den Mittwoch<br />

ausdehnen konnte), die Unzahl von Feiertagen und Kirmesfesten usw., alles Barrieren der<br />

kapitalistischen Produktion, die hinweggefegt wurden. Vgl. E. P. Thompson, Zeit, Arbeitsdisziplin und<br />

Industriekapitalismus, in: E. P. Thompson, Plebejische Kultur und moralische Ökonomie, Ullstein (1980),<br />

S. 44ff.; E. J. Hobsbawm, Industrie und Empire, Bd. 1, Suhrkamp (1969), S. 86.<br />

131<br />

Die Rekreation der Arbeitskraft verlagert sich (beim Übergang zum Kapitalsystem) "in die Horizontale",<br />

d.h. der Ausfall von Arbeitstagen ("blauer Montag", Feiertage) wird durch die tägliche "Freizeit" ersetzt;<br />

die kollektiven Feste wiederum müssen den Sportevents, dem Kino, der Television usw. weichen.<br />

132<br />

Eine Gesellschaft geht nicht unter, wenn sie einen Monat lang den Göttern nicht opfert (obwohl sie die<br />

eventuell eintretenden Katastrophen diesem Faktum zuschreiben würde), wohl aber, wenn sie sich einen<br />

Monat lang der Arbeit enthält.<br />

133<br />

Sollte es notwendig sein und keine Alternative dazu geben, dann kann sich selbst der Speisezettel – die<br />

kulinarischen Vorlieben (die oft sehr zählebig sind) – radikal ändern: etwa statt Fleisch- Getreidekonsum<br />

(wie das in der Übergangsperiode von der "aneignenden" zur "hervorbringenden" Produktionsweise der<br />

Fall war).<br />

134<br />

Eine bestimmte Konsumtionsweise muß mit der ihr korrespondierenden Produktionsweise kompatibel<br />

sein. Daß es darüber hinaus zumeist auch mit der Zeit zu einer Angleichung der Konsumtionsweise an<br />

die Produktionsweise kommt (Kongruenz), steht außer Frage. Noch mehr gilt dies bisweilen für die<br />

geistigen Repräsentationen der Welt, d.h. die "Weltbilder" haben die Tendenz, sich an die<br />

Produktionsweise der Gesellschaft früher oder später "anzugleichen". Man nehme etwa nur die<br />

Vorstellung des "Fegefeuers" als Reaktion auf die Etablierung des Proto-Kapitals der Händler und<br />

Bankiers als nicht mehr zu umgehende Macht im Anschluß an das Jahr tausend (cf. J. Le Goffs<br />

berühmte Studie La naissance du Purgatoire) oder die "protestantische Ethik" als Rechtfertigung der<br />

Profitmaximierung (die göttliche Gnade erweist sich im geschäftlichen Erfolg).

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